Was machen die eigentlich (anders)?

Manni ist der vielleicht beste Disponent Deutschlands: Er hat alle Autobahn-Baustellen im Blick und weiß, wann bei den Konzernen Betriebsferien sind. Er kalkuliert in seine Frachtraten ein, ob in einer Stadt eine Messe stattfindet und sogar, welches Wetter vorhergesagt wird. Und das Beste: Manni macht niemals Urlaub. Denn er ist kein menschlicher Disponent, sondern ein Computerprogramm, das selbstständig lernt. Geschaffen und mit den Daten von über einer Million Touren gefüttert hat dieses Software-Tool das Hamburger Start-up Cargonexx. Anhand dieser Daten hat sich das Programm selbst beigebracht, in Sekundenbruchteilen die passende Frachtrate zu kalkulieren. Und es lernt weiter. "Insofern wird Manni in Zukunft so schlau sein wie alle Disponenten zusammen", sagt Rolf-Dieter Lafrenz, Gründer von Cargonexx. Schon heute können Speditionen eine Transportanfrage auf der Internetplattform einstellen und erhalten von Manni sofort ein verbindliches Preisangebot. Bei Annahme leitet Cargonexx den Auftrag an externe Frachtführer weiter. Die Hamburger Firma gehört zu einer ganzen Welle von Start-ups, die den Logistikmarkt - oder zumindest einen Teil davon - aufmischen wollen (siehe Tabelle Seite 19). Sie heißen Instafreight, Freight-Hub oder Cargo-Bee und versprechen: Wir bringen die Logistik ins Digitalzeitalter. Doch wie genau wollen diese Firmen Geld verdienen? Was unterscheidet sie von klassischen Frachtbörsen? Und vor allem: Welche Folgen hat ihr Vormarsch für traditionelle Speditionen und Transportunternehmer? Viele Start-ups fallen in die Kategorie "Online-Spedition": Newcomer wie Cargonexx, Instafreight oder Frachtraum (ehemals Überland) vermitteln Transporte und führen sie im Selbsteintritt durch. Das heißt, der Kunde (Verlader oder Spedition) schließt mit der Plattform einen Vertrag ab, und die sorgt dafür, dass die Güter befördert werden - von welchem Transportunternehmer auch immer. Um ihr Angebot schnell bekannt zu machen, setzen die Start-ups meist auf das bewährte Internet-Zauberwort: gratis. Sich bei den Plattformen zu registrieren ist in der Regel kostenlos, Geld verdienen die Online-Speditionen mit einem Aufschlag auf die Frachtraten. Völlig neutral und unabhängig Klassische Frachtenbörsen funktionieren anders. "Wir sind völlig neutral und unabhängig", erklärt Gunnar Gburek, Company Spokesmann & Head of Business Affairs von TimoCom, dem europäischen Marktführer. TimoCom tritt als reiner Vermittler auf, hilft zum Beispiel Frachtführern mit ungenutzten Kapazitäten zusätzliche Ladung zu finden. Den Transportvertrag schließen die Marktteilnehmer untereinander ab. Auch das Preismodell unterscheidet sich von dem der Start-ups. Kunden entrichten eine Gebühr, um die Plattform nutzen zu dürfen. Wer Frachten finden oder anbieten will, zahlt zum Beispiel 149,90 Euro pro Monat - ganz gleich, wie viele Geschäfte über die Börse zustande kommen. "Wir üben keinen Einfluss auf die Frachtpreise aus", betont Gburek. Dieses Flatrate-Modell sei die Stärke von TimoCom. Daneben verweist Gburek auf das hohe Sicherheitsniveau der Plattform. Wer sie nutzen wolle, müsse mindestens sechs Monate im Geschäft sein und alle relevanten Lizenzen und Versicherungen vorweisen können. Auch technisch gibt es einige Unterschiede zwischen Start-ups und Frachtenbörsen. Wer die Dienste von TimoCom nutzen will, muss zunächst eine Software herunterladen und auf seinem Rechner installieren. Das sei vor allem aus Sicherheitsgründen nötig, heißt es bei TimoCom. Die jungen Wilden dagegen setzen meist auf das sogenannte Cloud-Modell: Alles lässt sich über die Webseite bedienen. Dahinter steht die Idee, dass eine Palette von Hamburg nach München transportieren zu lassen so einfach sein soll, wie ein Buch bei Amazon zu kaufen. Vorsprung durch (digitale) Technik lautet das Motto der Start-ups. Und da die Gründer oft aus der Internetwirtschaft kommen, spielen sie auf der digitalen Klaviatur tatsächlich versiert. Sie wissen, wie man leicht zu bedienende, attraktive Webseiten baut, wie man Abläufe digital verschlankt. Auch bei Cargonexx ist das Alleinstellungsmerkmal technologischer Natur: die künstliche Intelligenz. Das Programm Manni bündelt die Erfahrung von vielen menschlichen Disponenten, kennt sich überregional und branchenübergreifend aus. So erhalten die Auftraggeber einen besseren Preis, verspricht Cargonexx. In Zukunft soll Manni auch beraten: Er könnte dem Kunden zum Beispiel vorschlagen einen Transport zu verschieben, wenn die Rate zu einem späteren Zeitpunkt günstiger ist. Völlig perfekt ist der digitale Disponent im Moment noch nicht: Manchmal liegt Manni mit seinem Preisangebot auch daneben, verlangt zu viel oder zu wenig. "Wir schauen dann nach, woran der Ausreißer gelegen hat", berichtet Gründer Lafrenz. Doch die Ausreißer werden weniger, weil Manni aus jeder Fehlkalkulation lernt. Die Software, die Cargonexx einsetzt, ist übrigens frei verfügbar. Jedes Unternehmen mit dem nötigen Know-how und ausreichend Tourendaten als Lernstoff für das Programm könnte sich also einen eigenen Manni bauen. Sogar die nötige Rechnerleistung ließe sich für ein paar Hundert Euro im Monat einkaufen. Beide Seiten beäugen sich Werden die Start-ups mit ihrem Technologiewissen die Frachtenbörsen abhängen? Das ist keineswegs sicher, schließlich steht der Markt nicht still. Beide Seiten beäugen sich und schauen voneinander ab. "Das Ziel ist, in Zukunft vom Erstkontakt bis zum Abschluss eines Transportauftrags alles digital abzuwickeln", sagt TimoCom-Sprecher Gburek. Telefonieren oder Faxe verschicken soll bald endgültig der Vergangenheit angehören. Das Geschäftsmodell der Start-ups imitieren will man indes nicht. TimoCom konzentriert sich weiter auf die Rolle des Vermittlers. "Es ist nicht angedacht, zur Online-Spedition zu werden", betont Gburek, "wir wollen nicht Wettbewerber sein für jene, die uns über 20 Jahre lang groß gemacht haben." Praktiker sehen den Kampf um die digitale Vorherrschaft in der Logistik gelassen. "Wir sehen uns an, was die Start-ups machen, und melden uns überall an", sagt Willi Kellershohn, Spediteur aus Lindlar. Über die neuen Plattformen habe man zwar schon einzelne Verlader entdeckt, ein ernst zu nehmendes Volumen komme über diesen Weg jedoch noch nicht rein. "Im Moment sind wir nur erfolgreich mit TimoCom", fasst Kellershohn zusammen. Er rechnet dem Marktführer die besten Zukunftschancen aus, weil der über die größte Kundenbasis verfüge. Die neuen Sklaven der Start-ups Kellershohn sieht aber auch Stärken bei den Newcomern. "Die Start-ups können schneller Preise anbieten." Außerdem komme die unkomplizierte Art, Transportaufträge anzubieten, gerade bei jungen Menschen aus der Smartphone-Generation an. Er sieht in dem digitalen Vorsprung eine Herausforderung für die Transportbranche: "Wenn wir nicht aufpassen, werden wir irgendwann die Sklaven der Startups sein." Experten raten, die Chancen der Start-ups realistisch einzuschätzen. "Wir reden von einer evolutionären Verbesserung - nicht von einem völlig neuen Geschäft", sagt Max-Alexander Borreck, Logistikexperte bei der Strategieberatung Oliver Wyman. Die jungen Firmen beherrschten es, Abläufe zu digitalisieren, zu vereinfachen und Kosten zu senken. Aber reicht das aus? Experte Borreck ist skeptisch. Die besten Chancen räumt er Neuanbietern wie Flexport oder Freightos ein, die Logistikprozesse über Ländergrenzen hinweg organisieren. "Wenn es den Start-ups gelingt, die Komplexität im internationalen Verkehr zu verringern, die etwa durch Verzollung entsteht, dann wird es spannend", sagt Borreck. Es gebe für deutsche Mittelständler jedoch grundsätzlich keinen Grund schwarzzusehen, so Borreck. "Die Startups können nicht so einfach das über Jahrzehnte aufgebaute Wissen um Industrieprozesse replizieren." Sein Rat: Digital-Know-how aufbauen und die neuen Plattformen nutzen, um die eigene Reichweite zu erhöhen. Der Kampf um die digitale Vorherrschaft in der Logistik ist noch nicht entschieden. Zumal Überraschungen jederzeit möglich sind. "Es werden sicher noch neue Player hinzukommen wie Amazon oder Uber. Vor denen haben wir den größten Respekt", sagt Cargonexx-Chef Lafrenz. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Frachtenbörsen www.verkehrsrundschau.de/dossiers

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