„Wir sind zur Größe

Interview „Wir sind zur Größe verdammt“ Wenn von Frischelogistik die Rede ist, steht Kraftverkehr Nagel ganz oben: Trotzdem scheut das Familienunternehmen das Rampenlicht. Die VerkehrsRundschau blickte hinter die Kulissen des Versmolder Unternehmens und sprach mit Peter Haak, einem der vier Geschäftsführer. Herzlichen Glückwunsch! Kraftverkehr Nagel feiert dieses Jahr 75-jähriges Bestehen und ist mit 70 Prozent Marktanteil deutschlandweit die Nummer 1 in der Lebensmittellogistik. Peter Haak: Vielen Dank, aber 70 Prozent Marktanteil haben wir nicht. Nicht nach unserer Definition. Jeder definiert Lebensmittellogistik ja bekanntermaßen anders. Die einen rechnen zum Beispiel die „Getränkelogistik“ mit hinein, die anderen „hängendes Fleisch“. Je kleiner Sie das Segment definieren, desto höher ist natürlich unser Marktanteil. Richtig ist: In Deutschland haben wir eine deutlich stärkere Position als in Europa. Und in Europa gehören wir im Lebensmittelbereich zu den Top 5. Jetzt machen Sie sich aber bewusst kleiner, als Sie sind. Größe ist doch nicht alles. Wir bauen auf qualitativen Umsatz, nicht auf quantitativen. Wir müssen da die Umsätze generieren, wo sie für unser europäisches Netz am besten passen. Darauf fokussieren wir uns. Nicht auf die Ausweitung von Marktanteilen. Wir treten nicht an und sagen, dass wir der Größte, Schönste und Beste werden wollen. Aber wir wollen mit Qualität und guten Renditen langfristig am Markt bestehen und für unsere Kunden europäische Lösungen anbieten. Können Sie aufgrund Ihrer Größe höhere Preise bei Kunden durchdrücken als ein kleinerer Dienstleister? Immerhin erwirtschaftete jeder Ihrer Mitarbeiter 2009 im Schnitt 145.000 Euro Umsatz, also weit mehr als branchenüblich. Den Preis geben unsere Kunden vor, nicht wir. Unsere Mitbewerber verstehen ja auch etwas von Logistik. Der Preiswettbewerb in unserer Branche ist knallhart. Ihre Konkurrenz können Sie sich aber doch an wenigen Fingern abzählen. In Deutschland haben wir – das muss ich fairerweise sagen – in der Tat nur zwei ernsthafte Wettbewerber. Das sind Dachser und Profresh. Und dann gibt es hierzulande noch zwei, drei Anbieter wie Pfenning Logistics, die Handelsdistribution offerieren. Und in Europa zählen TFE, DHL und Dachser zu unseren großen Mitbewerbern. Klingt nach einem einfachen Markt. Keineswegs! Die Margen in der Lebensmittelbranche sind sowohl auf Hersteller- als auch Handelsseite sehr schmal. Unsere Auftraggeber stehen also selbst unter enor-mem Optimierungsdruck. Den geben sie an die Logistik weiter. Je mehr Masse sie haben, desto niedrigere Preise und höhere Prozessstandardisierung erwarten sie von ihren Logistikpartnern. Gleichzeitig natürlich auch höchste Qualität. Das ist das Spiel. Da müssen wir mitspielen. Haben kleine und mittlere Spediteure da mittelfristig noch eine Chance? Es gibt auch in der Lebensmittelbranche regionale Speditionen. Sie machen einen guten Job und sind regionale Platzhirsche, verfügen aber nicht über das Netz, das man heute in dieser Branche braucht, weil unsere Kunden, aber auch unsere Wettbewerber immer größer werden. Wenn Sie Ihre Rolle im Markt verteidigen und Volumina über Ihr Netz ziehen wollen, brauchen Sie Größe und kritische Masse. So gesehen sind wir zur Größe verdammt. Wie stark traf Kraftverkehr Nagel die Wirtschaftskrise im letzten Jahr? Sie traf uns, aber weit weniger als viele andere. Natürlich lag das daran, dass wir in der Lebensmittelbranche tätig sind. Diese blieb von großen Einbrüchen verschont. Im Bestandskundengeschäft war unser Volumen dennoch rückläufig. Nicht weil wir Kunden verloren haben, sondern weil sie weniger befördern. Über Neugeschäft konnten wir diese Rückgänge zum Glück kompensieren. Unterm Strich machten wir 2009 also mit 1,4 Milliarden Euro genauso viel Umsatz wie 2008. Zudem konnten wir im letzten Jahr die Zahl unserer 9000 Mitarbeiter stabil halten. Das macht uns sehr stolz. Auguren behaupten ja nun, die eigentliche Krise komme in der Lebensmittelbranche in 2010 und 2011 erst noch. Nach dem 1. Quartal 2010 kann ich das nicht bestätigen. Unsere Umsätze bewegen sich nicht unter Vorjahresniveau, sondern sogar darüber. Ein Grund dafür ist, dass wir jetzt einiges Neugeschäft haben, das wir 2009 noch nicht hatten. Deshalb sehen wir verhalten optimistisch nach vorne. Welches Wachstum erwarten Sie für 2010? Wir rechnen 2010 mit zwei bis drei Prozent mehr Umsatz. Wachstumspotenziale sehen wir vor allem im Kontraktlogistik- und Warehousingbereich, weil die Anforderungen des Handels an die Produzenten, etwa in puncto Konfektionierung stark steigen. Diese Potenziale glauben wir erschließen zu können, weil wir europaweit über mehr als 300 Lagerprojekte in unterschiedlichen Größenordnungen verfügen. Außerdem werden wir unsere Akquise ausbauen. Nicht durch mehr Außendienstmitarbeiter, sondern weil wir diese gezielt für diese Produktpalette besser schulen werden. Sind in Ihrer Wachstumsprognose die von Ihnen aufgekauften Schulze-Aktivitäten eingerechnet? Ja. Fragen Sie mich aber nicht nach deren Anteil an unsrem Gesamtumsatz. Wir sind Ostwestfalen und die sind bekanntlich sehr zurückhaltend (lacht). Bei der Spedition Friedrich Schulze konnten Sie sich offenbar nicht zurückhalten. Als das Unternehmen Insolvenz anmeldete, griff Nagel zu. Wir haben ja nicht die gesamten Aktivitäten übernommen. Schulze hatte zum Beispiel Chemiekunden und andere Auftraggeber, die nicht in unser System passten. Übernommen haben wir allerdings die Lagerstandorte in Emleben bei Gotha sowie in Halle/Westfalen, die unter Schulze Logistik Gotha beziehungsweise Schulze Logistik Halle firmieren. Dort lagern und konfektionieren wir für Großkunden Ware. Außerdem haben wir die Tankwagenspedition in Berlin übernommen. Was hat Sie an der Übernahme gereizt? Um nur ein Beispiel zu nennen: Durch die Übernahme der Tankwagenspedition steigen wir stärker in die Beschaffung von Rohwaren für die Produzenten ein. Das ist nun ein wichtiges Standbein der Nagel-Gruppe. Außerdem gab es interessante Auftraggeber, die wir in unser System integrieren konnten … Zum Beispiel die Firma Underberg, um nur einen Auftraggeber zu nennen, den Sie dank Schulze gewonnen haben ... (lacht) Dann wissen Sie da mehr als ich. Im Ernst: Zu den Namen dieser Kunden äußern wir uns nicht. Dann verraten Sie uns den Kaufpreis. Auch darüber haben wir Stillschweigen vereinbart. Wie weit ist die Integration der Schulze-Aktivitäten in Ihr Netzwerk gediehen? Wir haben die Integration mittlerweile abgeschlossen. Aus den übernommenen Warehouse-Aktivitäten distribuieren wir Verpackungs-, Roh- und Fertigwaren über unser bestehendes Netz. Dies trifft für die Warehouse-Gesellschaften in Gotha und Halle/Westfalen zu. Diese verfügen inzwischen über integrierte Schnittstellen zu unseren Niederlassungen in Gotha und Halle, die die Transportaktivitäten federführend im Nagel-Netz abwickeln. Wie viele Mitarbeiter haben Sie von Schulze übernommen? Das Unternehmen beschäftigte ja einmal über 1000. Wir haben rund 200 Mitarbeitern einen Arbeitsplatz bei uns gegeben. Die LKW-Fahrer haben Sie aber, wie man hörte, alle entlassen. Wir haben keine Fahrer entlassen! Außer der Tankwagensparte, die heute unter Schulze Liquid Food Service firmiert, haben wir die Transportsparte gar nicht übernommen. Weder LKW noch Fahrpersonal. Inzwischen hat die Nagel-Gruppe eine Größe erreicht, in der es schwierig wird, diese als Familienunternehmen zu führen. Denken Sie deshalb über eine Börsennotierung nach? Nein. 2008 starb ja Kurt Nagel, der Sohn des Firmengründers. Mit seiner starken Persönlichkeit hatte er seinerzeit das Unternehmen groß und zu dem gemacht, was es heute ist. Zum Glück haben sich seine Frau und sein Sohn sehr schnell dazu bekannt, Gesellschafter zu bleiben und an der Kultur als Familienunternehmen festzuhalten. Das ist gut so. Denn diese Struktur macht unseren Erfolg aus, weil sie für schnelle Entscheidungen und Flexibilität sorgt. Warum sollten wir also die Struktur ändern? Etwa, um richtig groß zu wachsen. Aber das können wir auch so. Unsere Eigenkapitalquote liegt bei 30 Prozent. Streben Sie denn Aufkäufe an? Auf jeden Fall. Wir wollen sowohl organisch als auch durch Aufkäufe wachsen. In Europa gibt es noch einige weiße Flecken, wo wir unser Netz verdichten wollen, beispielsweise in Spanien und Italien. Ziel ist es in allen Ländern, in denen wir präsent sind, ein eigenes Netz aufzuziehen. So wie in Polen und in England. Dort haben wir schon jeweils sechs eigene Niederlassungen. Nur so können wir die von Kunden geforderte Qualität und die Laufzeiten sicherstellen. Planen Sie auch in Deutschland Aufkäufe? Formulieren wir es so: Stünde ein Unternehmen zum Verkauf, das unser Portfolio ergänzen würde, würden wir uns dagegen nicht verwehren. In Deutschland müssen wir aber nicht wirklich unser Netz stützen. Dort haben wir genügend Standorte und ein funktionierendes Netz. Schulze wollten wir nie kaufen. Dann meldete das Unternehmen Insolvenz an, dann dachten wir darüber nach und entschlossen uns zum Kauf. Welche Art von Unternehmen könnte denn hierzulande zur Umsetzung Ihrer Strategie behilflich sein? Wir haben keine Liste von Betrieben, die wir kaufen wollen. So vermessen sind wir nicht. Das schauen wir uns fallweise an und entscheiden uns dann. Es gibt sicher noch etliche Firme mit interessanten Warehouse- oder logistischen Zusatzlösungen, die zu unserem Portfolio gut passen und sich in unser Netz integrieren lassen. Ergibt sich also eine Gelegenheit, warum nicht? Vor allem im Süden Deutschlands hätten wir Bedarf. Wie viele Verkaufsangebote liegen momentan auf Ihrem Schreibtisch? Die Chancen, sich an einem attraktiven Betrieb zu beteiligen, sind momentan sehr groß. Wir erhalten grundsätzlich viele Kaufangebote. Aber wir werden das in Ruhe entscheiden. In welchen Ländern sind Sie heute schon stark und welche Länder wären noch interessant für Sie zu erschließen? In Zentralosteuropa sind wir schon sehr stark. Auch in Schweden, Frankreich, Belgien, den Niederlanden und England sind wir gut aufgestellt. Interessant könnte zum Beispiel die Expansion in Osteuropa sein. Dachser strebt ja verstärkt nach Südosteuropa und investiert hier momentan kräftig. Sind auch für Sie Länder wie Bulgarien oder Rumänien interessant? Ja, zum Beispiel. Wie viel Investitionsvolumen steht Ihnen für die Aufkäufe zur Verfügung? Das kann, aber werde ich Ihnen nicht sagen. Da kommt unsere ostwestfälische Zurückhaltung wieder durch (lacht). Dachser-Chef Simon kündigte unlängst Investitionen von 1 Milliarde Euro bis 2015 an. Bewegt sich Ihr Investitionsprogramm in einer ähnlichen Größenordnung? Dazu äußere ich mich nicht. Weder, ob wir mit unseren geplanten Investitionen da-runter oder darüber liegen. Wir sind kein börsennotiertes Unternehmen. Wir müssen unsere Zahlen nicht kommunizieren. Angeblich wollen Sie auch Ihren Eigenfuhrpark aufstocken. Um wie viele LKW genau? Wir setzen momentan insgesamt europaweit 4300 Fahrzeuge ein. Ein Drittel davon mit Eigenfuhrpark, zwei Drittel mit festen Frachtführern. Sie stellen die ziehenden Einheiten, wir die Auflieger. Fuhrpark-Aufstockung deshalb, weil wir uns Laderaum sichern müssen. Wahrscheinlich werden wir deshalb unseren Eigenanteil um fünf bis zehn Prozent erhöhen. Weil Sie befürchten, dass Ihnen Ihre Frachtpartner wegsterben? Das ist ja letztes Jahr durch die Krise bereits vielerorts passiert. Der Laderaum, der europaweit zur Verfügung steht, ist insgesamt geschrumpft. Um unser Leistungsversprechen unseren Kunden gegenüber halten zu können, müssen wir aufstocken. Das planen wir bereits im dritten Quartal 2010. Insbesondere in den Ländern, in denen wir stark wachsen, also zum Beispiel in Osteuropa, wo wir im letzten Jahr zweistellig gewachsen sind. Wir werden da konkret in Zugmaschinen, Auflieger plus Kühlaggregat investieren, also den typischen Nagel-Standard. Wie würden Sie schlussendlich die Strategie von Kraftverkehr Nagel beschreiben? Wir wollen qualitativ wachsen und zwar in allen Bereichen, in denen wir heute schon stark sind. Unser Fokus ist ganz klar die europäische Lebensmittellogistik. Ziel ist insbesondere die Verdichtung unseres Netzes. Das kann organisch sein, etwa durch den Aufbau einer eigenen Niederlassung. Das kann anorganisch sein, etwa durch den Aufkauf eines anderen Unternehmens. Da sind wir völlig offen. 2015 wollen wir, das ist die Vision, unsere Marktposition erhalten. Nur erhalten? Das mag konservativ klingen. Wegen der Marktsituation ist es aber ein hehres Ziel. Wir stehen europaweit schon sehr weit vorn. Wenn wir diesen Platz, unsere Schlagkräftigkeit und Flexibilität halten können, ist das in der heutigen Zeit nicht selbstverständlich. Wir wären also damit zufrieden, auch wenn dies konservativ klingen mag, denn dies umfasst bereits zwingendes Wachstum. ❙❚■ Eva Hassa Peter Haak zum Thema Aufkäufe: „Vor allem im Süden von Deutschland hätten wir noch Bedarf“ Haak: Eigenkapitalquote liegt bei 30 Prozent branchen-spezial Rechnet mit zwei bis drei Prozent Umsatzwachstum in diesem Jahr: Nagel-Geschäftsführer Peter Haak Daten + Fakten Kraftverkehr Nagel Kraftverkehr Nagel, mit Sitz in Versmold, ist hierzulande Marktführer in der Lebensmittellogistik. Gegründet wurde das Unternehmen 1935 von Kurt Nagel senior und seinem Bruder Rudolf Nagel. 2009, 75 Jahre später, erwirtschaftete die Nagel Group europaweit mit 9400 Mitarbeitern (in Deutschland 4400) einen Umsatz von 1,4 Milliarden Euro. Die letzten zwei Jahre erlebte das Unternehmen einen tiefgreifenden Wandel. 2008 starb Kurt Nagel, Sohn des Firmengründers. Seine Frau Marion und sein Sohn Tobias Nagel entschlossen sich aber zur Fortführung des Unternehmens und sind Gesellschafter. Geschäftsführer seit 2008 sind Bernhard Heinrich (Sprecher), Frank Böschemeier, Marcus Cebulla und Peter Haak. Haak verantwortet die Bereiche Vertrieb und das Marketing. Zuvor war er u.a. in Führungspositionen bei Metro MGL Logistik und Bahntrans. eh Die Firmenzentrale von Kraftverkehr Nagel in Versmold branchen-spezial Interview Interview