Transport mit Grenzen

Weil es bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise keine Fortschritte gibt, bereitet sich die EU auf jahrelange Grenzkontrollen vor. Anfang der Woche haben die EU-Mitgliedstaaten die EU-Kommission aufgefordert, eine weitere Verlängerung der Kontrollen an den Binnengrenzen des Schengen-Raums auf bis zu zwei Jahre zu prüfen. Die Wirtschaftsverbände haben die Politik eindringlich auf die Folgen von regelmäßigen Grenzkontrollen hingewiesen und vor unabsehbaren finanziellen Auswirkungen gewarnt. So geht der Deutsche Speditions- und Logistikverband (DSLV) von drei Milliarden Euro jährlichen Zusatzkosten im Straßengüterverkehr aus. "Hinzu kommen noch Verzögerungskosten bei den internationalen Transporten der übrigen Verkehrsträger. Logistikkosten werden massiv steigen", befürchtet DSLV-Hauptgeschäftsführer Frank Huster. Dessen Kollege vom Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL), Karlheinz Schmidt, verwies auf die für das Gewerbe wichtige Relation zwischen Deutschland und Österreich. Vieles spreche dafür, dass die Politik am Interesse der Wirtschaft vorbei entscheide. Der BGL hat inzwischen ein Rundschreiben an seine Mitgliedsunternehmen geschickt und diesen empfohlen, "einen Plan B im Kopf zu haben". Der Bundesverband Wirtschaft, Verkehr und Logistik (BWVL) hält sich dagegen derzeit noch mit Ratschlägen zurück. "Grenzkontrollen bedeuten Wartezeiten, damit zeitintensivere Umläufe, zusätzliche Bürokratie und damit höhere Kosten für alle am Transport Beteiligten", sagte BWVL-Hauptgeschäftsführer Christian Labrot. Nach Ansicht des Deutschen Verkehrsforums (DVF) werden sich regelmäßige Grenzkontrollen auf den Wohlstand der Exportnation Deutschland auswirken. "Der EU-Binnenmarkt ist eine Errungenschaft, die nicht gefährdet werden darf", appellierte Geschäftsführer Thomas Hailer an die Politik. BGA stützt den Merkel-Kurs Der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Anton Börner, sieht im Streit über die Wiedereinführung von Grenzkontrollen die Existenz von Euro und Europäischer Union in Gefahr. "Es geht ums Ganze". Und er fügte hinzu: "Wenn man jetzt Schengen in dieser Form zerstört und die Europäische Union massiv gefährdet, dann befürchte ich eine Kettenreaktion, die beim Euro nicht haltmachen wird. Dann fliegt uns der ganze Laden in die Luft". Börner forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nachdrücklich auf, an ihrem Kurs festzuhalten. "Wenn sie nachgibt, bricht uns die Europäische Union auseinander". Merkel lehnt nationale Alleingänge zur Lösung der Flüchtlingskrise ab und fordert eine europäische Regelung. Auch der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE), Stefan Genth, zeigte sich alarmiert. Der Warenverkehr in Europa wäre infolge der Wiedereinführung von Kontrollen durch unüberschaubare Verzögerungen stark beeinträchtigt. Besonders das Zusammenwachsen der Grenzregionen würde behindert. Zurück zu teuren Lagersystemen Der Verband der Automobilindustrie (VDA) hat differenziert auf mögliche Einschränkungen reagiert. "Wir gehen insgesamt nicht davon aus, dass es zu vollständigen Grenzschließungen kommt, durch die Personen- und Güterverkehr komplett blockiert würden", heißt es auf Anfrage. "Sollten die Behörden jedoch Grenzkontrollen deutlich verschärfen, insbesondere zwischen Deutschland und Österreich, dann sind Verzögerungen in der Lieferkette zu erwarten". Die Automobillogistiker seien auf Störungen unterschiedlichster Art vorbereitet. Aber natürlich gelte: "Je umfangreicher diese Störungen sind, desto höher die Kosten". Der Deutsche Industrieund Handelskammertag (DIHK) sieht die Gefahr, dass das System des arbeitsteiligen Wirtschaftens in Deutschland und Europa ausgehebelt wird. Gebe es die offenen Grenzen nicht mehr, müssten wieder teure Lagersysteme aufgebaut werden, betonte DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben. Schließlich seien mit der Öffnung der Grenzen vor Jahren Lager geschlossen worden, weil man sich auf pünktliche Lieferungen verlassen könne. Der DIHK rechnet sogar mit Kosten von rund zehn Milliarden Euro im Jahr für die Wirtschaft, sollten wieder regelmäßige Grenzkontrollen in Europa Routine werden. Im Gegensatz zu den zahlreichen Unterstützungsbekundungen der Verbände für Merkel gibt es allerdings im Wirtschaftsflügel der Union Kritik am Flüchtlingskurs der Regierungschefin. Dort ist man offen für Grenzkontrollen und eine Flüchtlingsobergrenze. Dagegen warnte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) eindringlich vor einer Rückkehr zu Grenzzäunen und -kontrollen. Dies wäre eine wirtschaftliche Katastrophe und würde die Arbeitslosenzahlen steigen lassen. "Ich mag mir gar nicht vorstellen, was das heißt, wenn auf einmal die Lkw und viele andere sowie Arbeitnehmer jetzt wieder an den Grenzen stundenlang warten müssen". EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker äußerte sich ähnlich. "Wer Schengen killt, wird im Endeffekt den Binnenmarkt zu Grabe getragen haben". Denn regelmäßige Grenzkontrollen bedeuteten etwa Wartezeiten im Güterverkehr und damit höhere Kosten für die Wirtschaft. Werde bei allen Grenzkontrollen in Europa eine einstündige, zusätzliche Wartezeit pro Lkw zugrunde gelegt, führe dies zu "einem Kostenpunkt von drei Milliarden Euro" im Jahr. Der künftige Präsident des Ifo-Instituts, Clemens Fuest, allerdings hält solche Szenarien für übertrieben. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier "Flüchtlingskrise" www.verkehrsrundschau.de/dossiers Grenzkodex Regeln im Schengen-Raum Innerhalb des Schengen-Gebiets, dem 26 europäische Länder angehören, gilt grundsätzlich Reisefreiheit ohne Kontrollen. Diese sind nur als Ausnahme zulässig. Deutschland beruft sich derzeit auf Artikel 23 und 24 des Schengener Grenzkodex. Demnach muss "die öffentliche Sicherheit oder die innere Ordnung in einem Mitgliedstaat ernsthaft bedroht" sein, damit wieder kontrolliert werden darf. Derzeit kontrollieren sechs Länder ihre Grenzen. Fünf von ihnen - neben Deutschland auch Dänemark, Österreich, Schweden sowie das Nicht-EU-Land Norwegen - begründen die Kontrollen mit der Flüchtlingskrise. Frankreich als sechstes Land beruft sich dagegen nach den Anschlägen von Paris vom 13. November auf die Terrorgefahr. Die Kontrollen Deutschlands laufen vorerst bis zum 13. Februar, können aber auf bis zu zwei Jahre ausgedehnt werden. jök

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