VR: Warum werden die Verhandlungen über den transatlantischen Freihandel mit so großem Misstrauen verfolgt?
Daniel Caspary: Seit Anfang letzten Jahres, als der Europawahlkampf begann, wird von interessierter Seite eine breite Desinformationskampagne geführt, die viele Sorgen schürt und die Öffentlichkeit verunsichert. Da wird den Leuten eingeredet, die Daseinsvorsorge solle zwangsprivatisiert, die kommunale Kulturförderung unmöglich gemacht, die Buchpreisbindung abgeschafft und Verbraucherstandards abgesenkt werden. Auch die Schiedsgerichte werden ja breit diskutiert und ich denke: nicht immer mit der nötigen Aufrichtigkeit.
Brauchen wir wirklich Schiedsgerichte?
Das ist ein bewährtes Instrument. Deutschland hat Investitionsschutzabkommen mit Schiedsgerichten seit 1959 und hat damit gute Erfahrungen gemacht. Es sind ja meistens deutsche oder europäische Firmen, die davon Gebrauch machen und in den meisten Fällen Unrechtsstaaten verklagen, wenn sie dort nicht gerecht behandelt werden. Richtig ist, dass wir die Schiedsgerichte verbessern müssen. Da müssen wir im Jahr 2015 andere Anforderungen stellen als 1959. Im Abkommen mit Kanada tun wir das ja auch: Es gibt mehr Transparenz, eine zweite Instanz, wir haben klargestellt, dass Umwelt- oder Sozialgesetzgebung möglich sein muss. Aber wir schaffen ja die öffentliche Justiz auch nicht ab, nur weil mal ein Verfahren schief läuft.
Die Gespräche über den Investorenschutz sind nun erst einmal ausgeklammert worden. Aber auch bei den anderen Themen geht es nicht recht voran…
Das liegt daran, dass Gründlichkeit vor Schnelligkeit geht. Wir wollen ja nichts übers Knie brechen sondern ein Abkommen erreichen, das für unsere Verbraucher und unsere Unternehmen vorteilhaft ist. Und das keinen Ausverkauf unserer Werte und Standards bedeutet! Deshalb ist das Tempo eher ein gutes Zeichen.
Die Europäer sind stark an einer Öffnung des Transport- und Logistikmarktes der USA interessiert. Werden wir hier echten Wettbewerb bekommen?
Im Transportbereich brauchen wir dringend eine Öffnung des amerikanischen Marktes. Unser Markt in Europa ist weitestgehend offen, der amerikanische Markt weitestgehend geschlossen. Und diese Wettbewerbsverzerrung muss abgebaut werden. Wir brauchen Zugang zur Logistik, zu den Häfen, zum Luftverkehr. Es ist doch nicht in Ordnung, dass amerikanische Airlines von Paris nach Frankfurt weiterfliegen und für die Lufthansa ist beim ersten Airport in Amerika Schluss.
Welches Verhandlungsergebnis brauchen wir bei Post- und Kurierdiensten?
In Europa und in Deutschland ist dieser Sektor weitgehend geöffnet für ausländische Anbieter, bis runter zur Verteilung von Briefpost ist fast alles machbar. Und das ist in Amerika längst nicht so. Es gibt da einen klaren Nachholbedarf. Ich freue mich ja, dass UPS und andere der Deutschen Post oder DHL Konkurrenz machen. Und das muss in Amerika zukünftig auch möglich sein.
Was können Wirtschaft und das Transportgewerbe im Hinblick auf den Bürokratieabbau beim Zoll erwarten?
Für alle Zölle, die wir auf Null setzen, fällt schon mal die Abwicklung weg. Das ist eine Riesenerleichterung. Über den Rest müssen wir sicher noch reden. Wir sind schon heute recht gut vernetzt, ein großer Teil der Formalitäten wird digital abgewickelt. Aber da können wir sicher noch mehr tun. Manches ist noch sehr umständlich im transatlantischen Handel. Da werden viele Bestätigungen gebraucht, die man gegenseitig anerkennen könnte. Bei der Sicherheit der Container etwa könnten wir doppelten Aufwand vermeiden.
Welches Verhandlungsergebnis brauchen die Europäer beim Seeverkehr?
Auch hier spricht nichts dagegen, dass zuverlässige europäische Unternehmen verschiedene Häfen in Amerika ansteuern. Es ist ja nachvollziehbar, dass die geltenden Beschränkungen früher eingeführt worden sind aber im Jahr 2015 sind sie eben überholt. Solche Hürden schwächen sowohl die amerikanische als auch die europäische Wirtschaft.
Die EU hat bei der letzten Runde ein neues Angebot vorgelegt. Es geht darum, eine gemeinsame, euro-amerikanische Behörde zu schaffen, die für ein abgestimmtes Vorgehen bei der Regulierung sorgen soll. Erhalten amerikanische Lobbyisten jetzt ein Mitspracherecht in der europäischen Gesetzgebung ?
Schon heute gilt doch: deutsche Unternehmen, die in Amerika aktiv sind, beschäftigen Lobbyisten in Amerika und amerikanische Firmen, die in Europa tätig sind, tun das gleiche in der EU. Das ist auch in Ordnung, auch Gewerkschaften oder Nichtregierungsorganisationen machen das. Wir planen jetzt, dass sich die EU-Kommission und die amerikanische Regierung in Zukunft besser abstimmen, wenn sie neue Vorschriften vorbereiten. Das macht Sinn, damit den Gesetzgebern diesseits und jenseits des Atlantik ähnliche oder jedenfalls kompatible Vorschläge zugeleitet werden. Das schränkt den Entscheidungsspielraum des Europäischen Parlamentes, des Ministerrates oder des Kongresses in Washington nicht ein. Sie können immer nein sagen. (tw)
Einen ausführlichen Beitrag über den aktuellen Verhandlungsstand bei TTIP und die Konsequenzen für die Transport- und Logistikwirtschaft erscheint in Ausgabe VR 9 am 27. Februar. Online- und Premium-Abonnenten können den Beitrag bereits am Vortag ab 17:00 Uhr als E-Paper lesen.