Wie Spediteure Azubis an Land ziehen

Selten hatten junge Leute so gute Chancen, einen Ausbildungsplatz in der Transport- und Logistikbranche zu ergattern. Denn den Unternehmen gehen die Bewerber aus. Wie viele Ausbildungsstellen zum Start des neuen Ausbildungsjahres leer geblieben sind, steht zwar bislang nicht fest, da die Zahlen des Bundesinstituts für Berufsbildung und der Bundesagentur für Arbeit noch nicht final ausgewertet sind. Unternehmensaussagen zufolge dürfte sich die Lage auf dem Ausbildungsmarkt aber nicht entspannt haben. "Es gibt deutlich mehr Angebote an Ausbildungsplätzen als unversorgte Jugendliche", formuliert es Ulrike Friedrich, Referatsleiterin Ausbildungsmarketing, -analysen und Digitalisierung Bereich Ausbildung des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK). Das ist insofern bitter, weil dem Transport- und Logistikgewerbe auch im vergangenen Jahr die Nachwuchskräfte fehlten. So blieben bei den Fachlageristen in 2015 ganze 22,2 Prozent mehr Ausbildungsplätze offen als in 2014 und bei den Fachkräften für Lagerlogistik waren es 24,4 Prozent. Bei den Berufskraftfahrern blieben in diesem Zeitraum sogar fast 25 Prozent mehr Ausbildungsplätze unbesetzt als 2014 und bei den angehenden Kaufleuten für Spedition und Logistikdienstleistung erhöhte sich der Anteil der unbesetzten Ausbildungsplätze in 2015 von 2,4 auf vier Prozent. Vor allem kleine und kleinste Betriebe tun sich schwer, junge Menschen für sich zu begeistern, hat das Institut für Mittelstandsforschung (IfM) in Bonn ermittelt. "Allein zwischen 2011 und 2013 blieb jeder zweite Ausbildungsplatz unbesetzt, bei den Großbetrieben war es nur jede fünfte Stelle", nennt IfM-Präsidentin Friederike Welter Zahlen. Der Trend zum Studium und die sinkende Zahl an Schulabgängern schlagen in den Betrieben also voll durch. So hatten DIHK-Zahlen zufolge im Jahr 2015 rund 150.000 mehr junge Leute ein Studium begonnen als in 2005. Gleichzeitig ist die Zahl der Lehrstellenbewerber um etwa 190.000 gesunken, heißt es. Pragmatische Generation Z Erschwerend kommt hinzu, dass nun die Generation Z in das Berufsleben drängt, also jugendliche Bewerber, die in den Jahren von 1995 bis 2010 zur Welt kamen. Und diese Generation weiß offenbar sehr genau, wie sie sich ihr Berufsleben bis 25 vorstellt. "Die jungen Menschen wünschen einen planbaren Aufstieg in einem Job, von dessen Sinn sie überzeugt sind", sagt Mathias Albert, Politikwissenschaftler der Universität Bielefeld und Co-Autor der Shell-Jugendstudie von 2015 (siehe Kasten Seite 16). 2558 junge Leute zwischen 12 und 25 waren für diese Untersuchung befragt worden. Von einer "pragmatischen Generation im Aufbruch" sprechen die sieben Autoren. Zum ersten Mal steht damit eine Zielgruppe im Fokus, die ausschließlich im vereinten Deutschland aufgewachsen ist und kalten Krieg, Mauerfall und andere Ereignisse vor 1990 nur aus dem Schulunterricht kennt. Orientierung statt Selbstverwirklichung Anderseits haben diese jungen Leute bereits Wirtschaftskrisen und Terrorschlagzeilen erlebt und sorgen sich deshalb um ihre Zukunft. "Für diese Jugendlichen ist ein stabiles persönliches Umfeld mit Familie und Freundeskreis genauso wichtig wie ein anregendes Berufsleben", sagt Albert. Als Konsequenz wünschen über 90 Prozent der Befragten sichere Arbeitsplätze, die Familie, Freizeit und Beruf optimal vereinbaren. Wenn also Arbeitgeber flexible Arbeitszeiten, Freistellungen für die Elternzeit, Teilzeitarbeitsplätze und andere familienfreundliche Arbeitszeitlösungen bieten, punkten sie der Shell-Studie zufolge bei fast jeder Nachwuchskraft. Interessanterweise wünschen sich gleichzeitig viele 14- bis 17- Jährige Geborgenheit und Orientierung in einer immer unübersichtlicheren Welt und sind gerne bereit, vorhandene Leistungsnormen zu übernehmen, wie die Jugendstudie des Berliner Sinus-Instituts zeigt. Vorbei sind also offenbar die Zeiten, als Jugendliche in erster Linie sich selbst verwirklichen wollten. Als Konsequenz dürften in Zukunft wieder führungsstarke Ausbilder gefragt sein, die dem beruflichen Nachwuchs die Richtung vorgeben und frühzeitig Talente für höhere Aufgaben entdecken. Die Logistikunternehmen sollten deshalb schon bei den Einstellungsgesprächen mitteilen, raten Experten, dass sie den beruflichen Nachwuchs nach der Ausbildung mit dualem Studium, Coaching-Programmen und anderen Qualifizierungsmaßnahmen fördern. Dies empfiehlt auch Susanne Stephan, Personal- und Ausbildungsleiterin der Spedition Wackler, beim Umgang mit der Generation Z: "Diese Jahrgänge lassen sich nicht mehr so leicht wie frühere Generationen an eine Firma binden. Bei ihren Bewerbungsgesprächen loten die meisten Kandidaten alle Möglichkeiten aus, bevor sie sich für ein Unternehmen entscheiden", beobachtet Stephan. Vor allem der Wunsch nach ausreichend Freizeit für Familie und Freunde werde deutlich häufiger als noch vor wenigen Jahren geäußert, bestätigen viele andere Personalverantwortliche. Wobei das Thema 'Work-Life-Balance' auch für ältere Mitarbeiter eine zentrale Rolle spiele", betont Kathrin Sürie, Personalleiterin der Rieck Logistik Gruppe. Wirkliche Unterschiede gibt es ihrer Meinung nach nur noch beim Umgang mit digitalen Medien. Fast jeder Bewerber für einen Ausbildungs- oder Studienplatz hat in diesem Punkt mehr Erfahrung als ältere Beschäftigte. Allerdings birgt die Affinität der Generation Z zu neuen Medien auch Nachteile. So gaben Auszubildende des Göttinger Logistikunternehmens Zufall in einer betriebsinternen Umfrage unlängst zu, dass sie sich kaum zwei Stunden am Stück ohne Blick aufs Smartphone konzentrieren können. Weiterbildungsangebote für Azubis Als positiv wertet Heike Hinze, Personalmanagerin bei Zufall, indes, dass die Jugendlichen heute "weit mehr als frühere Jahrgänge nach attraktiven Weiterbildungsangeboten fragen. Der Wunsch, auch nach der Ausbildung im Unternehmen zu bleiben, ist offenbar groß." Auch deshalb hat die Göttinger Speditions- und Logistikfirma in den letzten Jahren ihr Weiterbildungsangebot kräftig ausgebaut. So gibt es seit 2015 ein 20-tägiges Coaching-Programm für künftige Führungskräfte. Damit orientiert sich das Unternehmen an Dachser und GLS, die schon vor Jahren eigene Akademien aufgebaut haben, wo sich jeder Mitarbeiter nach seiner Ausbildung zum Betriebswirt weiterbilden oder Themen wie Mitarbeiterführung, Rhetorik, Projektmanagement und IT-Anwendung erlernen kann. Azubis mit Sport fördern und fordern Für kleinere Betriebe eignen sich dagegen gemeinsame Weiterbildungsangebote mit Netzwerkpartnern oder regionalen Bildungsträgern und Hochschulen. Viele Firmen ermuntern qualifizierte Jugendliche nach ihrer Ausbildung auch, eine duale Hochschule zu besuchen und die Praxisphasen im Unternehmen zu absolvieren. "Ich ziehe Studenten mit Ausbildung vor, weil diese eine größere Praxiserfahrung haben und nach dem Studium sofort mit anspruchsvollen Projekten beauftragt werden können", sagt Birgit Bergemann, Geschäftsführerin der John Spedition in Fulda. Dort erarbeiten aktuell zum Beispiel zwei ambitionierte Nachwuchslogistiker ein Online-Marketing-Konzept sowie ein Konzept zur besseren Lkw-Auslastung. Für Bergemann sind solche Aufgaben auch Maßnahmen zur Mitarbeiterbindung, wenn kurz- und mittelfristig keine Führungspositionen frei werden. Viele Unternehmen haben jedoch nicht nur berufliche Inhalte im Portfolio, um Nachwuchs zu halten. So bietet das Unternehmen Wackler über klassische Schulungsthemen wie Telefongesprächsführung hinaus auch sportliche Events wie Kanufahren an, erzählt Personalmanagerin Stephan. Auch Dachser fördert und fordert seine Azubis mit Sport. Dort treten alljährlich Ende April auf dem "Message Day" rund 100 Nachwuchslogistiker aus süddeutschen Niederlassungen in mehreren Sportarten gegeneinander an. "Wir wollen so Teambuilding, Networking und Ideenreichtum stärken", sagt Dachser-Personalchefin Martina Szautner. Wie viele andere Logistikunternehmen ermuntert Dachser seine Auszubildenden auch zu mehrwöchigen Praktika in Auslandsniederlassungen. Wobei sich Jugendliche der Generation Z dem Vernehmen nach offenbar mit langfristigen Auslandsaufenthalten nach ihrer Ausbildung und dem Studium schwertun, weil sie ihr gewohntes Umfeld für mehrere Jahre aufgeben müssten. "Wir machen aus diesem Grund verstärkt deutlich, dass eine mehrjährige Tätigkeit im Ausland auch den weiteren Berufsweg im Unternehmen fördert", betont Beate Maak, Personalchefin der international tätigen Spedition A. Hartrodt. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Ausbildung www.verkehrsrundschau.de/dossiers VR-Aktion: Mitmachen und gewinnen! Die Zahl der Schulabgänger sinkt seit Jahren. Gleichzeitig streben immer mehr Jugendliche in ein Studium als in eine berufliche Ausbildung. Mit der Folge, dass vielerorts in der Transport- und Logistikbranche Nachwuchs-Fachkräfte fehlen.Die VerkehrsRundschau startet deshalb die Aktion"Mitmachen und gewinnen!" Senden Sie uns dafür Ihre besten Ideen zur Azubi-Gewinnung! Wir wählen dann die spannendsten Projekte aus und stellen diese in den kommenden Ausgaben in der VerkehrsRundschau vor. Mail bitte direkt an eva.hassa@springer.com. eh Praxislösung Zufall Logistics: "Wir schauen sehr auf die Persönlichkeit" Qualifizierten Nachwuchslogistikern traut Zufall Logistics Group viel zu. Wenn sie drei Jahre lang in dem Göttinger Logistikunternehmen gearbeitet haben, können sie sich um die Teilnahme an einem Führungsnachwuchsprogramm bewerben. Das erste startete im Oktober 2015 und endet im Dezember 2016. 13 gewerbliche und kaufmännische Mitarbeiter nehmen teil, die meisten sind 30 bis 40 Jahre alt.Sie besuchen vier jeweils zweitägige Seminare über Mitarbeiterführung, Nachhaltigkeit und Veränderungsmanagement und erleben das Gelernte in einer Outdoor-Veranstaltung. In weiteren Seminaren beschäftigen sich die künftigen Führungskräfte mit methodischen und fachlichen Themen. Sie lernen unter anderem, wie sie Gespräche mit Mitarbeitern führen und Konflikte lösen. Zudem werden sie in Arbeitsrecht und Controlling eingewiesen. Eine einjährige Projektarbeit in Kleingruppen schließt das Programm ab, die Themen vergeben die Geschäftsführung und das Qualitäts- und Prozessmanagement.Im Januar 2017 startet das nächste Programm, im Oktober 2016 werden die Teilnehmer ausgewählt."Wir schauen sehr auf die Persönlichkeit", sagt Personalmanagerin Heike Hinze. Den bislang jüngsten Bewerber, einen 25-Jährigen, hat sie deshalb auf eine spätere Teilnahme vertröstet. bot

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