Auf dem Weg zur Talentschmiede

Kleenex-Taschentücher auf dem Schreibtisch? Für Gabriele Schwarz, Gesellschafterin der Wackler Spedition und Prokuristin in der Schwarz-Gruppe in Göppingen, ist das normal: "Die Rolle des Psychologen ist heute wichtiger als noch vor 20 Jahren. Jugendliche sind durch die heutige gesellschaftliche Entwicklung wie Trennung der Eltern problembehafteter", meint sie. Insofern brauche sie die Kleenex-Taschentücher für ihre Azubis fast häufiger als früher. Für Schwarz, auch Vorsitzende der-Kommission für Berufliche Bildung des Deutschen Speditions- und Logistikverbandes (DSLV), ist dies kein Widerspruch zu dem ansonsten selbstbewussten und -bestimmten Auftreten der Generation Z, also den nach 1995 Geborenen. "Die Jugendlichen heute sind sehr eigenständig. Sie wissen genau, was sie wollen und was nicht", beobachtet sie. Ihnen sei das Thema Work-Life-Balance, sprich das Verhältnis Arbeits- und Freizeit, sowie die Vergütung wichtiger als früher. "Wenn man als Arbeitgeber nicht aufpasst, sind die schnell weg." Um das zu verhindern, engagiert sich Schwarz mit ihrem Team sehr: So lädt sie zum Ausbildungsbeginn alle Auszubildenden der Unternehmensgruppe zu einem "Azubi-Wochenende" in eine Berghütte ein. "Die Jugendlichen sollen sich untereinander und unser Team kennenlernen", sagt sie. "Gleichzeitig wollen wir ihnen über ein Team- und ein Kommunikationstraining auch die Werte unseres Familienbetriebs vermitteln." Azubis wählen Sprecher So mussten die Azubis an diesem Wochenende mit einem ausgeklügelten Drahtseil-System und Holzklötzen einen Turm errichten oder auch Begrifflichkeiten pantomimisch vor der Gruppe präsentieren, erklärt Schwarz. Ziel sei es, spielerisch - mit Bezug auf die Arbeitswelt - zu vermitteln, wie sie mit anderen vernünftig kommunizieren, zuhören, Anweisungen befolgen und konstruktiv argumentieren. "Sieben Mal sind die Azubis mit ihrem Turmbau gescheitert", erzählt sie und lacht. "Letztlich haben sie es zwar nicht geschafft, aber es hat sie auch nicht verunsichert." Schwarz ist überzeugt, dass solche Events wichtig sind, um Jugendliche ins Unternehmen zu integrieren. Gerade zu Beginn der Ausbildung müssten sich die jungen Leute kennenlernen. "In der Spedition müssen alle zusammenarbeiten, der Lagerist, der Fahrer, der Disponent." Genau das versucht die Ausbilderin zu fördern - immer wieder durch unterschiedlichste Maßnahmen -, auch während der Ausbildung der Azubis. So gibt es bei Wackler pro Berufsbild und Ausbildungsjahr jeweils einen "Azubi-Sprecher", der von allen Auszubildenden gewählt wird und deren Anliegen gegenüber der Firmenleitung vertritt. Zusätzlich unternimmt Schwarz regelmäßig Ausflüge mit ihren Azubis, etwa in den Klettergarten, zum Bowling, unlängst sogar zum "Digitalen Spielplatz" der Kreissparkasse. "Gerade von dieser Bank kann man sich in puncto Ausbildung viel abschauen", meint sie. "Diese setzen zum Beispiel die neuen Medien stärker als unsere Branche ein, um Azubis Ausbildungsinhalte zu vermitteln." Wechsel zum Wettbewerber Überhaupt ist die engagierte Ausbilderin überzeugt, dass es hilft, sich nach Lösungen in anderen Branchen umzusehen. Denn eines steht für die Prokuristin fest: "Die Wechselbereitschaft der Jugendlichen ist heute höher als früher. Nach der Ausbildung wechseln viele - im besten Fall zu unseren Kunden, ins Studium und im schlimmsten Fall zu unserem Wettbewerber." Wie sie das verhindern kann, weiß auch Schwarz nicht. "Die eine Lösung gibt es nicht. Wenn man sich aber als Arbeitgeber engagiert, hilft das schon sehr, Jugendliche zu halten." "Ausbildungsbetriebe müssen sich heute mehr engagieren, um ihre Auszubildenden zu halten - der ,War for Talents' ist in vollem Gang, und zwar in jeder Branche", sagt auch Florian Kaiser, Leiter des Referats Bildungsberatung Industrie und Handelskammer (IHK) für München und Oberbayern. "Da ist ein regelrechter Wettstreit ausgebrochen. Zumal die heutige Generation Z anspruchsvoller und fordernder ist." Die Zahlen des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) sprechen eine deutliche Sprache. Seit dem Jahr 1997 ist die Zahl der Vertragslösungen/Abbrüche vor Ablauf der im Berufsausbildungsvertrag genannten Ausbildungszeit deutlich angestiegen. So lag 1997 dieser Anteil bei 13,6 Prozent, 2008 bei 15,5 Prozent und im Jahr 2015 bei 17,9 Prozent - jeweils bezogen auf den Ausbildungsberuf Kaufmann/Kauffrau für Spedition und Logistikdienstleistung. Und in gewerblichen Berufen wie Fachkraft der Lagerlogistik und Berufskraftfahrer, so die Einschätzung diverser Unternehmer, dürften die Zahlen noch höher sein. Für die Ausbildungsbetriebe ist das schmerzhaft, vor allem aber teuer. "Unterm Strich kostet die Ausbildung eines Azubis einen deutlich fünfstelligen Euro-Betrag im Jahr - nicht gerechnet die Zeit, die unsere Mitarbeiter in die Betreuung der Auszubildenden investieren", sagt Volker Zimmermann, Director Human Resources der Unternehmensgruppe Elsen in Wittlich. Weniger ausbilden will er aber auf keinen Fall: "Der Kampf um talentierte Kräfte ist da - gerade in unserer Branche. Und die eigene Ausbildung ist nach wie vor die beste Nachwuchssicherung", betont er. Gerade deshalb sei es für Elsen so wichtig, junge Menschen nicht nur auszubilden, sondern nach ihrer Ausbildung auch zu halten. Förderprogramm: vom Azubi zum Chef Mit dem Personalentwicklungsprogramm "Next Generation - vom Auszubildenden zum Geschäftsführer", das die Firmengruppe im vergangenen Jahr aufgelegt hat, soll genau das gelingen. Ziel sei es, erklärt der Personalchef, Mitarbeiter künftig noch besser entsprechend ihren Talenten und Stärken zu fördern und die Durchgängigkeit zwischen den Hierarchien zu erhöhen. Denn beides trage entscheidend zur Motivation eines Mitarbeiters bei, weiß er. Im "Next-Generation-Programm" beschreibt Elsen nun für jeden nachvollziehbar, welche Voraussetzungen für den jeweils nächsten Schritt auf der Karriereleiter erfüllt und welche Fördermaßnahmen dabei in Anspruch genommen werden können. Die Förderung erstreckt sich von speziell konzipierten Workshop-Reihen und Trainings bis zum arbeitgeberfinanzierten Studium. "Wer ehrgeizig und kompetent ist und die berufsbegleitenden Weiterbildungsmöglichkeiten nutzt, kann es im Rahmen dieses Programms bei uns vom Azubi bis zum Geschäftsführer bringen", sagt Zimmermann. "Wir gehen da aber nicht nach dem Gießkannen-Prinzip vor. Der einzelne Mitarbeiter muss sich schon qualifizieren." Prinzipiell steht die Förderung sowohl Azubis in kaufmännischen als auch in gewerblichen Ausbildungsberufen offen. Sprich: Die Anzahl der Mitarbeiter, die an dem Förderprogramm teilnehmen können, ist grundsätzlich nicht begrenzt, die Fördermaßnahmen müssten nur budgetiert werden. Aber auch Auszubildende, die nicht an dem Förderprogramm teilnehmen, haben bei Elsen gute Aussichten auf eine berufliche Zukunft, sagt Zimmermann. "Wir bilden für den eigenen Bedarf aus und haben in den vergangenen Jahren stets mehr als 80 Prozent der Azubis übernommen." Partnerschaftliches Miteinander hilft Nicht jedes Ausbildungsunternehmen hat indes die Größe und Finanzkraft einer Elsen-Gruppe, um ein solches Programm für Azubis aufzulegen. Das ist auch nicht immer nötig. "Oft sind es die kleinen Sahnetupfer, die die Ausbildung angenehm gestalten", weiß IHK-Ausbildungsexperte Kaiser. Kommunikationsseminare für die Azubis, die Seminarreihe "Azubi-Fit" in Vorbereitung auf die Abschlussprüfung oder einige Monate in der Auslandsniederlassung des Unternehmens könnten auch kleinere Betriebe umsetzen - fallweise auch in Kooperation mit anderen Firmen im gemeinsamen Ausbildungsverbund. Wobei sich kleinere Betriebe laut Kaiser sowieso leichter tun, junge Leute an sich zu binden, da die Hierarchien dort flacher, die Ausbildung generalistischer und so deren Verantwortlichkeit oft höher sei als in Konzernen. "A und O ist aber ein Ausbildungsplan durch den Ausbildungsverantwortlichen. Den muss jede Firma erstellen - egal ob groß oder klein", betont der IHK-Referent. Wichtige Bausteine sind eine Begrüßungsveranstaltung, ein Patensystem im Unternehmen, jeden Monat innerbetriebliche Schulungen der Azubis sowie als "Zuckerl" eine Woche Abschluss-Prüfungsvorbereitungszeit, führt Kaiser aus. Wer hier Rückfragen habe, könne sich an seine IHK wenden. Dort gebe es Bildungsberater, die zu Fragen der Ausbildungsgestaltung konsultiert werden können. Wichtigster Rat, den Kaiser Firmenchefs für das neue Ausbildungsjahr an die Hand gibt, ist: "Trauen Sie den Azubis etwas zu. Diese wollen etwas leisten und können das", ermuntert er Unternehmer, Verantwortung ruhig einmal zu delegieren. Klar brauche es bei Azubis anfangs mehr Geduld und Verständnis, da der Übergang von Schule in den Beruf schwierig sei. "Ein partnerschaftliches Umgehen hilft hier aber meist beiden Seiten: sowohl dem Azubi als auch dem Arbeitgeber, der sich so den qualifizieren Nachwuchs von morgen sichern will." Mehr zum Thema im Dossier Aus- und Weiterbildung www.verkehrsrundschau.de/dossiers Ausbildungsinitiative Fachkräfte von morgen Auch der Verlag Heinrich Vogel, in dem die VerkehrsRundschau erscheint, engagiert sich für den Branchennachwuchs. Die Nachwuchsinitiative "Hallo, Zukunft!" zeigt Gymnasiasten, Real- und Hauptschülern die Chancen und Möglichkeiten der Berufe in Verkehr und Logistik auf. Getragen wird das Projekt vom Bundesverkehrsministerium, dem Verlag Heinrich Vogel und Toll Collect. Die Initiative besteht aus digitalen Angeboten wie der Internetseite hallo-zukunft.info, einem Newsletter und der Facebook-Seite sowie einem jährlich erscheinenden Jugendratgeber. Die Schirmherrschaft obliegt Dorothee Bär (CSU), Staatssekretärin beim Bundesverkehrsminister.mh

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