Azubis stehen unter besonderem Schutz

Junge Menschen fordern ihrer Umwelt häufig Geduld und Nachsicht ab. Von den Eskapaden seines Auszubildenden hatte ein Arbeitgeber aber genug. Der Lehrling hatte wiederholt bei Amazon Waren in die Firma bestellt. Der Versandhändler sowie ein Inkassobüro mahnten den Chef zur Bezahlung. Doch damit nicht genug: Während der Ausbildungszeit hatte der Azubi das Internet im Betrieb zum Surfen auf Pornoseiten genutzt. Der Arbeitgeber kündigte das Ausbildungsverhältnis fristlos. Doch das Landesarbeitsgericht Mainz entschied, dass für eine fristlose Kündigung kein Grund vorgelegen habe. Der Arbeitgeber habe die Internetverstöße nämlich nicht hinreichend belegt. Und für eine Kündigung wegen der Amazon-Bestellungen hätte es einer vorherigen Abmahnung bedurft (24.10.2013, Az.: 10 Sa 173/13). Für den Chef ein Schlag ins Gesicht. Obwohl die meisten Ausbildungsverhältnisse problemlos verlaufen, sind solche Fälle keine Seltenheit. Davon zeugen zahlreiche Urteile - bis hin zum Bundesgerichtshof. Das Kernproblem: Viele Ausbildungsbetriebe wissen zu wenig über ihre Rechte und Pflichten, wodurch es zu rechtlichen Fehlentscheidungen kommt. Im Herbst starten nun vor allem große Unternehmen mit der Azubisuche für das Ausbildungsjahr 2017/18. Für kleinere und mittlere Unternehmen beginnt die heiße Phase im November und geht bis in den Winter hinein - eine gute Zeit, um sich mit den Rahmenbedingungen der Ausbildung zu beschäftigen. Denn der Markt ist hart umkämpft. Viele Betriebe können ihre Ausbildungsplätze mangels geeigneter Bewerber nicht besetzen. Das belegt die Ausbildungsumfrage 2016 des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK). So blieben in 31 Prozent der Betriebe Ausbildungsplätze unbesetzt, in Ostdeutschland waren es sogar 45 Prozent. Die Gründe: weniger Absolventen durch geburtenschwache Jahrgänge und ein ungebremster Run auf die Hochschulen. Wer einen Azubi gefunden hat, sollte sich daher um einen korrekten Start kümmern. Die wesentlichen Inhalte des Ausbildungsvertrags müssen spätestens zu Beginn der Ausbildung schriftlich niedergelegt werden. Das sind unter anderem Probezeit, Arbeitszeit, Urlaub, Vergütung und Kündigung (Paragraf 11 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG)). "Die Betriebe müssen dann bei der IHK einen Antrag auf Eintragung des Vertrags in das Ausbildungsverzeichnis stellen. Dabei wird der Vertrag auf rechtswidrige Klauseln hin überprüft", erklärt Nico Schönefeldt, Leiter des Referats Berufsbildungsrecht beim DIHK. Es könne durchaus vorkommen, dass ein Vertrag einmal nicht eingetragen werde. Um das zu vermeiden, greifen die meisten Unternehmen auf die Musterverträge der IHK zurück. Im Ausbildungsverhältnis weichen allerdings zahlreiche Regelungen zum Schutz der Jugendlichen von denen eines normalen Arbeitsverhältnisses ab. "So muss etwa die Probezeit mindestens einen Monat betragen, sie darf aber höchstens vier Monate dauern", erklärt Timo Hufnagel, Fachanwalt für Arbeitsrecht in der Kanzlei WestendLaw in Frankfurt am Main. "Während dieser Zeit kann das Berufsausbildungsverhältnis von beiden Seiten jederzeit ohne Angabe von Gründen und ohne Einhalten einer Frist schriftlich gekündigt werden." Bei minderjährigen Auszubildenden müsse die Kündigung aber immer gegenüber dem gesetzlichen Vertreter erklärt werden, mahnt der Jurist. Praktika nicht auf Probezeit anrechnen Doch kann sich die vereinbarte Probezeit verkürzen, wenn der Azubi vor der Ausbildung bereits ein Praktikum im gleichen Betrieb absolviert hat? Schließlich hatten die Parteien bereits ausreichend Zeit, sich zu beschnuppern. Diese Meinung vertrat jedenfalls ein Lehrling, der nach zwei Monaten Ausbildung einen Rauswurf kassierte. "Nein", stellten die Richter des Bundesarbeitsgerichts (BAG) klar. Andere Vertragsverhältnisse seien auf die Probezeit nicht anzurechnen (19.11.2015, Az.: 6 AZR 844/14). Auch bei den Arbeitszeiten und beim Urlaub gelten für Jugendliche andere Bedingungen als für Erwachsene. "Auszubildende, die noch nicht 18 Jahre alt sind, dürfen nach dem Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG) grundsätzlich maximal acht Stunden täglich und 40 Stunden wöchentlich arbeiten", weiß Hufnagel. Für erwachsene Auszubildende gilt das Arbeitszeitgesetz mit etwas großzügigeren Regelungen Unternehmer sollten jedoch kalkulieren, dass die Azubis auch in der Berufsschule lernen: Auf die gesetzliche Arbeitszeit werden nach dem BBiG bei jugendlichen Auszubildenden die Berufsschultage mit mehr als fünf Unterrichtsstunden von je 45 Minuten mit acht Stunden angerechnet. Berufsschulwochen mit einem Blockunterricht von mindestens 25 Stunden an mindestens fünf Tagen zählen sogar mit 40 Stunden. "Überstunden sind nur innerhalb der Regeln des Jugendarbeitsschutzgesetzes und des Arbeitszeitgesetzes zulässig", betont Fachanwalt Hufnagel. Je jünger, desto mehr Urlaub Auszubildende, die zu Beginn des jeweiligen Urlaubsjahres noch nicht 16 Jahre alt sind, haben laut JArbSchG Anspruch auf 30 Werktage Urlaub. Wer noch nicht 17 Jahre alt ist, hat mindestens 27 Werktage frei, noch nicht 18 Jahre alte Auszubildende mindestens 25. Für erwachsene Auszubildende gilt das Bundesurlaubsgesetz, das jedem Arbeitnehmer einen Urlaubsanspruch von mindestens 24 Werktagen sichert. Hufnagel weist allerdings darauf hin, dass als Werktage die Tage von Montag bis Samstag gelten. Für Lehrlinge, die in einer Fünf-Tage-Woche arbeiten, muss der Urlaubsanspruch daher heruntergerechnet werden. Auszubildende müssen zudem angemessen bezahlt werden. Der Gesetzgeber sagt, dass die Vergütung nach dem Lebensalter des Auszubildenden so bemessen sein muss, dass sie mit fortschreitender Berufsausbildung, mindestens jährlich ansteigt (Paragraf 17 BBiG). "Eine fixe Regelung bei der Vergütung gibt es nicht", betont Hufnagel. Es komme auf die sogenannte Verkehrsauffassung an. Dabei spiele die Branche eine Rolle. Gebe es einen Tarifvertrag für die Branche, müsse sich der Arbeitgeber daran orientieren, selbst wenn er nicht tarifgebunden sei. Eine Abweichung von über 20 Prozent sei laut Rechtsprechung unzulässig. Das musste sich jüngst auch ein Ausbildungsbetrieb sagen lassen, der seinem Azubi beinahe 50 Prozent weniger zahlte als üblich. Der Lehrling klagte nach erfolgreichem Abschluss seiner Lehre 20.000 Euro ein und bekam Recht (Bundesarbeitsgericht, 29.04.2015, Az.: 9 AZR 108/14). Ordentliche Kündigung nicht möglich Und wenn es im Ausbildungsverhältnis kracht? So sind etwa wiederholtes Zuspätkommen oder Schwänzen des Unterrichts Verhaltensweisen, über die sich Ausbilder häufig ärgern. Zur Kündigung berechtigen sie jedoch nicht ohne Weiteres. Hufnagel erklärt: "Nach der Probezeit kann das Ausbildungsverhältnis nur noch aus wichtigem Grund, also fristlos, gelöst werden. Eine ordentliche Kündigung ist nicht möglich. Für eine fristlose Kündigung muss dem Arbeitgeber aber die Fortsetzung des Ausbildungsverhältnisses unzumutbar sein. Was unzumutbar ist, hängt immer davon ab, was der Azubi angestellt hat. Straftaten gegenüber dem Arbeitgeber führen direkt zur fristlosen Kündigung. Geht es aber um Zuspätkommen oder Schwänzen, wird der Arbeitgeber einige Male abmahnen müssen, bevor er kündigen kann." Wie hoch die Messlatte im Einzelfall liegt, musste auch ein Betrieb erfahren, der - ähnlich wie im Ausgangsfall - einen 19-jährigen Azubi vor die Tür gesetzt hatte. Der junge Mann war bereits mehrfach abgemahnt worden, weil er die Berufsschule geschwänzt und gegen das Rauchverbot verstoßen hatte. Für eine Kündigung nicht genug, urteilten die Richter. Wenn nicht ganz gravierende Verstöße, wie eine Straftat, vorlägen, könne bei einem Ausbildungsverhältnis regelmäßig erst nach einer ganzen Kette von Pflichtwidrigkeiten, vergeblichen Erziehungsversuchen und Abmahnungen an eine Kündigung gedacht werden, betonte das Arbeitsgericht Dortmund (13.01.2015, AZ.: 2 Ca 4062/14). Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Ausbildung www.verkehrsrundschau.de/dossiers Verbundausbildung Auch kleine Betriebe können ausbilden An Ausbildungsstätten stellt der Gesetzgeber strenge Anforderungen."Die Ausbildungsstätte muss nach Art und Einrichtung für die Berufsausbildung geeignet sein und die Zahl der Auszubildenden muss in einem angemessenen Verhältnis zur Zahl der Ausbildungsplätze stehen", erklärt Nico Schönefeldt, Leiter des Referats Berufsbildungsrecht beim DIHK. Was noch als angemessen gelte, sei allerdings immer eine Frage des Einzelfalls. "Wer feststellt, dass er nicht alle Ausbildungsbereiche abbilden kann, kann sich mit einer anderen Ausbildungsstätte im Rahmen einer sogenannten Verbundausbildung zusammenschließen", rät der Experte. In diesem Fall wird vertraglich vereinbart, dass ein Ausbilder beim Kooperationspartner einen Teil der Ausbildung übernimmt. "Diese Vereinbarung gehört in den Ausbildungsvertrag und muss als Verbundausbildung bei der IHK eingetragen werden", so Schönefeldt. Zum Thema Verbundausbildung berät die IHK. ir

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