Viele Daten gleich viel Nutzen?

Digi-Tacho, Speditionssoftware, Telematiksystem, kaufmännische Software, Lagerverwaltungssystem - die zahlreichen IT-Systeme in der Spedition produzieren eine regelrechte Datenflut. Damit über den eigentlichen Zweck hinaus etwas Gewinnbringendes anzustellen, das ist die Idee von Big Data: Aus vorhandenen Daten mehr Nutzen generieren als den für das Tagesgeschäft unbedingt nötigen. Dazu stellt Big Data Methoden, Technologien, IT-Architekturen sowie Tools zur Verfügung, um die steigende Menge an Informationen in bessere Entscheidungen umzusetzen, so der IT-Branchenverband Bitkom in seinem Leitfaden "Big Data im Praxiseinsatz - Szenarien, Beispiele, Effekte". Es geht darum, unstrukturierte Daten verschiedener Quelle zu sammeln, automatisiert und möglichst in Echtzeit auszuwerten sowie aus diesem Ergebnis konkrete Maßnahmen abzuleiten. "In der Praxis zielt das für kleinere und mittelständische Unternehmen, Verlader wie Speditionen, beispielsweise darauf ab, viele bidirektionale Insellösungen beim Zeitfenstermanagement zu konzentrieren", veranschaulicht Bernhard van Bonn, stellvertretender Abteilungsleiter Verkehrslogistik am Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik (IML). "Durch die Koordination verschiedener Informationen auf einer Plattform bietet Big Data etwa Optimierungen durch eine verbesserte Auslastung von LKW." Van Bonn, Mitverfasser des Positionspapiers "Big Data für eine optimierte Supply Chain", sieht in Big Data die Klammer für einen gefilterten, geschickten Zugriff auf Informationen der großen Datenflut einer ganzen Logistikkette, also sowohl unternehmensintern als auch unternehmensübergreifend. "Bis zu 75 Prozent des Verbesserungspotenzials der Supply Chain sind in der Struktur des Netzwerkes als Ganzes zu finden", sagt van Bonn. "An dieser Stelle kann Big Data helfen." Denn für gut gestaltete Beschaffungs- und Distributionsnetze sind neben den reinen Materialströmen vor allem die zugehörigen Informationsströme relevant. Bei verladenden Unternehmen, so das IML-Positionspapier, ist der Zugriff auf verlässliche Daten in der Regel auf die Grenzen des eigenen Unternehmens beschränkt und schließt Zulieferer und Endkunden oft aus. "Ein solcher Zugriff auf Daten anderer böte kleinen und mittleren Unternehmen großen Nutzen; mehr als den Großunternehmen", urteilt van Bonn. "Leider ist das Thema mit vielen Ängsten besetzt. Zudem gibt es für den Mittelstand wenige fertige Lösungen, die die entsprechenden Daten generieren." Die Gemengelage aus diffusen Psychosen, Unsicherheit bezüglich der erforderlichen Technologie sowie fehlende Antworten auf die Frage nach dem konkreten Nutzen seien einer offenen Diskussion des Themas wenig zuträglich. Bei Big Data scheiden sich die Geister. Selbst die Experten und Analysten sind uneins. Studien und Untersuchungen bieten ein selten uneinheitliches Bild: Die deutschen Unternehmen hätten den Big-Data-Trend "verschlafen", urteilt etwa der "IT-Trend Report 2013/2014", den der IT-Dienstleister Di-Omega herausgegeben hat. Demnach sind 39 Prozent der befragten Branchenexperten überzeugt, dass Big Data bislang vollständig an der IT-Szene und den deutschen Unternehmen vorbeigezogen ist. Speditionssoftware als Ersatz "Unter den Logistikdienstleistern befassen sich besonders die kleineren Mittelständler mit der Thematik Big Data offenbar noch nicht", erläutert Rüdiger Gelf, Geschäftsführer von Gehr Datentechnik, Entwickler von Speditionssoftware. "Entsprechende Anwendungsoptionen werden nicht nachgefragt - und folglich auch kaum entwickelt." "Solange sich für Big-Data-IT im Speditionsumfeld ein Return on Invest nicht darstellen lässt und solche Systeme weder etabliert noch bewährt sind, haben kleine und mittelständische Unternehmen für Projekte wie Big Data weder Zeit noch Geld", meint auch Michael Hoffmann, Geschäftsführer des Speditionssoftware-Entwicklers HHD Software. "Was in Speditionen an Datenfiltern, -analysen und -zugriffen für das Alltagsgeschäft erforderlich ist, deckt moderne Speditionssoftware mit ihren Analyse- und Statistikfunktionen ab." Mit entsprechenden Filterfunktionen könnten Anwender etwa Daten auf das gewünschte Minimum komprimieren, Abfragen automatisieren und schnell auf Informationen aus größeren Datenbanken zugreifen und sie analysieren. "Damit lassen sich entscheidenden Fragen wie etwa danach, wie hoch die Umsätze mit einem Kunden sind und ob er sich rechnet oder nicht, auch ohne zusätzliche Big-Data-Tools beantworten", fasst Hoffmann zusammen und resümiert: "Themen wie Fahrernachwuchs oder die nächste Ladung bewegen die Unternehmer deutlich stärker als Big Data. Als eigenständiges Thema ist Big Data im KMU-Umfeld momentan nicht adressierbar." Größere Spediteure tasten sich heran Tatsächlich wissen viele Unternehmen noch nichts davon, dass sie einen Bedarf haben, ihre erfassten Datenmassen zu analysieren. Die Verarbeitung großer Datenvolumina, der Umgang mit verschiedenartigen, polystrukturierten Daten sowie das Bereitstellen und Auswerten von Informationen in Echtzeit stellt für weniger als zehn Prozent der Unternehmen ein ernsthaftes Problem dar, so ein Ergebnis der Studie "Business Intelligence Maturity Audit" von Steria Mummert Consulting. Jedes dritte Unternehmen hält das Thema Big Data sogar für irrelevant. Selbst große Marktplayer wie die Hellmann Worldwide Logistics gehen mit dem Thema gegenwärtig noch zurückhaltend um. "Das Thema Big Data ist grundsätzlich im Unternehmen angekommen", sagt Christoph Dransmann von Hellmann. Hellmann stehe aber noch ganz am Anfang und könne sich daher noch nicht zum Thema äußern. Die von IBM veröffentlichte Studie "Analytics: The real-world use of big data" kommt hingegen zu dem Schluss, dass das Thema inzwischen sogar beim Mittelstand nicht nur angekommen ist, sondern breite Durchsetzung erfährt. "Im Mittelstand beschäftigen sich drei von vier Unternehmen intensiv mit dem Thema Big Data - jedes vierte Unternehmen hat sogar bereits konkrete Projekte in Angriff genommen", sagt Martina Fiddrich Leiterin des Geschäftsbereichs Mittelstand und Partnership Solution Center bei IBM. Ein Beleg dafür ist beispielsweise Dachser. "Wir wollen die immer schnelleren Veränderungen so früh wie möglich in die eigenen Planungen von Produktion, Strategien, Ressourcen, Kapazitäten et cetera einfließen lassen", sagt Hubert Reiser, Leitung IT-Organisation/IT-Marketing bei der Spedition. "Vor dem Hintergrund volatiler Logistikmärkte ist es notwendig, dass wir Warenströme mit immer besseren Methoden berechnen und optimieren." Seit Jahren verarbeiten die Kemptener zentral vorhandene Massendaten für interne Analysen, Auswertungen und strategische Ableitungen. "Die Zusammenführung unserer Informationen mit denen unserer Kunden ist dabei ein Aspekt." Big Data hilft im Logistik-Verbund Doch welche Daten sollen überhaupt erschlossen werden und welcher Nutzen lässt sich daraus ziehen? Der Branchenverband Bitkom sieht als wichtigstes Einsatzgebiet in der Logistik die Supply Chain. Lieferketten können optimiert und Verkehrstelematik dazu genutzt werden, Stillstandzeiten bei Transporten zu verhindern. Wenn etwa ein Hersteller eine Vielzahl von Produkten berücksichtigen muss, sei eine zeitnahe und verteilte Auswertung der Daten, die auch bei den Partnern liegen können, erfolgsentscheidend. Neben Daten der eigenen Kapazitäten an den Produktionsstandorten betreffe dies Daten der Auftragsfertiger, der Zwischenläger und der Logistikpartner sowie Prognosen über künftige Absatzmengen. Ab einem täglichen Transportvolumen von mehr als 15.000 Sendungen sieht Maik Fischer, Leiter Projektmanagement beim Speditionssoftwareanbieter Soloplan, die Grundlagen für die Anwendung von Big-Data-Applikationen gegeben. "Das sind Datenmengen, die über handelsübliche Formen wie Excel-Dateien in der Datenverarbeitung bei Speditions- und Logistikunternehmen wirtschaftlich nicht mehr gehandhabt werden können." Allerdings weist der IT-Experte auch auf ein Problemfeld hin, das die Umsetzung von Big-Data-Projekten einschränkt: die Hardund Software-Anforderungen. "Es werden aufwendige und stark strukturierte IT-Architekturen im Bereich Rechenzentrum, Clusterung, Möglichkeiten der Virtualisierung und Einsatz von Server-Farmen benötigt", so Fischer. Neben dieser Hardware seien entsprechende Applikationen nötig, da auch ein System zur Verwaltung dieser Datenmengen bereitstehen müsse. So sind es vor allem die fehlenden Voraussetzungen auf der Infrastruktur-, Netzwerk- und Erfahrungsebene, die die Erwartungen an Big Data dämpfen. Zu diesem Ergebnis kommt die Untersuchung "Datenexplosion in der Unternehmens-IT - Wie Big Data das Business und die IT verändert", die das Beratungsunternehmen Experton Group veröffentlicht hat. Noch viel Aufklärungsarbeit nötig Offenbar befinden sich die KMU der Logistikbranche hinsichtlich Big Data bestenfalls in einer Orientierungsphase. "Von den mir bekannten Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbeitern arbeiten höchstens zehn Prozent mit einem Data Warehouse", weiß Lars Zimmermann, Leiter Softwareentwicklung bei Transdata Soft- und Hardware. "Die anderen sind von Konzepten wie Business Intelligence oder Big Data im klassischen Sinne weit entfernt." Es herrschen vielmehr eine gewisse Unsicherheit und Aufklärungsbedarf. "Transportkettenüberwachung in Echtzeit und mit ganzheitlichen Systemen - das ist noch ein weiter Weg", so Zimmermann. "Erst die Anforderungen in Projekten werden zeigen, wohin es geht und wie die Nachfrage sich entwickelt." Zunächst also tut sich mit Big Data ein riesiger Markt vor allem für IT-Unternehmen auf. Bitkom zufolge wird Umsatz mit Big-Data-Produkten und -Dienstleistungen in diesem Jahr weltweit auf rund 73,5 Milliarden Euro steigen - ein Plus um 66 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Volker Oßendoth, Studienleiter von Steria Mummert Consulting, warnt jedoch: "Der Hype um Big Data verführt dazu, in eine abstrakte Technologiediskussion abzudriften, ohne vorher die grundlegendsten Fragen nach wirtschaftlichem Nutzen beantwortet zu haben". Charakteristika von Big Data Bestimmende V-Faktoren für Big-Data-Lösungena - Volume, die Datenmenge, bezieht sich auf die große Datenflut, die kontinuierlich erzeugt wird. Für Mittelständler beginnt Big Data bei einem Terabyte, für Großunternehmen bei 100 Terabyte.- Velocity, die Geschwindigkeit, beschreibt, dass die kontinuierlich produzierten Daten immer schneller, im Idealfall in Echtzeit, zu verarbeiten sind.- Variety, die Form, kennzeichnet den Sachverhalt, dass die aufzubereitenden Daten in unterschiedlichen Formaten und aus verschiedenen Quellen bezogen werden.- Veracity, die Verlässlichkeit, betrifft die Qualität der Daten. Die Zuverlässigkeit der Daten muss besonders bei Analysefunktionen berücksichtigt werden.- Value, der Mehr-Wert, meint den informatorischen oder strategischen Mehrwert, den die neu erfassten Daten für die Geschäftsprozesse oder Geschäftsfelder bieten.Quelle: IBM, T-Systems Big-Data-Glossar Big Data und seine Verwandten Big Data sind große Datenmengen, die mit herkömmlichen Methoden der Datenverarbeitung nicht mehr auszuwerten sind. Mit Big Data sollen die immer größeren Datenmengen, die gespeichert, verwaltet und analysiert werden müssen, weiteren Mehrwert für die Geschäftsprozesse sowie die Analyse und Steuerung der Supply Chain bieten. Dabei dienen Anwendungen von Big Data nicht allein einem bestimmten Ziel. Das größte Potenzial von Big Data wird im Aufbau strategischer Wettbewerbsvorteile gesehen. Weitere Ziele sind Steigerung der Umsätze, Kostensenkungen, höhere Produktivität sowie die datenbasierte Planung und Entscheidungsfindung.Business Intelligence (BI) bedeutet das Zusammenführen und Analysieren von Daten verschiedener Ursprünge, sogenannter Data Marts, in einem Data Warehouse. Ziel ist es, aus vorhandenen Informationen neues , handlungsorientiertes Wissen zu generieren, das Managemententscheidungen unterstützt.Bei der Lagerhaltung etwa werden Daten aus dem Lagerverwaltungssystem gesammelt und zusammen oder separat ausgewertet, um die Leistungsfähigkeit des Lagerstandortes zu verbessern.Data Mining meint die Anwendung von Methoden und Algorithmen, mit denen Zusammenhänge zwischen Planungsobjekten möglichst automatisch erfasst und dargestellt werden, um Muster oder Regelmäßigkeiten zu erkennen und nutzbar zu machen. rbb

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