Plötzlich kein Spediteur mehr

Der Anruf kurz vor Feierabend hellte die Laune von Spediteur Johannes Duffner entscheidend auf. Jahrelang hatte er für den Automobilzulieferer Mega-Tank den Transport von Tanks von dessen Werk in das Montagewerk des Automobilherstellers Blitz AG organisiert - und teilweise auch im Selbsteintritt durchgeführt. Die Aufgabe hatte der Spediteur zur vollen Zufriedenheit des Kunden erledigt. Nun kündigte der Logistikleiter von Main-Tank einen Zusatzauftrag an. Ob Duffner es nicht schaffen würde, die Tankstutzen auf seinem in unmittelbarer Nähe zur Blitz AG gelegenen Firmengelände auf die Tanks zu montieren und sie dann Justin-time ans Band bei Blitz zu liefern? Das würde Transportkosten sparen, da sich Tanks und Stutzen viel rationeller getrennt voneinander transportieren ließen, hatte der Kunde vorgerechnet. "Eine einfache Arbeit. Dafür können wir die alte Lagerhalle nehmen. Ich wusste doch, dass die noch zu etwas gut sein würde", erzählte Duffner seiner Frau Angela, gleichzeitig seine Chef-Buchhalterin, beim Abendessen. Und eine überschlägige Kalkulation habe für das neue Geschäft durchaus tiefschwarze Zahlen ergeben. Doch die Euphorie seiner Frau hielt sich in Grenzen. "Ist Dir klar, was uns das kosten kann, wenn bei der Montage ein Fehler passiert?" Mitunter existenzgefährdend Ein konstruierter Fall - allein die Bedenken von Angela Duffner sind nicht aus der Luft gegriffen. Denn die Übernahme von kleinen Montageleistungen mag fachlich kein Problem sein. Rechtlich aber verlässt ein Spediteur, Frachtführer oder Lagerhalter mit so einer Mehrwertleistung gewohntes Terrain - und wird zu einem Produzenten. Anstelle nach den einschlägigen HGB-Paragrafen haftet er nach dem Werkvertragsrecht (Paragraf 631 ff.) des BGB - und das bedeutet unbegrenzt, und zwar auch für Folgeschäden und entgangenen Gewinn. In der Automobilindustrie kann das empfindliche Folgen haben. Wird beispielsweise aufgrund fehlerhafter Montage eine Rückrufaktion fällig, gehen die Kosten in die Millionen. "Das kann existenzgefährdend sein", warnt Stephan Rieß, Prokurist im Geschäftsbereich Verkehr/Logistik der Schunck Group. Rieß weist darauf hin, dass die von Spediteuren, Lagerhaltern und Frachtführern eingedeckten Verkehrshaftungsversicherungen nicht für Schäden eintreten, die aus Werkverträgen resultieren. Dies ist auch in den Musterbedingungen des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) für Verkehrshaftungsversicherungen nachzulesen. Ihnen zufolge sind "Produktionsleistungen, werkvertragliche oder sonstige nicht speditions-, beförderungs- oder lagerspezifische vertragliche Leistungen im Zusammenhang mit einem Verkehrsvertrag, die über die primäre Vertragspflicht eines Frachtführers, Spediteurs und Lagerhalters gemäß dem deutschen Handelsgesetzbuch (HGB) hinausgehen" ausgeschlossen. Eine Ausnahme machen "das Kommissionieren, Etikettieren, Verpacken und Verwiegen von Gütern, wenn diese Tätigkeiten in Verbindung mit einem Verkehrsvertrag zu erfüllen sind." Wenn also am Produkt montiert oder geschraubt wird, hat das nichts mehr mit der Haftung aus einem Verkehrsvertrag zu tun. Wenn aber zum Beispiel ein Fertig-PKW vor dem Transport durch Aufbringen von Schutzfolien gegen Steinschlag gesichert wird, steht das durchaus im Zusammenhang mit dem Verkehrsvertrag. Andere Tätigkeiten müssen gesondert versichert werden. Das fällt nicht immer leicht, vor allem, wenn Verlader versuchen, dem Logistikdienstleister in ihren Geschäftsbedingungen oder per Einzelvertrag ein Maximum an Haftung aufzuerlegen. Dann winken die Versicherungen entweder ab oder fordern Prämien, die die Kalkulation des Logistikdienstleisters sprengen würden. Die Folge: Mancher Dienstleister verlässt sich auf sein Glück und verzichtet auf eine Versicherung. Das kann auch für den Auftraggeber zum Problem werden. Kann der Dienstleister im Haftungsfall nicht zahlen, steht der Auftraggeber mit leeren Händen da - und möglicherweise ohne Dienstleister. Haftungsbegrenzungen können nicht speditionsübliche logistische Leistungen versicherbar machen. Solche Begrenzungen sind zum Beispiel in den Logistik-AGB enthalten, die vom Deutschen Speditionsund Logistikverband (DSLV) und dem Institut für Logistikrecht & Riskmanagement (ILRM) an der Hochschule Bremerhaven herausgegeben wurden und an deren Entstehung Schunck mitgewirkt hat. Erfahrungsgemäß wehren aber die Juristen von Großkonzernen Allgemeine Geschäftsbedingen der Gegenseite reflexartig ab und versuchen, ihr eigenes Regelwerk durchzudrücken. Angesichts der Machtverhältnisse oft mit Erfolg. Folge: Der Jurist des Verladers hat zwar seinen Job gemacht, aber der Risikomanager hat ein Problem. Vorsicht in Haftungsfragen Doch nicht nur logistische Mehrwertleistungen erfordern Vorsicht in Haftungsfragen. Auch wer an zeitkritischen Lieferverfahren wie Just-in-time oder Just-in-Sequence teilnimmt, muss aufpassen. Mitunter versuchen ihm die Auftraggeber die Haftung für Betriebsunterbrechungen aufzuerlegen. Mehrere 100 Euro pro Minute als pauschalisierte Schadenssumme kommen bei einem Bandstillstand schnell zusammen. Auch auf diesem Schaden kann der Dienstleister sitzen bleiben, falls er nicht durch internationales Frachtrecht (CMR) oder wirksam vereinbarte Haftungsbeschränkungen geschützt wird. Laut GDV-Musterbedingungen sind "im Verkehrsgewerbe nicht übliche Vereinbarungen wie Vertragsstrafen, Lieferfristgarantien, sowie aus Vereinbarungen, soweit sie über die Haftungshöhe von 8,33 Sonderziehungsrechten (SZR) je Kilogramm des Rohgewichts der Sendung oder die für Verkehrsverträge geltende gesetzliche Haftung hinausgehen" nicht versichert. Rieß' Ratschlag angesichts des unsicheren Terrains: Auf jeden Fall einen sachkundigen Rechtsanwalt hinzuziehen und mit der Versicherung oder einem Versicherungsmakler eine passende Deckung suchen. Das Müssen Sie beachten Rechtliche Fallstricke in der Automobillogistik - Die Übernahme von Aufgaben aus der speditionsuntypischen Logistik geht über die Verkehrshaftung eines Frachtführers, Spediteurs oder Lagerhalters hinaus. Das führt für den Dienstleister zu veränderten Haftungsrisiken und Haftungshöhen.- Werden solche Aufgaben oder gar Montagen und ähnliche werksvertragstypische Leistungen übernommen, muss der Versicherungsschutz angepasst werden.- Vorsicht mit gegnerischen AGB oder frei ausgehandelten Vereinbarungen. Sie sollten auf jeden Fall der eigenen Versicherung zur Genehmigung vorgelegt werden. Das gilt auch bei typischen Tätigkeiten eines Spediteurs oder Frachtführers.- Wer als Auftraggeber das Risiko an das schwächste Glied in der Kette abwälzt, steht mit leeren Händen da, wenn der Vertragspartner das ihm auferlegte Risiko nicht tragen kann. Es ist vernünftig, sich um das Risikomanagement des Auftragnehmers zu kümmern und sich erforderlichenfalls dessen Versicherungen nachweisen zu lassen.Wer als Spediteur Qualitätsprüfungen für seinen Auftraggeber erledigt, begibt sich unter Umständen auf dünnes Eis. Spediteurstypisch sind das Zählen der eingehenden Ware und die Sichtüberprüfung auf Beschädigungen. Wer Funktionsprüfungen übernimmt, überschreitet die Linie zum Werkvertragsrecht.Vorsicht ist immer dann geboten, wenn ausländisches Recht vereinbart wird. Im angelsächsischen Rechtsraum ist beispielsweise die Rechtsverfolgung wesentlich teurer als in Deutschland. hel VR-Veranstaltung Automobillogistik Die Rechtslage rund um die Haftung in der Automobillogistik ist hochkomplex. Daher bietet die VerkehrsRundschau am 24. Juni 2014 ein Praxisseminar zu diesem Thema in Stuttgart-Sindelfingen an. Anhand diverser Beispiele werden den Teilnehmern sowohl der Umgang mit den Haftungsrisiken als auch konkrete Lösungsmöglichkeiten gezeigt - stets unter Berücksichtigung der geltenden rechtlichen Regelungen. Themenschwerpunkte des Seminars sind:- Typische Haftungsklauseln aus der Automobillogistik und ihre AGB-rechtliche Wirksamkeit- Haftung nach nationalem und internationalem Frachtrecht (HGB, CMR, MÜ)- Haftung nach deutschem Lagerrecht- Haftung für speditionsunübliche Logistik- Tipps für eine versicherbare Gestaltung der Haftung des Logistikdienstleisters Referenten sind Rechtsanwalt Stephan Rieß, Prokurist, Geschäftsbereich Verkehr/Logistik der Schunck Group, sowie Rechtsassessor Michael Grass, LL.M.Eur., Geschäftsbereich Verkehr/Logistik, Schunck Group.Am Tag nach dem Praxisseminar findet die Konferenz "Perspektiven in der Automobillogistik" der VerkehrsRundschau in Kooperation mit dem Verband der Automobilindustrie (VDA) statt. Weitere Infos unter www.verkehrsrundschau.de/events. hel

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