Eschborn. Der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME) hat vor dem Hintergrund des Russland-Ukraine-Konflikts seine Mitglieder mit Fokus auf deren Beschaffungsaktivitäten in der Region befragt. Laut Verband ergab sich ein „dramatisches Stimmungsbild“.
Den Ergebnissen zufolge schätzen knapp die Hälfte der 116 befragten Unternehmen aus den Branchen Automotive, Chemie, Bio, Pharma, Energie und Versorgung sowie Maschinenbau die gegenwärtige Situation als hochbrisant ein. Das gelte vor allem bei einer militärischen Auseinandersetzung. Im Falle westlicher Sanktionen erwarten jeweils rund 30 Prozent in der Beschränkung von Handelswegen und dem Stopp der Ostsee-Pipeline „Nord Stream 2“ direkte Auswirkungen auf ihren Geschäftsbetrieb. Mehr als 90 Prozent der Teilnehmer erwarten deutlich höhere Einkaufspreise, die den Inflationsdruck weiter erhöhen. Mehr als 70 Prozent sehen zudem deutliche Risiken in Bezug auf die Handelsrouten der Neuen Seidenstraße.
75 Prozent rechnen mit Einschränkungen
Ein vollständiges Zerreißen der Lieferketten als Folge der Auseinandersetzungen zwischen Russland und der Ukraine befürchtet ein gutes Fünftel der Befragten. Allerdings erwarten über 75 Prozent der Teilnehmer, dass auf ihre Unternehmen Einschränkungen zukommen beziehungsweise der Beschaffungsaufwand steigt. „Das können sowohl der monetäre Aufwand als auch personelle Ressourcen und komplizierter werdende Prozesse sein“, sagte die Hauptgeschäftsführerin des BME Helena Melnikov.
Finanzmarktbeschränkungen würden von den Befragten zwar aktuell als weniger gefährlich angesehen. „Jedoch könnten diese Sanktionen gravierende Auswirkungen auf alle Handelsströme haben und sollten deshalb nicht unterschätzt werden“, betonte Melnikov.
Einige der Befragten erwägen laut BME einen Strategiewechsel in ihren Unternehmen. So wollen fast zwei Drittel auf alternative Beschaffungs- und Absatzmärkte ausweichen. 13 Prozent spielen mit dem Gedanken, ihre ausländischen Direktinvestitionen in Russland und der Ukraine zu senken. 23 Prozent überprüfen die Sicherheit ihrer Logistikwege, Beschaffungsquellen und Geldflüsse.
Suche nach alternativen Beschaffungswegen wird intensiviert
Der BME wollte auch wissen, ob die Einkäufer, die in beiden Ländern beschafften Waren und Rohstoffe zeitnah durch Lieferungen aus anderen Regionen ersetzen könnten. Hier ergab die Umfrage, dass nur eine Minderheit der Unternehmen (15 Prozent) nicht in der Lage wäre, diese Güter woanders einzukaufen.
Zur Risikominimierung haben die Befragten bereits konkrete Maßnahmen getroffen oder planen diese. So wurde die Suche nach alternativen Beschaffungsmöglichkeiten (Double Sourcing) intensiviert. Gleichzeitig erhöhen viele Firmen (39 Prozent) ihre Lagerbestände – soweit das bei der ohnehin angespannten Beschaffungssituation überhaupt möglich ist. Die Substitution von Rohstoffen und Materialien wird ebenfalls verstärkt geprüft, um die Abhängigkeit von Russland und der Ukraine zu verringern. „Genannt wurde auch die Umstellung der Beschaffung weg vom Spot- und hin zum Terminmarkt. Dies kann vor allem das Risiko von Preissteigerungen in einem verträglichen Rahmen halten“, erläuterte die BME-Vorstandsvorsitzende Gundula Ullah. (sn)