München. Zehntausende Menschen werden jedes Jahr mit Alkohol am Steuer erwischt - und wenn es nach der Bundesregierung geht, sollen diese Verkehrssünder künftig nicht mehr zur Ader gelassen werden. „Bei Verkehrsdelikten streben wir an, zur Bestimmung der Blutalkoholkonzentration auf körperliche Eingriffe zugunsten moderner Messmethoden zu verzichten”, heißt es im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD. Will heißen: Künftig sollen die Ergebnisse eines Atemtests Grundlage für eine mögliche Strafe sein - nicht mehr die eines Bluttests.
Dabei geht es nicht etwa um die herkömmlichen Pust-Geräte, die die Polizei in ihren Streifenwagen dabei hat, sondern um ausgeklügelte und sehr genaue Tester, die immer wieder bei Ordnungswidrigkeiten eingesetzt werden. Die Polizei will sie aber auch dann zum Maßstab machen, wenn es richtig brenzlig wird: In Bereichen von mehr als 1,6 Promille. Dann wird aus einer Ordnungswidrigkeit eine Straftat.
Die Gewerkschaft der Polizei verspricht sich davon, Zeit und Geld zu sparen und nennt den Artikel 2 des Grundgesetzes - das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit - als ihr Hauptargument für die Forderung „Atem statt Blut”. Verkehrsmediziner sehen diese Entwicklung allerdings sehr kritisch.
Rund 50 Prozent der Messungen mit diesen Geräten seien fehlerhaft, weil sie nicht richtig angewandt würden, teilte die Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin (DGVM) am Freitag unter Berufung auf die Ergebnisse einer Polizeistudie in Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 2010 mit. Wenn es bei Gericht dann hart auf hart komme, hielten die Ergebnisse einer juristischen Überprüfung möglicherweise nicht stand. „Will man diese Unsicherheit?”, fragt der Münchner Verkehrsmediziner Matthias Graw.
Messqualität wird laufend überprüft
Die Firma Dräger, die die Messgeräte für die Polizei als einziges Unternehmen in Deutschland herstellt, betont: „Die Messqualität der Dräger-Geräte, die im Rahmen der polizeilichen Atemalkoholmessung zum Einsatz kommen, überprüfen wir laufend.” Die Geräte, die belastbare Beweise liefern sollen, werden nach Unternehmensangaben halbjährlich geeicht, die Menschen, die sie anwenden sollen, würden regelmäßig geschult.
Es sei aber nicht einfach möglich, den Blutalkoholwert, an dem sich die Strafzumessung orientiert, durch den Atemalkoholwert zu ersetzen, warnen die Mediziner beim 10. gemeinsamen Symposium der DGVM und der Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie in München. „Im Atemalkohol haben sie früher höhere Werte”, betonte Graw.
Der Münchner Toxikologe Frank Mußhoff befürchtet durch eine Verlagerung auf Atem- statt Bluttests langwierigere Gerichtsverfahren und eine schlichte Verlagerung der Kosten von der Polizei auf die Justizbehörden. Er spricht von einem „Bärendienst für die Verkehrssicherheit”. Dabei wird nach Schätzungen der Experten ohnehin nur jede 400. Trunkenheitsfahrt entdeckt.
Doch das ist noch nicht alles, was den Medizinern Sorgen macht: Wenn es keine Blutprobe mehr gibt, fehle auch die Möglichkeit, nach anderen Substanzen wie illegalen Drogen zu suchen. Mußhoff sagt: „Es geht uns ein Beweismittel verloren.” (dpa)