Seeverkehrsprognose

Seeverkehrsprognose Ein Schuss vor den Bug? Zwar soll zwischen 2010 und 2030 das Umschlagvolumen in den deutschen Seehäfen von 269 Millionen auf 468 Millionen Tonnen klettern. Doch fallen damit die Werte der Seeverkehrsprognose geringer aus als in allen bisherigen Vorhersagen. Mit Zahlen ist das ja so eine Sache. Je nach Betrachtungsweise kann man diese ganz unterschiedlich deuten. Wie mit dem berühmten Glas, das halb voll ist – oder eben halb leer. So verhält es sich auch mit Ergebnissen der Seeverkehrsprognose 2030. Das Bundesverkehrsministerium hat die Prognose in Vorbereitung zur Erstellung des Bundesverkehrswegeplanes in Auftrag gegeben. Die ersten Ergebnisse wurden Mitte Juli veröffentlicht. Jährliches Wachstum von 2,8 Prozent Ein Anhänger der halbvollen Sichtweise ist Enak Ferlemann (CDU). „Die Umschläge deutscher Seehäfen werden bis zum Jahr 2030 deutlich zulegen“, sagt der parlamentarische Staatssekretär beim Bundesverkehrsminister. Keine Frage, da hat er Recht. Laut Seeverkehrsprognose 2030 steigt der Umschlag in den deutschen Seehäfen zwischen 2010 und 2030 um 74 Prozent. Das ist ein jährlicher Zuwachs von immerhin 2,8 Prozent. Ferlemann kommentiert die Studienergebnisse mit den Worten: „Besonders erfreulich sieht die Zukunft für Hamburg und Bremerhaven aus: Beide wachsen bis 2030 mit jeweils 3,2 Prozent beziehungsweise 3,3 Prozent pro Jahr überdurchschnittlich.“ Auch das ist korrekt. Ob allerdings diese Zahlen tatsächlich so erfreulich sind, darüber lässt sich trefflich streiten. Denn die Wachstumsraten der neuen Prognose – erstellt von einem Konsortium um das Beratungsunternehmen MWP GmbH Hamburg – sind spürbar niedriger im Vergleich zu den Aussagen aller bislang vorliegenden Prognosen. Ein – rechtzeitiger – Schuss vor den Bug, dass auch in der Seeschifffahrt die Wachstumsraten nicht ins Uferlose abdriften? Schließlich waren in der Seeverkehrsprognose aus dem Jahr 2007 noch deutlich höhere Zuwachsraten für die Seehäfen vorhergesagt (siehe Grafik rechts). Um jährlich 4,6 Prozent sollte deren Umschlagmenge zulegen. Damals war allerdings die Wirtschaftskrise 2008 noch nicht absehbar. „Wir haben für unsere Prognose die Vorgabe bekommen, ein vom Ifo-Institut ermitteltes Wirtschaftswachstum von jährlich 1,1 Prozent zugrunde zu legen“, sagt Martin Makait, geschäftsführender Gesellschaft von MWP. Im 2007er Gutachten war hingegen mit 1,7 Prozent gerechnet worden. Ein durchaus relevanter Unterschied, denn bei einem jährlichen Plus von 1,7 Prozent ist das Bruttoinlandsprodukt nach 20 Jahren um 42 Prozent gewachsen, bei 1,1 Prozent hingegen nur um 25 Prozent. Containerumschlag nimmt stärker zu Aber es gibt noch andere Gründe, weshalb die aktuelle Seeverkehrsprognose weniger euphorisch ausfällt. „Wir haben stärker berücksichtigt, dass die Wertdichte bei vielen Gütergruppen in den kommenden 20 Jahren zunehmen wird“, sagt Makait. Als Beispiel nennt er Computer, deren Volumen schrumpfen, so dass in einen Container mehr Computer passen als früher. Eine Entwicklung, die auch in anderen Branchen wie der Chemie oder im Anlagen- und Maschinenbau zu beobachten sei. Aber dennoch nimmt wie schon in der Vergangenheit das Umschlagvolumen mit Containern mit jährlich 4,3 Prozent überproportional zu. Allerdings gelten diese wie auch alle andere Prognosezahlen unter der Voraussetzung, dass es keinerlei Kapazitätsrestriktionen gibt. Das beinhaltet ausreichend Umschlagkapazitäten in den Häfen, aber auch Hinterlandanbindungen, die die Mengen bewältigen können. „Wir haben ebenfalls vorausgesetzt, dass die Vertiefung der Elbe wie auch der Weser im Laufe dieses Zeitraumes realisiert ist“, sagt Makait. Mit ihrer Prognose bleiben Makait und sein Expertenteam jedoch deutlich hinter anderen Vorhersagen zurück. Ein Beispiel ist der Hamburger Hafen Entwicklungsplan 2025, der im letzten Jahr veröffentlicht wurde. Dieser prognostiziert bereits für 2025 ein Gesamtumschlagvolumen von 296,0 Millionen Tonnen und für den Containerumschlag 25,3 Millionen TEU (Twenty Foot Equivalent Unit). Die Seeverkehrsprognose kommt hingegen zu deutlich geringeren Werten: 194,6 Millionen Tonnen beziehungsweise 16,4 Millionen TEU. Und das sind Zahlen für 2030. Für 2025 dürften die Mengen noch niedriger liegen. Da die Seeverkehrsprognose als Grundlage für die Erstellung des neuen Bundesverkehrswegeplans dient, liegt die Vermutung nahe, dass angesichts der geringeren Werte der Bund bei den Hinterlandanbindungen spart. Der Hamburger Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) reagiert jedoch gelassen: „Das prognostizierte durchschnittliche Umschlagswachstum der deutschen Seehäfen von 2,8 Prozent pro Jahr liegt deutlich über dem im Zeitraum 2001 bis 2010 realisierten Wachstum mit 1,4 Prozent pro Jahr.“ Die deutschen Seehäfen hätten also weiterhin gute Wachstumsaussichten. Außerdem sei bislang nur ein Kernszenario bekannt. „Der Bund hat darauf verwiesen, dass es noch zusätzlich ein oberes und ein unteres Szenario geben wird, dies ist aber noch nicht veröffentlicht“, sagt Horch. Er sieht jedenfalls für den Hafen Hamburg keinen Anlass, jetzt nicht weiter in den Ausbau der Hafeninfrastruktur zu investieren. Er befürchtet auch nicht, dass der Bund seine Investitionen verringert: „Die Seeverkehrsprognose macht nochmals deutlich, wie wichtig der Ausbau der Hafenhinterlandanbindungen ist.“ Auch die Elbvertiefung habe durch diese Prognose nichts von ihrer Notwendigkeit verloren, so der Senator gegenüber der VerkehrsRundschau. Denn Schiffe mit einer Bruttoraumzahl größer 100.000 hätten 2012 einen Anteil am Gesamtcontainerumschlag von bereits 50 Prozent gehabt. Im Jahr 2007 waren es laut Horch nur 30 Prozent gewesen. „Und wie der Blick in die Orderbücher der Reedereien zeigt, wird dieser Trend anhalten. Die Steigerungsrate im Umschlagswachstum ist also gar nicht ausschlaggebend“, sagt Horch. Makait geht jedenfalls davon aus, dass die Seehäfen weiterhin für die deutsche Wirtschaft ein wesentlicher Wachstumsfaktor bleiben werden. Und den Hafenbetreibern rät er, sich nicht nur auf steigende Mengen, sondern auch auf zunehmenden Wettbewerb mit entsprechende Strategien einzustellen, um von der positiven Aufkommensentwicklung in Zukunft zu profitieren. ❙❚■ Michael Cordes Die aktuelle Prognose rechnet mit einem deutlich geringeren Wirtschaftswachstum Der Hamburger Wirtschafts- senator Frank Horch beurteilt die schlechteren Zahlen gelassen