B2C muss man lieben

Das hätte Kornelia Reifenberg, Partnerin bei Strategie- und Marketingberatung von Simon, Kucher & Partners in Köln nicht erwartet (siehe Kasten Seite 24). Für eine sogenannte Mystery-Shopping-Studie ihres Hauses hatte sie sich als fiktive Kundin getarnt und bei Stückgut- und Teilladungs-Spediteuren Preisangebote eingeholt. Es ging um den Transport von zwei Europaletten kartonierter Möbel mit einem Durchschnittsgewicht von 70 Kilogramm, die von einem Onlinehändler an Endkunden ausgeliefert werden sollten. Obwohl den Spediteuren hier neue Aufträge winkten, blieben die Anfragen von Reifenberg und ihrem Team relativ erfolglos: "Von insgesamt 22 in Deutschland ansässigen Spediteuren gaben nur fünf ein Angebot ab, und einige davon erst nach zwei Wochen", erzählt sie. Sechs Spediteure boten grundsätzlich keine B2C-Leistung, vier offerierten kein LTL im angefragten Raum, und von den restlichen sieben Befragten blieb die Antwort sogar aus. Damit nicht genug: Die Preise der Anbieter hätten teilweise um über 200 Prozent auseinandergelegen. "Zahlreiche Spediteure meiden offenbar das B2C-Geschäft", resümiert Reifenberg. "Sie verschenken damit wertvolles Wachstumspotenzial", warnt sie. Denn der E-Commerce ist nach wie vor Treiber im Onlinehandel. Allein im ersten Halbjahr 2019 legte dieser insgesamt um 11,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zu, nennt der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland (BVEH) Zahlen. Insgesamt dürfte der E-Commerce-Umsatz nach Einschätzung des BVEH in diesem Jahr sogar die 70-Milliarden-Euro-Marke überspringen und knapp unter 72 Milliarden Euro brutto (+10,5 Prozent) erreichen. Zustellung mit vielen Unwägbarkeiten "Trotzdem hat das Endkunden-Geschäft für Spediteure oft nicht oberste Priorität, selbst wenn ein Spediteur im B2C tätig ist", beobachtet Reifenberg: So hätten drei der fünf Unternehmen auf ihrer Webseite keinen Link zur Angebotsanfrage, und nur zwei konnten lokale Ansprechpartner nennen. Auch ein sogenanntes Follow-up (Nachfragen) zu einem abgegebenen Angebot sei meist komplett ausgeblieben. "B2C ist für Empfangsspediteure kein wirklicher Ertragsbringer", sagt Gerald Penner, Geschäftsführer des Speditions- und Logistikunternehmens Streck Transport. Zumindest für den Empfangsspediteur sei das so. Für den Versandspediteur sei eine B2C-Sendung hingegen eine Sendung wie jede andere. Denn die Aufgabe des Empfangsspediteurs ist es laut Penner, "die Zustellung mit allen Unwägbarkeiten" zu organisieren. Ein Problem sei zum Beispiel, erklärt er, dass es sich meist um kleinteilige Sendungen ohne Stoppverdichtungsmöglichkeiten handele. Zudem müssten diese im Regelfall den Privatkunden avisiert werden, um unnötige Anfahrten zu vermeiden. Während der Avisierung stünden die Sendungen in der Umschlagshalle, die nicht zur Lagerung, sondern zum Umschlag von Sendungen gedacht sei. Und ist der Endkunde am avisierten Termin verhindert, wird es noch aufwendiger, bleibt die Sendung weiter im Umschlagsbereich. "Auch für den Fahrer bedeutet die Zustellung Mehrbelastung", weiß Penner. Zum einen weil keine Stoppverdichtung möglich sei; zum anderen erfolge die Zustellung oft in Wohngebieten mit engen Verkehrsverhältnissen und die Anlieferung sei meist frei Bordsteinkante. "Entscheidend ist daher, dass die Zustellorganisation einwandfrei funktioniert." Dies umfasse insbesondere die zuverlässige und nahtlose Avisierung der Sendung inklusive Erreichbarkeit und Beweglichkeit der Empfänger hinsichtlich Zustellzeit. "Eine B2C-Stückgutsendung beim Nachbarn, am vereinbarten Abstellort oder im Paketshop abgeben - das funktioniert im Stückgutgeschäft leider nicht." 15 bis 20 Prozent Mehrkosten "Das B2C-Geschäft ist schwieriger und anspruchsvoller als das B2B-Geschäft", bestätigt Stefan Seils, geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensgruppe Bursped in Hamburg. Fünf bis sechs Prozent der Stückgutsendungen, die die Spedition umschlägt, gehen mittlerweile an Endkunden - Tendenz weiter steigend. Und klar ist auch: Der Aufwand im B2C ist groß. "15 bis 20 Prozent Mehrkosten dürften das sein im Vergleich zu B2B", schätzt Seils. Kostentreiber sind einerseits die im B2C niedrigeren Stopp-Zahlen in der Zustellung und die längere Verweildauer pro Stopp. Zudem werde im B2C pro Stopp meist nur eine Sendung ausgeliefert, bei gewerblichen Empfängern sei die Menge höher. "Alles in allem kostet uns ein B2C-Stopp 25 bis 30 Prozent mehr als ein B2B-Stopp", rechnet Seils vor. Gar nicht zu reden von den Zusatzkosten, die Bursped hat, um mit Warenempfängern den Zustelltermin abzustimmen oder gar deren Retourensendungen abzuwickeln. Problem sei auch, ergänzt Seils, dass das Privatkundengeschäft insgesamt volatiler, weniger planbar sei. "Da gibt es deutlich mehr Saisonalitäten." Unterm Strich habe sich das Thema B2C im Stückgut aber eingespielt, die Prozesse seien klar definiert, die Herausforderungen bekannt. Für Norbert Keimeier, Geschäftsführer von GEL Express Logistik in Willich, ist dagegen das Privatkundengeschäft "nicht Last, sondern pure Lust". 52 Prozent der Expressgüter (etwa Weißware und Fahrräder), die die 61 Partner der Mittelstandskooperation befördern, gehen an Endkunden. Seit 2011 bietet der Verbund auch einen Zwei-Mann-Handling-Service bis zur Verwendungsstelle. "Wir haben uns in 2005 bewusst entschieden, für unser B2C-Geschäft ein separates Produkt aufzubauen und dieses sukzessive zu erweitern", sagt Keimeier. Seiner Erfahrung nach liegt der Königsweg darin, B2B-Stückgüter in industrielle Stückgutsysteme zu geben, und B2C-Sendungen in ein Privatkundensystem wie GEL. "Und das entscheiden unsere GEL-Partner an ihrer Rampe vor Ort." Unterm Strich mache B2C mehr Aufwand. Die Auftraggeber würden GEL den Mehraufwand jedoch honorieren. Aber auch er sagt schmunzelnd: "B2C muss man mögen." Mehr zum Thema finden Sie im Dossier "Stückgut" www.verkehrsrundschau.de/dossiers In Kürze Der E-Commerce-Boom treibt immer mehr Auftraggeber aus Industrie und Handel zum Multi-Channel-Vertrieb. Doch wie attraktiv sind Stückguttransporte an Endkunden für Speditionen? Bei einem Test stieß die Unternehmensberatung Simon, Kucher & Partners vor allem auf Zurückhaltung. Warum Spediteure bei der Preisgestaltung im B2C mutig sein dürfen Sie gaben sich für eine Studie als fiktive Kundin aus und fragten bei insgesamt 22 Stückgut- und Teilladungsspeditionen den Transport zweier Paletten mit kartonierten Möbeln an Endkunden an. Was hat Sie da besonders überrascht?Verblüfft hat mich, wie wenige Spediteure auf die Anfrage reagierten, obwohl sie B2C-Zustellungen anbieten. Immerhin winkte da ja ein Auftrag. Diese Zurückhaltung zog sich übrigens durch alle Firmengrößen. Überraschend war auch, wie wenige Firmen ihre logistischen Mehrwertdienste im B2C proaktiv vermarkteten. Und auch die um bis 200 Prozent Preisunterschiede waren erstaunlich.Fakt ist: B2C kostet für Spediteure viel Aufwand, bringt aber wenig.Das sehe ich nicht so. Unsere Studie zeigt ja, dass offenbar nur wenige Spediteure B2C leisten wollen. Insofern raten wir, sich diesen Service mit höheren Preisaufschlägen honorieren zu lassen. Denn je weniger Wettbewerber es gibt, desto mehr Preispotenziale hat man. Wir haben bis zu 40 Euro Aufschlag auf den Transportpreis bei Anlieferung frei Bordsteinkante beobachtet - man darf also ruhig mutig sein. Insofern glaube ich nicht, dass B2C für Spediteure per se weniger profitabel sein muss als B2B.Was raten Sie also Spediteuren für B2C?Das Wichtigste ist, dass sich Spediteure diesem Geschäftsfeld aktiv zuwenden und dieses als Wachstumschance sehen, nicht als leidiges Übel. Dabei sollten sie auch ihre Stärken gegenüber den Kunden herausarbeiten und diese vermarkten. Das passiert noch zu wenig. Proaktives Verkaufen bedeutet zu erkennen, welchen Bedarf an Zusatzservices der Kunde haben könnte, und diese ins Angebot aufzunehmen - aber auch, jede einzelne Offerte beim Kunden nachzufassen, um den Kontakt zu halten. Erfahrungswerte zeigen, dass dies die Chance, einen Auftrag zu erhalten, um 30 Prozent erhöht.ehKornelia Reifenberg, Partnerin von Simon, Kucher & Partners in Köln

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