Warum Siemens und Scania beim Feldversuch Oberleitungs-Lkw mitmachen

Oberleitung – 2. Generation Scania ist Lieferant der 15 Fahrzeuge für den Oberleitungs-Feldversuch. Die VerkehrsRundschau sprach mit Karin Hallstan, Leiterin der Abteilung Unternehmenskommunikation und PR über aktuelle Probleme und mögliche Weiterentwicklungspotenziale. VR: Man hört, dass demnächst eine Version des Oberleitungs-Lkw kommt, die mit größeren Akkus eine längere Strecke im E-Betrieb zurücklegen kann. Nach Aussage des Fahrers schafft er aktuell bis zu 50 Kilometer. Wie weit geht’s zukünftig und wie viel schwerer wird das Fahrzeug dann? Karin Halstan: Wir können leider aktuell keine Informationen über mögliche zukünftige Versionen oder Modelle kommunizieren. Was wir sagen können: Wir bringen für den deutschen Feldversuchein Fahrzeug mit vier Batterien, die dann auch die vierfache Reichweite haben. VR: Das größte Problem scheint momentan das zuverlässige Andocken an die Oberleitung zu sein. Ist geplant, diesen Vorgang zu „automatisieren“, also den Spurbindungsassistenten zu nutzen? Hallstan: Dies wird automatisiert, sobald wir in Serie gehen. Wie wir wissen kommen auf den drei geplanten Routen drei mal fünf Fahrzeuge von Scania zum Einsatz. Sie erheben wohl alle relevanten Daten. Reichen denn 15 Fahrzeuge aus – zumal von den beiden bislang ausgelieferten eines auch noch Probleme zu haben scheint? Hallstan: Tatsächlich haben wir mit dem BMU eine Vereinbarung über die Lieferung von 15 LKW getroffen. Das BMU hat beschlossen, die generierten Daten von verschiedenen akademischen Institutionen zur Analyse verwenden zu lassen. Die Daten werden aktuell von den Elektrofahrzeugen der zweiten Generation abgerufen. Die erste Generation läuft seit 2016 im Kundenbetrieb in Schweden. 15 Lastwagen sind für das Erlernen von Herausforderungen von großer Bedeutung. Da die zweite Generation noch neu ist, arbeiten wir kontinuierlich daran, Verbesserungen an den Lastwagen vorzunehmen, die im Kundenbetrieb eingesetzt werden. VR: Scania hat also auch außerhalb Deutschlands Fahrzeuge im Einsatz. Können Sie dazu etwas sagen? Hallstan: In Sandviken, Schweden, sind über einen längeren Zeitraum zwei Scania-Elektrofahrzeuge im Kundenbetrieb. Dieses Projekt ist eine Zusammenarbeit zwischen schwedischen Unternehmen und Hochschulen sowie Regierungsbehörden. Trafikverket (Straßenbehörden), Energimyndigheten (Schwedische Energieagentur), die schwedische Innovationsagentur Vinnova, Scania und Siemens sind die Hauptfinanziers und die Region Gävleborg koordiniert das Projekt. Die elektrische Straße in Sandviken wurde am 22. Juni 2016 eingeweiht. Sie ist auch eines der Projekte, die in der deutsch-schwedischen Mobilitätspartnerschaft hervorgehoben wurden. Mehr Informationen findet man unter: https://www.scania.com/group/en/scania-welcomes-sweden-germany-partnerschaft-auf-mobilitäts- und-elektrobahnen/ Die Operation in Schweden lief das ganze Jahr über bei schwierigerem Nordwetter und verlief gut. Es gibt auch Pilotprojekte in Norditalien. Dazu finden sich mehr Informationen unter: https://www.scania.com/group/de/towards-a-zero-impact-ehighway/ VR: Aktuell reichen nach Aussage des Fahrers die 5 km in jede Richtung nur, um den Akku zu etwa 15% zu befüllen. Wäre es nicht sinnvoll die Oberleitungs-Strecken so weit zu verlängern, dass der Akku zu 100% voll ist (also rund 60 km)? Hallstan: Ja absolut, das sehen wir genauso. VR: In wie weit ist die Technik des Oberleitungs-Scania mit der des Hybrid-Scania identisch, den man ja bereits kaufen kann? Hallstan: Wir bauen unsere Elektro-Lkw auf unserer regulären Hybridplattform auf. Das bedeutet, dass das gesamte modulare Programm von Scania auch für die elektrischen Lastkraftwagen verfügbar ist. Die Stromabnehmer kommen allerdings nicht von uns. E-Highway Hasso Georg Gruenjes leitet bei Siemens das Projekt eHighway. Die VerkehrsRundschau sprach mit ihm über die lange Anlaufphase, die Erwartungen ins Projekt und die spätere Einordnung des Oberleitungs-Lkw ins Gesamt-Verkehrskonzept. VR: Warum dauert die Inbetriebnahme der beiden in Baden-Württemberg (BW) und Schelsig-Holstein (SH) geplanten Strecken so lange – und welchen Anteil bzw. Einfluss hat Siemens, die Genehmigungen zu beschleunigen? Hasso Georg Gruenjes: Im Allgemeinen muss berücksichtigt werden, dass es sich um Entwicklungs- und Forschungsprojekt handelt, bei denen es zu Verzögerungen im Projektablauf kommen kann. Das Projekt in BW befindet sich noch im Vergabeverfahren. Hier kann also nicht von einer langen Dauer der Inbetriebnahme gesprochen werden.Im Rahmen der Abnahme des Projekts in SH wurde an einem Ausleger eine nicht normgerechte Ausführung der mastseitigen Befestigungslasche festgestellt. Es wurde entschieden zusätzliche Halterung zwischen Ausleger und Mast anzubringen. Der Mangel hat keinen direkten Bezug zur Technik des Oberleitungs-Lkw, sondern ist vielmehr eine nicht normgerechte Ausführung einer Standardkomponente. Sobald die Arbeiten am eHighway FESH abgeschlossen sind, wird die Anlage eingeweiht. VR: Reichen Siemens die verbleibenden zwei Jahre überhaupt, um valide Erkenntnisse zu sammeln? Gruenjes: Das eHighway System basiert auf den Erfahrungen, die über viele Jahrzehnte im Bereich der elektrifizierten Eisenbahnen gewonnen werden konnten. Seit Juni 2016 wird das System auf einer Autobahn in Schweden betreiben. Das System hat einen sehr hohen technologischen Reifegrad.Entscheidende Erkenntnisse konnten bereits mit dem Aufbau der ersten Anlage in Hessen gewonnen werden. Hier wurde gezeigt, dass eine solche Anlage im vorgegebenen Zeit- und Kostenrahmen und mit minimaler Beeinträchtigung des Verkehrs aufgebaut werden kann. Ziel der Feldversuche ist ein umfangreicher Erkenntnisgewinn hinsichtlich einer Vielzahl von u.a. wirtschaftlichen, betrieblichen und ökologischen Aspekten. Die verbleibende Laufzeit der Projekte wird ganz sicher relevante Erkenntnisse liefern. Es ist nach unserem Kenntnisstand geplant, zu einem späteren Zeitpunkt ggf. alle 15 Lkw auf einer Strecke zu vereinen, um entsprechende Lastkollektive zu simulieren. Ist die Auslegung der Teststrecken überhaupt dafür geeignet – bzw. auch für noch mehr als „nur“ 15 Lkw? Gruenjes: Das eHighway System wurde entwickelt, um das Lkw-Verkehrsaufkommen auf Autobahnen vollständig mit Elektrizität versorgen zu können. Dabei ist das System skalierbar, so dass in einem Einführungsszenario mit geringerer Verkehrsdichte eine günstigere Infrastruktur aufgebaut werden kann, welche dann bei zunehmendem Verkehr verstärkt wird. Die Anlagen in den Feldversuchen sind für die jeweiligen vorgesehenen betrieblichen Szenarien ausgelegt. VR: Nachdem ich mit dem Fahrer unterwegs war stellt sich das „Zentrieren“ des Fahrzeugs unter der Oberleitung als wesentliches Problem heraus. Ist dafür eine bessere Lösung angedacht? Gruenjes: Eine Lösung befindet sich bereits in der Realisierung. Die Verbesserung der Positionierung des Fahrzeugs innerhalb der Fahrspur wird derzeit in Zusammenarbeit mit dem OEM umgesetzt. VR: Um den Akku des Fahrzeugs komplett zu laden, wären ca. 70 km Fahrstrecke nötig. Welchen Sinn hat es da, mit 2 x 5 km zu operieren? Gruenjes: Eines der Ziele des Feldversuchs ist es, nachzuweisen, dass das Laden der fahrzeugseitigen Batterien während der Fahrt möglich ist. Dieser Nachweis wurde erbracht. Die prozentuale Zuladung der Batterie ist jedoch kein geeignetes Maß der Tauglichkeit dieser Funktion des Systems, da diese nicht nur von der Länge der elektrifizierten Strecke, sondern auch von der Größe und Eigenschaft der Batterie abhängig ist. VR: Der Ausbau der Hauptrouten in Deutschland kostet laut BMU ca. 13 Mrd. Euro. Wäre das Geld nicht besser in die Elektrifizierung der Bahn investiert – zumal Siemens ja auch einer der größten Anbieter von Bahntechnik ist? Gruenjes: Wichtig ist: Die Oberleitungs-Lkw sollen und dürfen keine Konkurrenz zum Güterverkehr auf der Schiene sein! Sie sind eine notwendige Ergänzung. Unterschiedliche unabhängig Studien sind zu dem Schluss gekommen, dass das Oberleitungssystem für Lkw die wirtschaftlichste Lösung ist, um die Klimaziele zu erreichen. Hier eine kurze Auswahl:BMVI, „Machbarkeitsstudie zur Ermittlung der Potentiale des Hybrid-Oberleitungs-Lkw“ im Rahmen der MKS: In einem eingeschwungenen Zustand (bestehende Infrastruktur und rege Nutzung) können HO-Lkw mit zusätzlichem Dieselmotor eine betriebs- und volkswirtschaftlich sinnvolle Lösung sein. Langfristig könnten rund 80 Prozent der in Deutschland zugelassenen schweren Lkw mit dieser Technik fahren. https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Artikel/G/MKS/hybrid-oberleitungslkw.html Gerne empfehle ich auch den Podcast mit dem Autoren der Studie: https://www.atudo.de/2019/09/09/podcast-e-highways-fuer-lkw/ BDI, Klimapfade für Deutschland: Wirtschaftlich für Deutschland und effektive Maßnahme zum Klimaschutz in der noch zur Verfügung stehenden Zeit (4.000 bis 8.000 km Autobahn) https://bdi.eu/publikation/news/klimapfade-fuer-deutschland/ Öko/Ifeu/Fraunhofer, „Alternative Antriebe und Kraftstoffe im Straßengüterverkehr – Handlungsempfehlungen für Deutschland“: Nicht nur günstiger als konventionelle Diesel-Lkw, sondern auch günstiger als die alternativen Antriebe PtX, Brennstoffzelle und Batterie https://www.oeko.de/fileadmin/oekodoc/Thesen-Zukunft-StrGueterverkehr.pdf UBA, „Energieversorgungs-optionen des Verkehrs bis zum Jahr 2050“: Günstigste Lösung aus einer Systemperspektive und niedrigste Kosten während des Ausbaus https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/2019-09-19_texte_114-2019_energieversorgung-verkehr.pdf Hinsichtlich der Elektrifizierung der Bahn müssen aber aus einer gesellschaftlichen Perspektive folgende Zahlen berücksichtig werden: Zur Bahn: Die Transportleistung auf der Schiene betrug rund 130 Mrd. Tonnenkilometer. Ein Marktanteil von ca. 19%. Das Schienennetz der Bahn hat eine Länge von ca. 38.500 km Rund 60% davon sind elektrifiziert. 90% der Verkehrsleistung der Bahn werden elektrisch erbracht Zum Güterverkehr auf der Straße: Die Transportleistung der Lkw betrug rund 484 Mrd. Tonnenkilometer. Ein Marktanteil von ca. 74%. Deutschland verfügt über ca. 13.000 Autobahnkilometer Die elektrisch erbracht Verkehrsleistung der Lkw ist vernachlässigbar. Wie erreichen wir die Ziele? Was ist eine gute Investition? Die restlichen ca. 40% Schienennetz elektrifizieren um die verbleibenden 10% der 19%, also weniger als 2% der Tonnenkilometer elektrisch zu erbringen Oder mit vergleichbarer Technik eine geringere Anzahl von Streckenkilometern Autobahnen elektrifizieren um 74% Tonnenkilometer zu adressieren Und dabei sollten nicht vergessen werden, dass für den Transportsektor erhebliche Wachstumsprognosen vorliegen. Links: https://www.allianz-pro-schiene.de/glossar/elektrifizierung/ https://www.allianz-pro-schiene.de/themen/umwelt/elektromobilitaet/ https://www.allianz-pro-schiene.de/themen/gueterverkehr/marktanteile/ https://www.vda.de/de/themen/wirtschaftspolitik-und-infrastruktur/verkehr/gueterverkehr.html VR: Wie genau ist eigentlich der „Anteil“ von Siemens zu beschreiben? Gruenjes: Siemens hat das System entwickelt. Entscheidend ist jedoch, dass auch Wettbewerber die Technologie liefern können, da ein proprietäres System nicht als flächendeckende Lösung geeignet ist. Die Feldversuche in Deutschland wurden öffentlich ausgeschrieben.

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