Frankfurt am Main. Wer nach einem Unfall Schadenersatz erhalten will, benötigt nicht zwangsweise das amtliche Kennzeichen des gegnerischen Fahrzeugs. Wie das Oberlandesgericht Frankfurt am Main kürzlich entschied, genügen es auch, wenn das Opfer aufgrund des unerlaubten Entfernens des Fahrer vom Unfallort hinreichende Anhaltspunkte wie eine Firmenaufschrift, das Logo oder eine Internetadresse auf dem beteiligten Fahrzeug nennen kann, um dessen Halter zu identifizieren. Der in Anspruch genommene Halter muss demnach in den Grenzen des Zumutbaren nachforschen und mitteilen, welche Kenntnisse über die Umstände einer eventuellen Unfallbeteiligung bestehen.
In diesem Fall ging es um Schadenersatzansprüche gegen eine italienische Spedition nach einem Verkehrsunfall nachts auf der A3. Im Zusammenhang mit einem Spurwechsel eines Lkw auf den Mittelstreifen wich der Geschädigte bei hoher Geschwindigkeit auf den linken Fahrstreifen aus, verlor die Kontrolle über seinen Pkw, kollidierte mit der linken Betonleitwand und überschlug sich. Der Pkw-Fahrer wurde lebensgefährlich verletzt und ist seitdem pflegebedürftig. Der Fahrer des Lkw hielt zunächst auf dem Seitenstreifen an und fuhr dann nach rund elf Minuten weiter, ohne zuvor Feststellungen zu seiner Person und seinem Fahrzeug ermöglicht zu haben.
Drei Lkw-Fahrer kamen infrage; keiner wollte es gewesen sein
Der Kläger behauptet, der Unfall sei von einem zur Flotte der Beklagten gehörenden Lkw verursacht worden und will 50 Prozent des erlittenen Schadens ersetzt haben. Der Fahrer des Lkw-Gliederzuges habe ihn offenbar übersehen, argumentiert er. Der gesamte Unfallhergang wurde zwar auf der am Unfallort installierten Verkehrsbeeinflussungsanlage per Video aufgezeichnet. Das Nummernschild ließ sich aber nicht identifizieren. Am Unfalltag befuhren insgesamt drei Lkw-Gliederzüge der beklagten Firma die A3 im Bereich der Unfallstelle. Alle drei vernommenen Fahrer gaben vor der Polizei an, nicht an einem Unfall beteiligt gewesen zu sein. Die Berufung vor dem OLG Frankfurt am Main gegen die vorherige Klageabweisung durch das zuständige Landgericht hatte dennoch Erfolg.
Der Kläger habe „hinreichende Anhaltspunkte vorgetragen, die mit gewisser Wahrscheinlichkeit eine Haltereigenschaft der Beklagten nahelegen“, lautete das Urteil. Aus der Videoaufzeichnung sei zudem ohne jeden Zweifel ersichtlich, dass der an dem Unfall beteiligte Lkw die Firmenaufschrift der beklagten Spedition trage. Auch die Heckgestaltung entspreche derjenigen der italienischen Lkw-Flotte. Das Unternehmen sei seiner Pflicht zur Unterstützung der Täterermittlung nicht ausreichend nachgekommen, um das Gegenteil beweisen zu können. Es habe etwa weder zum Fahrzeugtyp der drei in Frage kommenden Lkw vorgetragen noch Lichtbilder oder Fahrtenschreiberdaten vorgelegt.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde kann vor dem Bundesgerichtshof die Zulassung der Revision begehrt werden. (ag)
Urteil vom 20. April 2020
Aktenzeichen: 13 U 226/15