Tauziehen am Fehmarnbelt

Selten ruhten auf einem Verkehrsprojekt so viele Hoffnungen wie auf dem Fehmarnbelt-Tunnel: Die 18 Kilometer lange Querung zwischen der deutschen Ferieninsel Fehmarn und dem dänischen Lolland soll nichts weniger als Skandinavien näher an Mitteleuropa rücken. Die Vision: Durch die bessere Verkehrsanbindung entsteht eine Wirtschaftsregion mit neun Millionen Einwohnern, die das südliche Schweden, die dänischen Inseln Seeland, Falster und Lolland sowie Schleswig-Holstein bis an die Grenzen Hamburgs umfasst. Dänemark finanziert den Tunnel alleine Soweit die Theorie: Doch die Menschheit wird wohl noch eine Weile auf die Realisierung warten müssen. Sollten ursprünglich bereits 2018 die ersten Züge und Autos durch den Tunnel rollen, ist das Projekt mittlerweile kräftig in Verzug geraten. Auf der Bremse stehen wie so oft vor allem deutsche Umweltschützer und Bürgerinitiativen. In Dänemark gibt es allenfalls Kritik an den Finanzierungsmodellen. Geplant ist ein jeweils zweispuriger Straßen- und Eisenbahntunnel. Die Vorteile liegen in einer Beschleunigung der Transporte. Bisher brauchen Passagiere per Fähre eine Überfahrtzeit von 45 Minuten plus Wartezeit; der Tunnel soll für Pkw und Lkw in 10 bis 15 Minuten passierbar sein und für Passagierzüge in 7 Minuten. Noch einschneidender sind die Vorteile für Güterzüge. Sie sparen zwischen Hamburg und Kopenhagen einen Umweg von 160 Kilometer über Jütland und Fünen. Den Bau des rund 18 Kilometer langen Tunnels finanziert Dänemark allein. Der vorläufige Baukostenetat beträgt 7,4 Milliarden Euro. Deutschland muss nur die Hinterlandanbindung auf seinem Gebiet bezahlen. Dafür nannte das Bundesverkehrsministerium vor Monaten eine Summe von 2,2 Milliarden Euro. Die dänische Seite ist derzeit nahezu im Plan. Mit Zustimmung von sieben der acht im dänischen Parlament vertretenen Parteien wurde im April dieses Jahres ein Baugesetz erlassen, das die meisten Details des Verkehrsprojektes regelt. Allerdings bauten die dänischen Politiker eine Notbremse ein: Bei wesentlichen Änderungen von drei Faktoren werden die Parlamentarier noch mal neu beschließen. Dabei handelt es sich zum einen um eine Explosion der errechneten Baukosten und zweitens um Änderungen bei den EU-Fördergelder, die mit 18 Prozent der Baukosten für die Querung und 10 Prozent der Kosten für die dänische Hinterlandanbindung einkalkuliert sind. Zur Geltung kommen wird allerdings am ehesten der dritte Faktor: der Zeitplan der deutschen Planfeststellung. 3000 Einwendungen gegen den Tunnel Die zuständigen Planungsbehörden in Schleswig-Holstein legten im Oktober 2013 einen Plan für die Querung auf deutscher Seite vor. Bis Mai 2014 waren rund 3000 Einwendungen und Stellungnahmen eingegangen - in Dänemark waren es ganze 30. Seit Juli laufen Erörterungstermine, die Ende November abgeschlossen werden sollen. Dann kommt es zur Planfeststellung. Bereits fertig ist der Planfeststellungsbeschluss zum Ausbau der B 207 zwischen Heiligenhafen und dem Tunnelbeginn in Puttgarden. "Die Klagewahrscheinlichkeit liegt allerdings bei 100 Prozent", sagt Martin Krause, Referent für Standortpolitik Industrie- und Handelskammer zu Lübeck. Neben Umweltschützern und Anliegern zählt auch die Fährreederei Scandlines zu den Gegnern. Sie betreibt den Fährdienst zwischen Puttgarden und Rödby, der unter der festen Querung empfindlich leiden würde. Eine Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss würde mit zwei Jahren Verzögerung zu Buche schlagen. "Der zuletzt genannte Fertigstellungstermin 2024/2025 ist daher kaum zu halten", sagt Krause. Das sieht man offenbar mittlerweile auch in Dänemark so. Der dänische Verkehrsminister Hans Christian Schmidt nannte gegenüber den "Kieler Nachrichten" das Jahr 2027 als mögliches Datum für die Fertigstellung. Auf der Eisenbahnseite ist die Vorplanung abgeschlossen. Hier gelang es den Planern und DB Netz im Vorfeld eine wesentliche Hürde zu nehmen. Die Trassenführung zwischen Lübeck und Puttgarden orientiert sich nun nicht mehr an der bisherigen Trasse, die durch einige berühmte deutsche Ostseebäder führt, sondern wird direkt entlang der Autobahn A 1 gebaut. Während die Verzögerungen insbesondere in Dänemark ein Politikum sind, reagiert das Transportgewerbe auf beiden Seiten der Grenze gelassen. "Die feste Fehmarnbeltquerung wird für Verkehre nach Schweden sicherlich eine interessante, weil Zeit sparende Alternative", sagt Holger Matzen, Logistikleiter der Spedition Herbert Voigt aus Neumünster und Vorsitzender der Logistikinitiative Schleswig-Holstein. Die Spedition Voigt ist im Stückgut- und im Ladungsverkehr nach Skandinavien aktiv. Jütlandroute nicht vernachlässigen Negative Auswirkungen einer Verzögerung fürchtet er nicht. Zum einen gibt es die hochfrequente und zuverlässige Fährverbindung über die Vogelfluglinie, zum anderen ist für den Lkw-Verkehr mit Dänemark die Jütland-Route ohnehin deutlich wichtiger. Die Jütland-Route führt von Hamburg als A 7 bis nach Flensburg an der dänischen Grenze und von dort aus als E 45 in die dänischen Industriezentren auf der Halbinsel Jütland. "Das Dreieck zwischen Kolding, Vejle und Odense auf der Insel Fünen ist für uns ein wichtiges Quellund Zielgebiet", sagt Matzen. Bei keiner dieser drei Destinationen ist die Fehmarnbelt-Querung von Nutzen. Ähnlich sieht es auch Anders Jessen, verkehrspolitischer Berater des Frachtführerverbandes ITD. "Die dänische Transportwirtschaft sieht die Fehmarnbelt-Querung positiv", sagt Anders, um im gleichen Zug darauf hinzuweisen, dass die Jütland-Route auf keinen Fall vernachlässigt werden dürfe. "Zwei Drittel der industriellen Wertschöpfung Dänemarks findet in Jütland und auf Fünen statt", betont Jessen, wie auch ein Blick auf die Statistik zeigt. Demnach passierten im Jahr 2013 30,4 Millionen Tonnen Fracht die Grenze zwischen Schleswig-Holstein und Jütland, über die Vogelfluglinie gingen nur 6,1 Millionen Tonnen. Trotzdem wird die Fehmarnbelt-Querung - wenn sie denn fertig ist - erhebliche Auswirkungen auf die Verkehrsströme haben. Klar ist, dass die Güterbahnen von der Verbindung profitieren. Experten rechnen mit einem deutlichen Anstieg direkter Verkehrsverbindungen zwischen Mitteleuropa und den schwedischen Wirtschaftszentren. Leidtragende könnten die umweltfreundlichen Fährverbindungen sein. Besonders betroffen sind außer der Scandlines-Verbindung Puttgarden nach Rödby auch die Verbindungen zwischen Lübeck und dem südschwedischen Trelleborg sowie zwischen Göteborg und Kiel, die von der Stena Line angeboten werden. Entsprechend groß ist die Skepsis der Reeder. Sie fürchten nicht nur den Verlust von Ladung an die Eisenbahn, sondern auch den Verlust von Lkw, die bisher gute Kunden auf den Fähren sind. Bereits im Jahr 2011 nutzten jeden Tag 1000 Lkw die Fähren zwischen skandinavischen Häfen und Deutschland. Die Verkehrsprognosen sehen ein dynamisches Wachstum. Nach einer Analyse von TransECO2, einem dänischen Institut, waren im Jahr 2013 täglich 5500 Fahrzeuge über den Fehmarnbelt unterwegs. Bis 2025 soll sich die Zahl verdoppeln. Die große Sorge der Reeder ist, dass die Nutzungsentgelte für die Fehmarnbeltquerung so angesetzt werden, dass sie Verkehr von der Ostsee auf die Straße locken - wobei Gebührendumping weder mit europäischem noch mit nationalem Recht vereinbar wäre. Bei der IHK in Lübeck, dem größten deutschen Ostseehafen, hat man sich über die Auswirkung auf den Fährverkehr bereits Gedanken gemacht. "Auswirkungen sind für die Südschwedenverkehre zu erwarten. Für den Lübecker Hafen mit seiner vergleichsweise starken Stellung in diesem Segment ist mit einem um 10 Prozent geringeren Umschlag im Vergleich zur Entwicklung ohne feste Querung zu rechnen", kalkuliert Rüdiger Schacht, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der IHK. Logistiker erwarten positive Impulse Allerdings gibt es für die Hansestadt und die gesamte Region von der Hamburger Stadtgrenze bis nach Fehmarn auch Chancen. Durch die kürzeren Transitzeiten nach Schweden und Seeland könnten neue Logistikzentren entlang der Transportachse attraktiv werden. "Für dezentrale Lagerstrukturen von großen Konzernen könnten sich in dieser Region interessante Lösungen ergeben", kommentiert Voigt-Logistikchef Matzen. Nach Aussagen aus der Lübecker Wirtschaft läuft die Suche nach geeigneten Gewerbeflächen im östlichen Schleswig-Holstein bereits. Auch die dänische Seite sieht gute Chancen für die Logistik. "Es ist zu erwarten, dass als Folge der Direktverbindung neue Verteilzentren entstehen", schreibt die Femern Belt Logistics Plattform, die in den Jahren 2009 bis 2011 die Auswirkungen der Querung auf den Güterverkehr analysierte. Die Dänen haben insbesondere die vergleichsweise dünn besiedelte Insel Lolland und Südseeland im Blick. Was für die Logistiker ein komplexes Entscheidungsproblem ist, läuft für die Transportunternehmen auf eine einfache Rechnung hinaus. Sobald Gebühren und Transferzeiten feststehen, werden die Taschenrechner gezückt und die Kosten neu kalkuliert. Die Ware wird sich wie immer den günstigsten Weg suchen. Mehr finden Sie im Dossier Verkehrsinfrastruktur www.verkehrsrundschau.de/dossiers Wie die Fehmarnbelt-Querung gebaut wird Ein Tunnel versinkt im Meer Die Fehmarnbeltquerung ist als Absenktunnel geplant. Er wird aus 79 Standard- und zehn Spezialelementen bestehen, die in einer speziell für diesen Zweck errichteten Fabrik in Rødbyhavn gefertigt werden. Jedes Element besteht aus wasserdichtem Stahlbeton. Die Standardelemente haben ein Gewicht von etwa 73.000 Tonnen und eine Länge von 217 Metern. Für die Herstellung wurde ein industrielles Serienverfahren gewählt. Sobald ein Element fertiggestellt ist, wird es in ein Wasserbecken geschoben und mit Lotsenbooten zum Tunnelgraben bugsiert. Auf See wird es abgesenkt und mit den übrigen Tunnelelementen verbunden. Schließlich werden die Elemente mit einer Kies- und Sandverfüllung fixiert und mit einer schützenden Steinschicht abgedeckt. Die oberste Schicht schließt sich bündig an den Meeresboden an. So wird der Absenktunnel vor Schiffsankern und Kollisionen geschützt unter dem Meeresboden liegen. Die Methode wurde schon für den Bau der Querung über den Öresund angewandt. hel

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