Den Beschluss des Verkehrsausschusses im Europaparlament zum ersten EU-Mobilitätspaket von vergangener Woche bezeichnen Sie als fatales Zeichen für Beschäftigte im Straßentransport. Warum?
Das Abstimmungsergebnis ist eine Ohrfeige für diese Beschäftigten, die einen Knochenjob erledigen. Bei grenzüberschreitenden Transporten und Transitfahrten sollen sie künftig keinen fairen Lohn bekommen. Und sie müssen sich auf schlechtere Arbeitsbedingungen einstellen.
Das passt in keiner Weise zu den gerade beschlossenen Verbesserungen der Entsenderichtlinie, die Mindeststandards für Beschäftigte aller anderen Branchen festlegt, oder auch zum Ziel eines sozialen Europas.
Was stört Sie am meisten am Beschluss aus Straßburg?
Die geplante Aufweichung der Lenk- und Ruhezeiten-Regelungen und die weitere Liberalisierung der Kabotage. Erstens sollen Lkw-Fahrer drei Wochen am Stück in Europa unterwegs sein dürfen. Sie müssten dann mindestens 20 statt 12 Tage am Stück im Lkw verbringen. Sie sollen auch dauerhaft auf bestimmten Parkplätzen in der Kabine übernachten, damit sie weiterhin wochenlang ununterbrochen quer durch Europa touren dürfen. Das hat nichts mit dem Schutz von Arbeitnehmern zu tun.
Zweitens soll die Obergrenze von maximal drei Kabotage-Operationen in einer Woche abgeschafft werden. Das wäre Rückenwind für Speditionen, die darauf setzen die Lohnkosten zu drücken und würde den Dumpingwettbewerb über schlechte Arbeitsbedingungen weiter verschärfen. Nicht nur für ausländische Fahrer ist das problematisch. Auch der Druck auf deutsche Transportunternehmen dürfte dadurch enorm steigen.
Wirtschaftsvertreter entgegnen, Anpassungen seien notwendig, weil die deutschen Fahrer allein das Güteraufkommen nicht mehr bewältigen können.
Ich kann verstehen, dass die ausländischen Fahrer gebraucht werden. Wir wissen aber, dass sie mitunter monatelang in Deutschland unterwegs sind, ohne an ihren Heimatort zu ihren Familien zurückzukehren. Ich weiß von Bosniern, die monatlich 200 Euro Lohn und 500 Euro unter der Hand erhalten. Da ist ein mobiles Prekariat entstanden, das sich nicht mehr durch Wirtschaftsinteressen entschuldigen lässt. Diesen marktliberalen Ambitionen aus Straßburg und Brüssel muss man eine klare Absage erteilen.
Sind Änderungen nicht trotzdem überfällig, wenn die Praxis ganz anders aussieht? An die aktuellen Sozialvorschriften halten sich einige Frachtführer sowieso nicht. Zum Beispiel, wenn es um die Wochenruhezeit geht.
Das heißt ja, dass die bisherigen Regelungen von den Mitgliedstaaten rechtlichen nicht durchgesetzt worden sind. Der Verkehrsausschuss will bislang illegale Geschäftsmodelle legalisieren. Stellen Sie sich einmal vor, der Gesetzgeber würde dasselbe bei Geschwindigkeitsüberschreitungen machen. Das kann doch nicht der richtige Weg sein.
Welche Regelungen wünscht sich der DGB?
Wir sind gegen die Aufweichung der Ruhezeiten von Lkw-Fahrern und befürworten, dass die Obergrenze von maximal drei Kabotage-Operationen in einer Woche bleibt. Wir wollen auch, dass der Mindestlohn des Gastlandes bei jeder Entsendung unabhängig von der Beförderungsart gezahlt werden muss – nach dem Grundsatz: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort.
Was nützen strengere Mindestlohn-Regelungen, wenn sie keiner richtig kontrolliert?
Das ist in der Tat ein Problem. Ich sehe die Gefahr, dass sich enttäuschte Arbeitnehmer von der Demokratie abwenden, wenn der Staat sich nicht darum kümmert, dass ihre Rechte wirklich eingehalten werden. Wir alle wissen, dass etwa das Bundesamt für Güterverkehr und die Finanzkontrolle Schwarzarbeit derzeit am Anschlag arbeiten. Deshalb fordern wir, dass das Personal dort aufgestockt und nachhaltiger die Einhaltung der Gesetze kontrolliert wird.
Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass das Plenum des EU-Parlaments diese Woche gegen den Verkehrsausschuss abstimmt?
Es wird nicht einfach. Die Abgeordneten sind letzte Hoffnung für bessere Arbeitsbedingungen im Straßentransport. Wir haben sie deshalb noch einmal angeschrieben und deutlich gemacht, dass Position des Verkehrsausschusses nicht die Maßgabe für das Europaparlament sein kann. (ag)