Auf der Schiene nach China

Auf der Schiene nach China Die neue Seidenstraße Rund 20 Tage sind Güter von Mitteleuropa auf der Schiene nach China unterwegs. Ein Zeitvorteil gegenüber dem Seeweg, der bei immer mehr Verladern und Spediteuren den Kostennachteil aussticht. So sieht ein Wachstumsmarkt aus: Als Far East Land Bridge (Felb), Operateur für Fernost-Verkehre der Russischen Eisenbahn RZD, 2008 in den Markt ging, schlug er mit schienenbasierten Door-to-Door-Verkehren von europäischen Metropolen über Sibirien nach China ein paar 100 Container (20 und 40 Fuß) im Jahr um. Heute meldet das Tochterunternehmen ein Jahresvolumen von ungefähr 25.000 Einheiten bei drei bis vier Abfahrten in der Woche. Die meisten Verkehre gehen an die Ostküste nach Beijing, Shanghai und Tianjin sowie nach Chongqing, der 30-Millionen-Einwohner-Megacity im Südwesten. „Wir haben den Schienenverkehren nach Fernost feste Strukturen gegeben, indem wir als erster Anbieter auf Basis einheitlicher Frachtpapiere standardisierte Abläufe für Buchung, Warenumschlag, Verzollung, Abrechnung und andere Vorgänge entwickelten“, erklärt Leonardo Vender, Marketing & Sales-Manager von Felb den Erfolg. Rund 11.000 Kilometer müssen Güterzüge von Mitteleuropa nach China zurücklegen. Abhängig von Ladung und Streckenführung dauert der Transit über die Transsibirische Eisenbahn zwischen 18 und 25 Tagen. Per Schiff müssten die Container über 20.000 Kilometer zurücklegen und wären vier bis fünf Wochen unterwegs – der Zeit- und Entfernungsvorteil der Schiene ist offenkundig. Allerdings sind die Kosten (rund 7000 Euro pro 40 Fuß-Container) deutlich höher. Je nach Sendung kommen Schienentransporte zwei bis vier Mal teurer als Schiffstransporte. „Vor allem Hersteller von hochwertigen Produkten aus der Automotive-, Elektronik-, Konsumgüter- und Modeindustrie, die mit kurzen Produkteinführungzeiten kalkulieren, nutzen die Bahn“, registriert Daniel Wieland, Projektmanager von DB Schenker für China-Verkehre. Tendenz steigend Wie DHL, Gefco, Hupac oder Kühne + Nagel ist auch DB Schenker ein wichtiger Kunde von Felb. 2011 stieg die Bahntochter mit eigenen Angeboten in den vielversprechenden Markt ein. Als erstes Logistikunternehmen bot sie wöchentliche Linienverkehre nach Chongqing an. Für den Großkunden BMW werden wöchentliche Züge von Leipzig und Wackersdorf nach Shenyang in Nordostchina organisiert, wo der Autokonzern an drei Standorten 3er- und 5er-Limousinen sowie Otto-Motoren produziert. „Wir planen eine weitere regelmäßige Verbin-dung nach Zhengzhou“, verrät Wieland. Anfang August traf ein erster Zug mit 51 Containern aus der zentralchinesischen Industriemetropole in Hamburg-Billwerder ein. Vermarktet werden alle Züge von Trans Eurasia Logistics (TEL). Das mit RZD bereits 2008 gegründete Joint Venture konzipiert nach dem Aufbau von Russland-Verkehren jetzt durchgehende Verkehre nach China und andere fernöstliche Länder. Über 150 Ganzzüge mit insgesamt 9000 40-Fuß-Containern transportiert DB Schenker jährlich von und nach China, Tendenz weiter steigend. Solche Erfolge haben auch andere Logistikkonzerne hellhörig gemacht. Seit Anfang Mai bietet DHL kombinierte Schienen- und Straßenverkehre ab der Hafenmetropole Shanghai und der südwestchinesischen Industriestadt Chengdu an. „Unser Angebot knüpft nahtlos an das Stückgutnetzwerk in Europa an“, versichert DHL Freight-Chef Amadou Diallo. Im Gegensatz zu DB Schenker bietet DHL keine durchgehenden Schienenverkehre an: Ab dem polnischen Grenzort Malaszewicze übernehmen Lkw-Züge die Ladungen, was dem Konzern zufolge vor allem für Kunden ohne Bahnanschluss deutlich günstiger ist. Wenig Strukturen, hohe Kosten Vom Angebot für Shanghai abgesehen, haben alle DHL-Schienenverkehre eines gemeinsam: Die Ziele liegen im Landesinnern, nicht an der Ostküste. Für Schiffstransporte wären deshalb langwierige Lkw-Vor- und Nachläufe notwendig. Genau dies aber scheuen viele Verlader angesichts der örtlichen Logistikstrukturen. Veraltete Lager, welche in den 70er- und 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts errichtet worden sind, sowie unzählige Kleinunternehmen, welche nur geringe Ladevolumina umschlagen können, machen Liefer- und Zustellverkehre teuer und ineffizient. Laut China Logistics Association belaufen sich die Logistikkosten im Reich der Mitte auf 18 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – in den USA und vielen europäischen Ländern sind es acht Prozent. Auch die Netze der internationalen Carrier sind keine Alternative. Rund 60 bis 100 Stützpunkte haben UPS, Fedex, DHL oder die auf Asien-Verkehre spezialisierte Kerry Logistics in China. Trotz massiver Investitionen sind alle Marktteilnehmer von einer flächendeckenden Präsenz weit entfernt. Vor diesem Hintergrund sind Schienen-verkehre mit der Transsibirischen Eisen-bahn eine attraktive Alternative. Vor allem im rund 1500 Kilometer vom Meer entfernten Chongqing setzen Politiker und Wirtschaftsführer große Hoffnungen auf die Landverbindung nach Europa und schwärmen bereits von einer „neuen Seidenstraße“. Mit seiner florierenden IT-, Elektronik-, Aluminium- und Stahlindustrie bietet Chongqing jede Menge Potenzial für weitere Europa-Verkehre. Von solcher Euphorie lässt sich auch manches europäische Unternehmen anstecken. So gibt es bei der Österreichischen Bundesbahn konkrete Überlegungen, die russische Breitspurbahn von der slowakisch-ukrainischen Grenze auf über 500 Kilometern nach Wien zu verlängern. „Eine solche Maßnahme würde Wien zum Hamburg der Schienengüterverkehre machen“, schwärmt der österreichische Bahnchef Christian Kern. Das vermutlich sechs Milliarden Euro teure Bauvorhaben macht nicht zuletzt deshalb Sinn, weil der zweifache Spurwechsel während jeder Fahrt weiterhin als Schwachpunkt gilt. Zwar klappt der operative Umschlag per Kran reibungslos, versichern alle Markteilnehmer – allerdings sind die Kapazitäten der Terminals vor allem an den Grenzübergängen von China nach Russland beziehungsweise Kasachstan begrenzt. Doch auch bei längeren Aufenthalten ist die Sicherheit gewährleistet. Alle Container sind mit GPS ausgerüstet und werden von einer Leitstelle kontinuierlich überwacht. DHL bietet zusätzlich RFID-gestütztes Monitoring an: Von solchen Angeboten können die von Piraterie in Mitleidenschaft gezogenen Seeverkehre nur träumen. ❙❚■ Stefan Bottler, freier Journalist Immer mehr Unternehmen planen regelmäßig Schienenverbindungen nach China Zwei Routen in Richtung Osten Streckenalternativen für Transporte nach China Zwei Schienenrouten stehen für China-Verkehre zur Verfügung: Die 12.920 Kilometer lange Nordroute führt über Moskau und Jekaterinburg zur russisch-chinesischen Grenze und wird vor allem für Transporte nach Nordostchina genutzt. Eine Direktverbindung durch die Mongolei macht diese Route um fast 700 Kilometer kürzer. Die lediglich 10.320 Kilometer lange Südroute zweigt bei Jekaterinburg Richtung Kasachstan ab und ist für Transporte nach Zentral- und Südchina die bessere Alternative. bot

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