Tausend Mal ist nichts passiert

Es vergeht kaum ein Tag ohne schreckliche Meldungen über terroristische Bombenanschläge irgendwo auf der Welt. Gezielte Angriffe auf Zivilisten, zivile oder militärische Einrichtungen gehören in den bekannten Krisenregionen zum Alltag in den Abendnachrichten. Dass terroristische Gewalttäter auch nicht davor zurückschrecken, ein Flugzeug in eine Waffe zu verwandeln, haben die Anschläge auf das World Trade Center 2001 bewiesen. Mit einer Flut von Anti-Terror-Gesetzen wurden in der Folge auch die globalen Transportketten abgesichert. Seither sorgen Zäune um sensible Infrastrukturen wie Häfen oder Flughäfen dafür, dass Unbefugte keinen Zutritt haben. Jedes Transportunternehmen wird im täglichen Geschäft mit zahllosen Regelungen konfrontiert, die verhindern sollen, dass explosive Fracht unbemerkt in einen Container gelangt oder an Bord eines Flugzeugs - nicht nur bei Sendungen in die USA. Die sichere Lieferkette Die Idee der sicheren Lieferkette, über alle Kettenglieder vom Absender bis zum Versender, kostet der Wirtschaft viel Geld: Versender müssen ihre Ausgangsläger vor unbefugten Zutritt schützen, Spediteure und Transportdienstleister sicherstellen, dass sich beim Umschlag und Transport keine unerwünschte Fracht einschmuggelt. Frachtdaten müssen lückenlos und frühzeitig den Behörden zur Verfügung gestellt werden. Aber ist die Gefahr von Terror für deutsche Transport- und Speditionsbetriebe, die international tätig sind, wirklich real? "Ja, ist sie", sagt Jan Wolter. Er ist Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft für Sicherheit der Wirtschaft (ASW), die die Sicherheitsinteressen deutscher Unternehmen in Richtung Politik vertritt - zu den prominenten Mitgliedern aus der Logistikbranche zählen unter anderem DHL, Lufthansa oder Deutsche Bahn. Besonders kritisch sind laut dem Sicherheitsexperten Regionen, in denen es einen schwachen Staat gibt. "Da reden wir von Afrika, inzwischen auch Nordafrika. Auch Mittelamerika ist kritisch, ebenso einige Länder Asiens wie Indonesien", sagt Wolter. Andere Experten sehen das genauso (siehe Interview). Insgesamt gibt es bei der Gefährdungslage seit einigen Jahren immer wieder deutliche Verschiebungen. Aus ehemals sicheren Ländern (wie etwa Nordafrika) werden über Nacht terrorgefährdete Gebiete - mit allen Konsequenzen für die exportorientierte deutsche Wirtschaft und deren Transport-dienstleister. Wer die Zahl der Terroranschläge weltweit analysiert, der stellt recht schnell eine Konzentration auf bestimmte Regionen fest. "Im Jahr 2013 fanden über 50 Prozent aller aufgezeichneten Terroranschläge in den Regionen Naher Osten und Nordafrika statt - im Vorjahr nur 40 Prozent", beobachtet Luisa Sprafke, die als Terrorexpertin beim internationalen Versiche-rungsmakler Aon beschäftigt ist. Das heißt im Gegenzug: In Europa und Nordamerika hat sich die Lage in den letzten fünf Jahren verbessert. Logistikunternehmen stehen dabei durchaus im Fokus der Terroristen: "Fast 18 Prozent aller Terror-Attacken betreffen nach unserer Datenlage Unternehmen des Transportsektors, also Firmen, die Personen oder Güter per Straße, Wasser oder Luft transportieren", sagt Sprafke. Doch was konkret sind die Gefahren für Logistiker etwa in Afrika oder im Nahen Osten? "Ein Anschlag kann Fabriken oder Gebäude, aber auch wichtige Infrastrukturen wie Straßen, Pipelines oder Schienenstrecken zerstören", sagt Sprafke. Das kann zufällig sein, aber durchaus auch gezielt. Auch Erpressungen durch Entführungen von Personal deutscher Unternehmen sind in Ländern, in sich denen Guerilla-Gruppen durch Lösegelder finanzieren, keine Seltenheit. Die sichere Lieferkette Warum ein Unternehmen ins Visier von Terroristen gerät, ist sehr unterschiedlich. "Das können Firmen sein, die Teile der Logistik der Bundeswehr übernehmen - das hat es alles schon gegeben", nennt Wirtschaftsvertreter Wolter ein Beispiel. Auch Friedrich Christian Haas, Geschäftsführer von Ake Skabe, einer Unternehmensberatung für globales Risiko- und Krisenmanagement, hat schon Fälle erlebt, in denen deutsche Unternehmer in Konflikte hineingezogen werden. Auch Mittelständlern müsse klar sein: "Wir können als Deutsche zu einem Ziel werden - etwa aufgrund des außenpolitischen Handelns der Bundesrepublik Deutschland." Die Gefährdung durch terroristische Anschläge im Transportbereich wurde in keinem anderen Bereich so offensichtlich wie in der Luftfahrt. Dass nicht nur Passagiermaschinen Ziel terroristischer Anschläge sein oder als Waffe benutzt werden können, bewiesen die Bombenfunde in Frachtflugzeugen aus dem Jemen im Oktober 2010. Seit dem 29. April 2013 dürfen nur noch solche Packstücke ohne vorherige Sicherheitsüberprüfung in ein Flugzeug verladen werden, die von einem behördlich zugelassenen Bekannten Versender stammen. Nur solche Verlader gelten seither als sichere Quelle, die die behördlichen Zulassungsverfahren durch das Luftfahrtbundesamt (LBA) durchlaufen haben. Zweifel an Sicherheit von Luftfracht Derzeit gibt es 2374 zugelassene Bekannte Versender, teilte das LBA mit. Eine überschaubare Anzahl, wenn man bedenkt, dass schätzungsweise 50.000 Unternehmen mehr oder weniger regelmäßig Luftfracht auf den Weg bringen. Die als unsicher eingestuften Sendungen der nicht als BV zugelassenen Versender müssen von einem Reglementierten Beauftragten, in der Regel die Spedition oder ein eigens darauf spezialisierter Dienstleister, überprüft werden. Das durchleuchten der Packstücke per Röntgenscanner gilt als Mittel der Wahl. Sie sind bei Spediteuren, den Airlines und den darauf spezialisierten Dienstleistern im Einsatz und werden von speziell ausgebildetem Personal bedient. Aber hat sich dadurch die Sicherheit tatsächlich erhöht? Wir erinnern uns: In den Wochen vor dem Stichtag warnten fast alle Branchenexperten vor einem Chaos an den Flughäfen und langen Wartezeiten an den Röntgengeräten. Zum Stichtag gab es laut LBA gerade einmal 1895 behördlich zugelassene Bekannte Versender. Die große Masse der Sendungen würde also einen Sicherheitscheck durchlaufen müssen, so lautete die Prognose. Umso verwunderlicher war es, dass der große Stau an den Flughäfen ausfiel. Alles, so hatte es den Anschein, ging vorschriftsmäßig seinen Lauf. In der Branche werden aber immer wieder Stimmen laut, die Zweifel daran äußern, dass die Sicherheitsvorschriften hundertprozentig umgesetzt werden. Das System funktioniere nur, weil nicht richtig geröntgt werde, ist zu hören. Diese Einschätzung teilt auch Friedrich Christian Haas, Geschäftsführer von Ake Skabe, einer Unternehmensberatung für globales Risiko- und Krisenmanagement: "Die Rückmeldung, die wir aus dem Markt etwa zum Thema Bekannter Versender bekommen haben, ist, dass es noch recht gut läuft. Aber nur deshalb, weil die Regelungen nicht knallhart durchgezogen werden. Wenn das irgendwann so durchgedrückt und kontrolliert wird, wie eigentlich vorgesehen, dann wird es massive Probleme in der Praxis geben", glaubt Haas. Kontrolle der Kontrolleure Mancher Insider fragt sich, ob denn tatsächlich alle Waren kontrolliert werden, die kontrolliert werden sollten. Es scheint in der Praxis durchaus nicht selten vorzukommen, bestätigt uns ein Branchenexperte, dass Waren als sicher gekennzeichnet werden, die jedoch letztlich nicht kontrolliert wurden. Ein Problem scheint die Kontrolle der Kontrolleure durch die Aufsichtsbehörde zu sein. Zuständig für die regelmäßige Überwachung der Sicherheitskontrollen bei Reglementierten Beauftragten ist das Luftfahrtbundesamt. Doch das kämpft in der zuständigen "Abteilung S" immer noch mit Personalmangel. Immerhin konnte der Personalstamm in der zuständigen Abteilung von 94 Mitarbeitern zum Jahresende 2011 auf mittlerweile 158 gesteigert werden (Stand Ende 2013). Immer noch zu wenige, um die zahlreichen Aufgaben der Behörde wahrzunehmen, glauben Brancheninsider. Das LBA selbst klagt im Jahresbericht der Behörde, dass die Rekrutierung von Personal erheblich ins Stocken geraten ist. Der Grund: Sogenanntes Überhangpersonal des Bundes, also überzählige Mitarbeiter aus den Reihen der Bundeswehr oder den Postnachfolgeunternehmen sowie der Bahn, ist weitgehend abgeschöpft. Auf dem freien Markt fällt die Rekrutierung geeigneter Kräfte offenbar schwer. Ab 2013 wurden laut LBA 1644 Qualitätskontrollen bei Reglementierten Beauftragten und 1116 bei Bekannten Versendern durchgeführt. Auch rechtliche Strickfehler erschweren die Kontrollpraxis der Behörde: Unternehmen können alte Röntgenbilder einfach löschen und das ist noch nicht einmal verboten. "In den Vorschriften ist nirgends geregelt, dass alte Röntgenbilder nicht gelöscht werden dürfen", bestätigt Annette Wiedemann, Leiterin der Dekra Aviation. Die lückenlose Überwachung der Röntgenpraxis sei den LBA-Kontrolleuren bei ihren Besuchen in den Unternehmen rückwirkend deshalb gar nicht lückenlos möglich. Die Behörde selbst zeigt sich zufrieden mit der Situation: "Bestandteile der Luftsicherheitsanforderungen werden sehr gut in Eigenverantwortung der Unternehmen erbracht", heißt es auf Anfrage in einer schriftlichen Antwort des LBA. Die Zusammenarbeit mit den Unternehmen vor Ort sei "sehr konstruktiv". Sicherheit in Drittstaaten Auch laut Bundesinnenministerium besteht kein Grund zur Sorge: "Die Luftfrachtsicherheit ist im Rahmen der bestehenden Aufgabenverteilung zwischen den Ressorts gewährleistet", heißt es in einer Antwort des Ministeriums, dem unter anderem die Bundespolizei unterstellt ist. Bundespolizisten führen seit September 2011 stichprobenartige Transferfrachtkontrollen an den Flughäfen mit dem größten Frachtaufkommen aus Drittstaaten durch. Das hatte ein interministerieller Arbeitsstab zur Luftfrachtsicherheit Ende 2010 beschlossen, der als Reaktion auf die versuchten Paketbombenanschläge aus dem Jemen eingesetzt wurde. Das Problem der unsicheren Drittstaaten, aus denen Luftfrachtsendungen nach Deutschland kommen und an deutschen Flughäfen umgeladen werden, hatte sich als undichte Stelle im System offenbart. Europa geht den Alleingang Die europäische Kommission hat deshalb die ACC3-Initiative gestartet, die vor allem Airlines aus Drittstaaten im Blick hat, aber auch Versender und Dienstleister vor Ort. Seit dem 1. Februar 2012 muss jedes Luftfahrtunternehmen, das Fracht oder Post von einem Flughafen in einem Drittstaat zwecks Transfer, Transit oder Entladen an einen europäischen Flughafen befördert, durch die zuständige Behörde als ACC3 (Air Cargo/Mail Carrier operating into the Union from a Third Country Airport) benannt worden sein. Allein dem LBA sind einige Hundert Carrier zugeordnet, die nun bis zum 1.Juli 2014 eine behördliche Validierung vorweisen müssen - andernfalls verlieren sie ihren Status als ACC3 und damit das Recht, Luftfracht in die EU zu fliegen. Derzeit reisen behördlich zugelassene Validierer durch die Welt und beurteilen in einer Vor-Ort-Prüfung das Sicherheitsprogramm der Luftfahrtunternehmen. Auf dem Programm steht auch die Überprüfung der durchgeführten Sicherheitsmaßnahmen. Die Serie Logistik in Gefahr Die große Serie der Verkehrs-Rundschau zu den neuen Bedrohungen der Transportkette- VR 12: Neue Gefahren für die Transportkette- VR 17: Compliance - Wie man mit Korruption umgeht- VR 20: Terror - Wo die Logistik besonders gefährdet ist- VR 25: Datensicherheit - Schutz gegen Cybercrime- VR 29: Frachtdiebstahl - Das richtige Risiko-Management- VR 32: Klimawandel - Schützen vor Sturm und Regen- VR 38: Einbruch - Schutz im Lager und beim Umschlag- VR 42: Soziale Unruhen - Von Streiks bis Revolution- VR 47: Krisenmanagement - Im Ernstfall richtig handeln Brücken und Tunnel im Visier EU untersucht Auswirkungen von Terror Anschlägen Auch Europa steht im Fokus von Terroristen - seit den Anschlägen in London und Madrid ist das jedem klar. Und der Staat reagiert auf diese Bedrohung: So untersuchte das Forschungsprojekt Seron (Security of Road Transport Networks), gefördert von der Europäischen Union, die Auswirkungen möglicher Anschläge auf das europäische Verkehrsnetz. Die Projektpartner (etwa die Bundesanstalt für Straßenwesen) entwickelten eine Methode zur Identifizierung, Analyse und Bewertung von kritischen Infrastrukturen im Hinblick auf ihre Gefährdung durch Terrorismus. "Am Ende des Projektes stehen Maßnahmen präventiver und reaktiver Art, wie wir gefährdete Infrastrukturen vor Terroranschlägen schützen können", berichtet Seron-Projektkoordinator Georg Mayer von der PTV Group.Der Fokus der Untersuchung, deren Ergebnisse aus Sicherheitsgründen zum Teil unter Verschluss bleiben, lag auf Tunnel und Brücken, die aufgrund ihrer Funktion als Flaschenhals und ihrer hohen Belastung eine besondere Rolle spielen. So hat das Projekt besonders kritische Bauwerke identifiziert und hat hier unter anderem bauwerksabhängige Maßnahmen empfohlen. Doch was kann der Staat überhaupt gegen Anschläge tun? "Er kann organisatorische Maßnahmen ergreifen - etwa durch eine bessere Überwachung. Auch präventive Maßnahmen sind möglich, damit etwa kritische Bauteile nicht zugänglich sind. Und natürlich kann er reaktiv tätig werden, indem er seine Anlagen so baut, dass der Schaden im Falle eines Anschlages gemindert wird", sagt Mayer.Die nächste Stufe ist nun, dass die Staaten ihre Straßennetze und ihre Infrastrukturbauwerke mittels der entwickelten Methodik auf Gefährdung überprüfen und Maßnahmen ergreifen. Die öffentlichen Ergebnisse des Projektes sind im Netz unter www.seron-project.eu verfügbar. tr

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