Wer in Zukunft Logistik auslagert

Outsourcing ist out - das behaupten Trendforscher seit Jahren. Was für einzelne Unternehmen gelten mag, stimmt für die Logistik nicht: Der Markt für Kontraktlogistik wächst weiter. Transport- und Logistikdienstleister, die sich in diesem Geschäftsfeld betätigen wollen, winken dadurch interessante Wachstumspotenziale. Das bestätigen neue Zahlen, die die Fraunhofer-Arbeitsgruppe Supply Chain Services (SCS) erhoben hat. Demnach gab es 2013 in der Konsumgüterbranche ein Umsatzpotenzial von 25,8 Milliarden Euro, in der Industrie waren es 65,4 Milliarden Euro - beides neue Höchststände. Für das laufende Jahr werden Zuwächse zwischen einem und sechs Prozent erwartet. "Der Trend nach oben hält an", bestätigt Christian Kille, Professor an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt. Alles in allem ist die Ausgangslage für Transport- und Logistikdienstleister also gut, zumal erst rund 50 Prozent der genannten Outsourcing-Umsätze schon realisiert werden. "Langfristig sind 60 bis 70 Prozent möglich", meint Stefan Wolff, CEO der Berliner Unternehmensberatung 4Flow, die ihren Fokus auf die Bereiche Logistik und Supply Chain Management legt. Aufschlussreiche Trendstudie Welche Branchen werden aber in Zukunft am stärksten Logistikleistungen nachfragen? In welchen Kundenbranchen liegt für Dienstleister demzufolge das interessanteste Wachstumspotenzial? Schon die letzte Trendstudie der Bundesvereinigung Logistik (BVL) hat einige Branchen identifiziert, die in Sachen Logistik-Outsourcing bislang eher verhalten waren, nun aber Gas geben. Demnach war bisher der Outsourcing-Grad in der Chemieindustrie am geringsten, gefolgt von Maschinen-/Anlagenbau, Elektrotechnik und Automobilindustrie - doch diese Märkte sind derzeit stark in Bewegung. Dabei gilt: Je stärker eine Branche die Logistik für ihre Kernkompetenz hält, desto tendenziell seltener wird sie - zumindest komplexe - Logistikaufgaben an Dienstleister outsourcen. Das erklärt zum Beispiel, warum Handelsfirmen mit der Fremdvergabe oft zögerlich sind. Doch das sind nur grobe Schätzungen, letztlich hilft nur ein genauer Blick in die einzelnen Branchen. Als Wachstumsbranche für Logistiker nennen viele Experten derzeit die Pharmaindustrie. "Das Thema Outsourcing hat erst angefangen", bestätigt Karl-Heinz Dörhage, Geschäftsführer von Med-X-Press, Goslar. Das vor acht Jahren gegründete Unternehmen wächst kontinuierlich. Gestartet ist Dörhage mit dem Versand von Arzneimittelmustern und Werbemitteln. Doch die Verlader übertrugen ihm schnell weitere Aufgaben: Med-X-Press übernahm den Betrieb des Werbemittellagers, später auch die Lagerung der Arzneimittel selbst. Mittlerweile geht die Angebotspalette weit über die Logistik hinaus: Med-X-Press prüft und verpackt Spritzen oder versieht Medikamenten-Fläschchen mit einer zusätzlichen Schutzfolie (Fachwort: Sleeven). Daneben betreibt man ein großes Betäubungsmittellager. Einfach ist die Pharmabranche für Logistiker freilich nicht. Vor allem die umfangreichen gesetzlichen Restriktionen stellen eine Hürde für neue Anbieter dar. "Das unterschätzen viele Spediteure", gibt Dörhage zu bedenken. Ein Beispiel: Allein um an einer Medikamentenverpackung einen Aufkleber anbringen zu dürfen, bedarf es einer Herstellerlaubnis - so schreibt es das Arzneimittelgesetz vor. Hinzu kommen die ständig steigenden Anforderungen aus Vorschriften wie der "Good Distribution Practice" (GDP). "Bei uns arbeiten zehn Prozent der Mitarbeiter in Qualitätsmanagement und -kontrolle", so Dörhage. Lukrative Neuaufträge Ebenfalls ein Nachzügler beim Outsourcing ist die Chemieindustrie - wegen hoher Sicherheitsanforderungen und komplexen, oft historisch gewachsenen Werksstrukturen. Doch die großen Verlader holen rasant auf. "Wir haben im Bereich Lagerung bereits weltweit mehr als 80 Prozent unserer Leistungen an erfahrene Partnerunternehmen vergeben. Auch den Transport unserer Rohstoffe und Waren übernehmen größtenteils auf die chemische Industrie spezialisierte Speditionen", sagt Hans-Robert Schmidt, Leiter Global Logistics Management bei Lanxess. Was zukünftige Pläne angeht, ist man in Köln zurückhaltend. Man überprüfe regelmäßig anhand von Kosten-, Prozess- und Umwelteffizienz, ob es vorteilhaft sein könne, einzelne Prozessschritte selbst zu übernehmen oder sie von externen Partnern durchführen zu lassen, so Schmidt. Dass Logistiker in der Chemiebranche noch lukrative Neuaufträge an Land ziehen können, zeigt zum Beispiel Lehnkering. Das Unternehmen hat in Schönebeck, Sachsen-Anhalt, im letzten Jahr eine neue Anlage zur Produktion von Pflanzenschutzmitteln und Feinchemikalien gebaut, Kosten: 20 Millionen Euro. Solche Investitionen helfen Lehnkering, für die Kunden aus der chemischen Industrie immer größere Teile der Wertschöpfung zu übernehmen. Man beschafft Rohstoffe, verarbeitet sie, konfektioniert Produkte und sorgt für die Distribution. Die Anbieter im Blick behalten Weniger klar ist die Richtung im Handel. Auf der einen Seite sehen viele Handelsunternehmen die Logistik als wichtigen Teil ihrer eigenen Wertschöpfung an - und haben eine geringe Outsourcing-Neigung. "Wer gut ist, bleibt auch dabei", meint Andreas Kruse, Logistikexperte beim EHI Retail Institute, Köln. Bessere Chancen könnten sich Dienstleister ausrechnen, die im E-Commerce tätig sind, "vor allem im Fulfillment". Kille bestätigt dieses Potenzial. "Viele Händler betreiben noch eigene Läger, insbesondere die Kleinen könnten für Unterstützung bei der Logistikoptimierung offen sein." Eine gute Idee für Dienstleister sei es, so Kille, eine Art von Radar zu installieren, um so die Anbieter im Blick zu behalten: "Sobald ein Händler eine gewisse Größenschwelle überschritten hat, ist es Zeit, mit einem geeigneten Angebot anzuklopfen." Ein großes Potenzial sieht er in Zukunft beim Online-Lebensmittelhandel: "In fünf bis zehn Jahren wird hier viel Geld zu verdienen sein - sobald die Herausforderung der letzten Meile gelöst ist", so Kille. Die Frage ist natürlich auch: Um was für Logistikdienstleistungen geht es in Zukunft? Laut einer Studie der Unternehmensberatung Miebach steht bei den Verladern aktuell das Outsourcing von Lagerung und Kommissionierung ganz oben auf der Agenda. Rund jedes fünfte Unternehmen plant hier aktiv zu werden. Jeweils neun Prozent liebäugeln mit der Auslagerung von Ersatzteillogistik, Transportdisposition und Handling von Werbematerialien. Nahezu ausgereizt dagegen ist das Thema Transport, da hier schon die meisten Leistungen fremdvergeben worden sind. Marktkenner Wolff von der Unternehmensberatung 4Flow hat allerdings noch einen Tipp: "Ich würde empfehlen, auf die Steuerung der Logistik zu setzen." Will sagen: Dienstleister sollten sich als sogenannter 4PL betätigen, also genau jene Tätigkeiten übernehmen, die bisher die internen Logistikabteilungen der Unternehmen erledigt haben. Wer die nötige IT-Infrastruktur und das entsprechende Wissen mitbringe, um die komplette Steuerung der logistischen Abläufe zu übernehmen, habe in Zukunft exzellente Chancen, so Logistikexperte Wolff. "Hier liegt das Wachstumspotenzial zwischen 30 und 40 Prozent pro Jahr - also wesentlich höher als in der physischen Logistik." VR-Fachkonferenz Perspektiven in der Automobillogistik Am 25. Juni 2014 findet in Stuttgart die Konferenz"Perspektiven in der Automobillogistik" der VerkehrsRundschau in Kooperation mit dem Verband der Automobilindustrie (VDA) statt. Referenten sind Entscheider von OEMs, Zulieferern sowie von Transport- und Logistikunternehmen. Themen sind unter anderem:- Welche neuen Logistikkonzepte planen OEMs und Zulieferer?- Welche Anforderungen kommen damit auf Dienstleister zu?- Welche Zukunft hat das Gebietsspeditions-Modell?Weitere Infos im Internet unter www.verkehrsrundschau.de/events. eh Aus der Praxis: Der Anlagenbauer Hatlapa Warum Hatlapa seine Logistik an Mittelständler outsourct Die Produkte der Firma Hatlapa sind auf allen Weltmeeren zu finden: Das Unternehmen stellt Bauteile für Schiffe her, etwa Ruderanlagen, Winden und Kompressoren. Produziert wird im norddeutschen Stammwerk sowie in China und Südkorea. Hatlapa ist ein typischer deutscher Anlagenbauer - auch bei den Anforderungen an die Logistik."Jede Winde ist bei uns ein Unikat, das macht die Teileversorgung komplex", erklärt Carsten Ebmeier, bei der Firma für die weltweite Logistik zuständig. 24.000 unterschiedliche Artikel werden im Lager vorgehalten, 56 der insgesamt 75 Logistikmitarbeiter stammen aus der eigenen Mannschaft, der Rest von einem Dienstleister. Sie übernehmen Verpackung und Teile der Kommissionierung.Dass Hatlapa nicht mehr Leistungen auslagert, liegt einerseits am breiten Produktspektrum: Täglich verlassen 100 Sendungen das Werk in Uetersen, darunter ist eine 20-Gramm-Dichtung genauso wie eine 650 Tonnen schwere Offshore-Schleppwinde. Für Dienstleister, die oft nur stark darin sind, standardisierte Abläufe zu möglichst geringen Kosten zu erledigen, kann das ein Problem darstellen. Zum anderen ist das Geschäft einfach sehr komplex, etwa in der Zollabwicklung. Ebmeier kann sich dennoch vorstellen, dass in Zukunft noch größere Teile der Lagerhaltung ausgelagert werden. Bei Straßentransport und Luftfracht arbeitet Hatlapa mit mehreren mittelständischen Speditions- und Logistikdienstleistern zusammen. Nur diese seien in der Lage, auch kurzfristig zu reagieren, so die Erfahrung von Logistikleiter Ebmeier. Hintergrund: Um eines der 14.000 Schiffe, auf denen Hatlapa-Produkte installiert sind, zu beliefern, ist eine logistische Punktlandung nötig."Teilweise ändert sich die Lieferadresse noch, wenn die Ware schon am Flughafen ist", berichtet Ebmeier. Größere Dienstleister könnten dann nicht schnell genug umdisponieren. cg

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