Wettbewerbsvorteil oder Lohndumping?

Über zwei Dinge waren sich die EU-Verkehrsminister in der vergangenen Woche einig: Erstens gibt es genug europäische Vorschriften, um für einen fairen Wettbewerb im Straßengütertransport zu sorgen, allerdings werden sie zu unterschiedlich und nicht konsequent genug angewendet. Zweitens: Briefkastenfirmen sind ein inakzeptabler Missbrauch der europäischen Niederlassungsfreiheit. Immer mehr Transportunternehmen aus Westeuropa eröffnen Filialen in den osteuropäischen Mitgliedstaaten der EU, heuern Fahrer zu den dort niedrigeren Löhnen an und arbeiten mit diesem Kostenvorteil in ihrem Herkunftsland. Das ist nicht illegal. Verkehrskommissarin Violeta Bulc geht jedoch davon aus, dass es die Eigentümer der Briefkastenfirmen mit den Sozialvorschriften nicht so genau nehmen. Mit "einer engen Zusammenarbeit der Behörden aller Mitgliedstaaten, vor allem beim Austausch von Daten über Verstöße gegen das EU-Recht", könne man wirksam dagegen vorgehen, sagte sie in der Diskussion des Ministerrates. Fairer Wettbewerb ist Ansichtssache Vollkommen unterschiedlicher Ansicht waren die Minister darüber, was fairer Wettbewerb im Straßengüterverkehr ist. Die Osteuropäer betrachten ihre niedrigen Lohnkosten als Wettbewerbsvorteil, den sie auch auf den Straßen in Westeuropa nutzen dürfen. Es dürften keine Hürden errichtet werden, um die Transporteure aus Osteuropa daran zu hindern, "die Dienstleistungsfreiheit in Anspruch zu nehmen", sagte der Vize-Verkehrsminister Litauens, Arijandas Sliupas: "Wir rufen alle Beteiligten auf, keine einseitigen Sozialvorschriften zu erlassen und darauf zu achten, nicht über das Ziel hinauszuschießen." Sliupas denkt dabei vor allem an den deutschen Mindestlohn, den auch die Osteuropäer zahlen müssen, wenn sie Transporte in Deutschland durchführen. Damit wollen die Deutschen den Lohnkostenvorteil der Osteuropäer wenigstens teilweise kompensieren. Frankreich wird eine ähnliche Regelung 2016 in Kraft setzen. Die Osteuropäer sehen im Mindestlohn vor allem eine Schikane, mit der sich die alten EU-Staaten die Konkurrenz vom Leib halten wollen. Das Problem sei weniger die Höhe des Mindestlohnes als die damit verbundene Bürokratie. In diesem Punkt wurden sie von der Verkehrskommissarin unterstützt. Die größte Gefahr für den europäischen Verkehrsmarkt sei der Flickenteppich aus nationalen Regeln und die unterschiedliche Umsetzung europäischer Vorschriften durch die Mitgliedstaaten, sagte Bulc. Die Kommission will den Mitgliedstaaten 2016 neue Vorschläge unterbreiten, um die Anwendung der Sozial- und der Kabotageregeln zu harmonisieren. Unstrittig blieb, dass massiv gegen die Vorschriften verstoßen wird: nach Ermittlungen der Kommission etwa zwei Millionen Mal pro Jahr. Was das in der Praxis bedeutet, ist angesichts der Meinungsverschiedenheiten zwischen den Mitgliedstaaten unklar, etwa wenn es darum geht, wo ein Fahrer seine Ruhezeit verbringt. Das gehe die EU gar nichts an, sagte Tschechiens Verkehrsminister Dan Tok (ANO): "Die Übernachtung im Fahrerhaus ist gewissermaßen typisch für diesen Beruf." "Lkw ist keine Wohnung" Die meisten westeuropäischen Behörden verlangen dagegen, dass der Fahrer wenigstens die wöchentliche Ruhezeit zu Hause oder im Hotel verbringt. "Ein Lkw ist ein Arbeitsplatz und keine Wohnung", betonte Belgiens Verkehrsministerin Jacqueline Galant (MR). So sieht das auch Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU). Er verlangte von der Kommission eine Klarstellung, dass es verboten sei, das Wochenende im Lkw zu verbringen.

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