Unruhige Zeiten

Gerne bezeichnet Harald Kostial sein Unternehmen als "Nummer eins für Transporte von Franken nach Frankreich": Rund 80 Prozent Umsatz macht der Fürther Unternehmer mit Touren ins größte deutsche Nachbarland. "Die Spedition Kostial gehört keinem Verbund an und kann Direktfahrten ohne Umwege über ein Hub realisieren", sagt der Inhaber des 1985 gegründeten Spezialisten für Teil- und Komplettladungen, der mit 20 eigenen Zügen und 40 weiteren Fahrzeugen von Subunternehmern disponiert. "Unsere Züge laden auch zu ungewöhnlichen Zeiten mitten in der Nacht oder am Wochenende." Als Konsequenz muss die Disposition immer wieder Wochenruhezeiten (WRZ) in Frankreich einplanen. Wenn es nach dem französischen Gesetzgeber geht, sollen die Fahrer diese in Zukunft nicht mehr im LKW verbringen. Trotzdem erwartet Kostial keine Betriebseinschränkungen. "Das Gesetz zielt vor allem auf südosteuropäische Fahrer, welche oft wochenlang ohne Unterbrechung in Europa unterwegs sind", sagt der Frankreich-Kenner. "Ich setze ausschließlich deutsche Fahrer ein und achte darauf, dass diese jedes zweite Wochenende an ihrem Wohnort verbringen." Als Folge können Fahrer der Fürther Spedition eine verkürzte WRZ einlegen, für die das neue Gesetz nicht gilt. Kostial nutzt eine besondere Regelung der Lenk- und Ruhezeitenverordnung. Jeder Fahrer darf die obligatorische WRZ auf bis zu 24 Stunden reduzieren, wenn er in der ersten Folgewoche die volle WRZ von 45 Stunden in Anspruch nimmt und in der zweiten Folgewoche die nicht in Anspruch genommene WRZ der ersten Woche ausgleicht. Anschließend kann er wieder eine verkürzte WRZ einlegen. Das Beispiel zeigt, dass mit einer geschickten Disposition lange Ruhezeiten im Nachbarland vermieden werden können. Allerdings müssen ausreichend Fahrer und Subunternehmer verfügbar sein. Weil dies nicht auf jedes Transportunternehmen mit regelmäßigen Frankreich-Verkehren zutrifft, ist die Aufregung seit dem 11. Juli 2014 groß. An diesem Tag verabschiedete die französische Nationalversammlung das neue Gesetz, das Verstöße gegen soziale Standards mit Geldbußen von bis zu 30.000 Euro belegt. Außer Niedriglöhne und Kabotagen hat der französische Gesetzgeber vor allem die WRZ im Visier. Der LKW-Fahrer darf die volle Ruhezeit von 45 Stunden nicht in der Fahrerkabine verbringen, schreibt das Gesetz vor. Wenige Wochen zuvor hat Belgien eine vergleichbare Vorschrift erlassen. Fahrer, die während der WRZ "in flagranti" im LKW erwischt werden, müssen demnach 1800 Euro zahlen. Die ersten Bußgelder sollen bereits verhängt worden sein. DSLV und BGL: Vorschriften einhalten Die Verbände DSLV und BGL empfehlen, die neuen Vorschriften unbedingt zu einzuhalten. "Jedes Unternehmen, das 45-stündige Wochenruhezeiten einplanen muss, sollte für seine Fahrer Schlafstätten außerhalb des LKW organisieren und die Kosten übernehmen", rät Adolf Zobel, stellvertretender Geschäftsführer des BGL. Allerdings sieht sich von der veränderten Rechtslage in Belgien kaum ein deutsches Verkehrsunternehmen wirklich betroffen. In diesem Kleinstaat, der mit 32.545 Quadratkilometern nicht ganz so groß wie Baden-Württemberg ist, kann jede Tour inklusive Rückfahrt bis zur Grenze innerhalb eines Tages organisiert werden. Anders Frankreich. Die Grande Nation ist nicht nur Zielland zahlreicher internationaler Touren, sondern auch Transitland für praktisch alle Spanien- und Portugal-Verkehre. Wer von Deutschland aus auf die iberische Halbinsel fährt, ist abhängig von Abfahrts- und Zielort vier bis sechs Tage unterwegs und muss spätestens auf der Rückfahrt eine WRZ einlegen. Auch mit einer professionellen Disposition können Ruhezeiten in Frankreich nicht immer vermieden werden. "Wenn möglich, werden unsere Fahrer diese in Spanien verbringen", sagt Falk Albrecht, Inhaber der gleichnamigen Spedition in Wuppertal. Weil Albrecht auch höherwertige Waren transportiert, legt er auf bewachte Parkplätze auch dann Wert, wenn der Fahrer im Fahrzeug übernachtet. Die wenigen Standorte, die es in Spanien gibt, gelten jedoch als völlig überteuert. Hinzu kommen Zusatzkosten durch verzögerte Rückfahrten. "Wir werden in jedem Fall Federn lassen", ahnt der Spezialist für Spanienverkehre. Albrecht spricht einen Punkt an, der nahezu jeder Spedition Kopfschmerzen bereitet. Wenn schon der Fahrer die Wochenruhezeit außerhalb des LKW verbringen muss, dann soll er diesen wenigstens auf einem bewachten Parkplatz abstellen. "An solchen Anlagen führt kein Weg vorbei", wettert Patrick Hubert, Geschäftsführer der KTS Speditions GmbH in Appenweier. "Ohne diese Voraussetzung ersetzt keine Versicherung gestohlene Ladungen." Es fehlen bewachte Parkplätze Wie in nahezu allen Ländern sind auch in Belgien und Frankreich bewachte Parkplätze, die internationalen Normen entsprechen, rar. In Belgien gibt es laut IRU nicht einen einzigen solchen Standort. Für Frankreich listet der Verband gerade mal drei LKW-Parkplätze auf, die rund um die Uhr bewacht werden, eingezäunt sind und überall Beleuchtung aufweisen. Allerdings will kein Betreiber seinen Standort mit der IRU-Höchstnote für Sicherheit bewerten. Landeskenner wundert dies nicht. "Ich habe bisher noch keine Anlage in Frankreich kennengelernt, welche die Bezeichnung 'bewachter Parkplatz' wirklich verdient", sagt Josef Abeltshauser, Inhaber der gleichnamigen Spedition. Jetzt warten die Speditionen gespannt auf die Durchführungsbestimmungen für das neue französische Gesetz. Die müssen in jedem Fall klären, ob die Behörden Rechnungen für Hotels, Campingplätze und andere Übernachtungsstätten als Belege für Ruhezeiten außerhalb des LKW akzeptieren. "Solche Papiere können leicht gefälscht werden", gibt Kostial zu bedenken. Andererseits sind Alternativen rar. Auch die Auswertung von Daten des digitalen Tachos, die immer wieder ins Spiel gebracht wird, lässt letzten Endes keine Rückschlüsse zu, wo der Fahrer die WRZ verbracht hat. Einige osteuropäische Frachtführer, die für große Speditionen und Kooperationen wie Cargoline Linienverkehre fahren, haben sich deshalb etwas einfallen lassen. Sie mieten Wohnungen an, in denen die Trucker ihre Ruhezeiten verbringen. "In Zukunft werden diese Fahrer keine Tour ohne Kopie des Mietvertrags antreten", ist Bernd Höppner, stellvertretender Geschäftsführer von Cargoline, überzeugt. Die rechtliche Lage Das steht in der Verordnung Wo soll sich ein LKW-Fahrer sich während der Wochenruhezeit (WRZ) aufhalten? Die Lenkund Ruhezeitenverordnung der EU (VO (EG) 561/2006) bleibt im entscheidenden Punkt unklar. Artikel 8, Absatz 8 erwähnt lediglich tägliche und reduzierte wöchentliche Ruhezeiten, welche in der Fahrerkabine verbracht werden können. Genau hier haken Frankreich und Belgien ein und schlussfolgern, dass der Aufenthalt der regelmäßigen WRZ über 45 Stunden in der Fahrerkabine verboten ist. Klarer Widerspruch kommt hier vom Bundesamt für Güterverkehr (BAG). Die Behörde interpretiert den fraglichen Absatz als "Kann-Bestimmung", der keine präzise Aussage über den WRZ-Aufenthaltsort formuliere. "Der Umkehrschluss, dass die Ruhezeit nicht im Fahrzeug verbracht werden darf, ist nicht zulässig", sagt ein BAG-Sprecher. Die EU hält sich vorerst bedeckt. Die Kommission hat lediglich eine Prüfung der französischen und belgischen Sanktionen angekündigt. bot

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