Hanau. Der Reifenhersteller Goodyear und der Automobilclub von Deutschland (AvD) haben Herbert Hertwig in Berlin zum „Held der Straße“ des Jahres 2019 gewählt. Hertwig hatte im März 2019 einen schweren Auffahrunfall eines Lkw mitbekommen und war dem eingeklemmten Fahrer sofort zu Hilfe geeilt. Bei der Ehrung im Erich-Klausener-Saal des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur erhielt Hertwig dafür einen Pokal sowie einen Shopping-Gutschein im Wert von 5000 Euro.
Die Rettung im Detail
Herbert Hertwig war am 11. März 2019 gegen neun Uhr früh mit seinem Fahrzeug auf der A 44 bei Werl unterwegs, als sich der Verkehrsfluss Schritt für Schritt verlangsamte. „Ich musste das Tempo immer weiter reduzieren, da kam von der rechten Spur ein weißer Lkw wortwörtlich herangeflogen“, beschreibt der Rentner die Ausgangslage. Der weiße Lkw war von einem grünen Lastwagen aus den Niederlanden getroffen worden, der auf das Stauende aufgefahren war. Infolgedessen entstand eine Kettenreaktion, von der ein weiterer Lkw und ein Kleintransporter betroffen waren. Der gelernte Schreiner zögerte keine Sekunde: „Alle Fahrzeuge standen, ich zog die Handbremse und machte mich sofort auf den Weg zur Unfallstelle. Dort fiel ihm ein umgekippter Kleintransporter auf, doch er sah, dass der Fahrer okay war. Deshalb sah er sich nach Personen um, die dringender Hilfe benötigten. „Ich rannte zu dem stark deformierten und qualmenden grünen Lkw“, erinnert sich Hertwig.
An diesem angekommen, realisierte der 62-Jährige schnell, dass es nicht leicht werden würde, zu dem Verletzten vorzudringen: „Sowohl die Fahrer- als auch die Beifahrertür war nicht mehr aufzukriegen“, schildert er die Situation. Kurzerhand drang der Ersthelfer über den immer noch qualmenden Motorraum zu dem Verunfallten vor. „Mit dem Kopf voran bin ich da durch, das ging mit meiner schlanken Statur gerade so“, schildert er die ungewöhnliche Situation: „Der Fahrer sah wirklich schlecht aus, er war blutüberströmt, aber noch bei Bewusstsein und halbwegs ansprechbar. Ich musste also schnell etwas tun. Ich fand in einer Tasche auf der Beifahrerseite etwas Wäsche. Mit dieser tupfte ich ihn ab, um zu schauen, ob er nicht etwa heftig aus einer Schlagader blutete. Das tat er nicht, jedoch konnte ich nicht seine Beine anschauen, denn die waren unerreichbar eingeklemmt.“
Hertwig machte ihm klar, er brauche sich um nichts zu kümmern und fragte ihn ob er Schmerzen habe. Der Niederländer gab dem Sauerländer zu verstehen, dass seine Beine sehr schmerzten und ihm kalt sei. „Es war tatsächlich sehr kalt an diesem Morgen", erinnert Hertwig sich. Er fand in der Kabine einen Schlafsack, mit dem packte er den Mann ein. Seine Rückenlehne konnte er auch etwas zurückklappen. Ansonsten hielt Hertwig den Fahrer wach und versicherte ihm: „Alles gut, Hilfe ist alarmiert!“
Nach circa zehn Minuten trafen die Einsatzkräfte ein, der Notarzt staunte nicht schlecht über den Ersthelfer: „Wie sind sie denn da reingekommen?“ Für den Notarzt wurde ein Gerüst aufgebaut, um ihm den Sichtkontakt auf den Verletzten auf Höhe der Frontscheibe zu ermöglichen. „Dann wollte der Arzt wissen, ob der Verunfallte irgendwelche Medikamente nimmt“, erklärt der Olsberger: „Ich hatte natürlich keine Ahnung, denn ich kannte ihn ja selbst nicht. Ich konnte jedoch in seiner Tasche ein Dokument finden, auf dem ein Medikament notiert war. Zusammen wurde ein Zugang gelegt und ich musste dann dem Verletzten auf Anweisung des Arztes Morphium spritzen. Das war für mich kein großes Problem, denn ich habe Pferde, denen ich auch schon einmal eine Spritze geben musste.“
Der Notarzt überwachte den Niederländer anschließend noch mit angeschlossenen Geräten. Schließlich traf noch eine Spezial-Einsatzkraft mit Helm und Schutzbrille ein. „Dieser vollausgerüstete Mann gab mir den Auftrag, die beschädigte Elektronik im Führerhaus zu entfernen, also habe ich mich an die Geräte auf der Beifahrerseite gemacht und sie mit einem Seitenschneider abgeklemmt. Wahrscheinlich ging es dabei um die Gefahr durch Elektronik und austretende Flüssigkeiten“, so der gelernte Schreiner: „Die Feuerwehr rückte nun an und entfernte die Fahrertür mit einer Hydraulikschere“, erzählt er. Mit vereinten Kräften konnten sie den Mann vorsichtig aus der Kabine nach unten befördern. Der Feuerwehr-Einsatzleiter dankte ihm und fragte, wie es ihm überhaupt gehe. Hertwig sagte: „Gut, mir ist nur etwas kalt.“
Die Aktion Held der Straße
Goodyear und der AvD engagieren sich seit über elf Jahren mit der Aktion „Held der Straße“ für mehr Verkehrssicherheit. Gemeinsam mit dem Magazin TRUCKER vom Heinrich Vogel Verlag, in dem auch die VerkehrsRundschau erscheint, werden Monat für Monat selbstlose Heldinnen und Helden gesucht, die durch ihr beispielhaftes Handeln Leben gerettet oder Unfallfolgen gemildert haben. Der aktuelle Jahresheld Herbert Hertwig wurde von der Jury aus den insgesamt elf Monatshelden 2019 ausgewählt. (ja)