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Schmidt: "Das wäre der Super-Gau"

01.02.2016 17:30 Uhr
Schmidt: "Das wäre der Super-Gau"
Zur Eindämmung illegaler Kabotage empfiehlt BGL-Hauptgeschäftsführer Karlheinz Schmidt die Regelung, die Österreich eingeführt hat
© Foto: VR/Martin Leissl

Dumping im Straßengüterverkehr: Was aus Sicht des BGL dagegen getan werde müsste. Ein Interview mit dem BGL-Hauptgeschäftsführer Karlheinz Schmidt.

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München. DasThema Dumping im Straßengüterverkehr erhitzt gerade die Gemüter. Im Fokus stehen dabei vor allem illegale Kabotagetransporte und der Einsatz von osteuropäischen Lkw-Fahrern, die wochen- und monatelang auf den Autobahnen und Parkplätzen in Deutschland und Westeuropa unterwegs sind. Ein Interview mit dem Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) Karlheinz Schmidt.

VerkehrsRundschau: Dumping im Straßengüterverkehr: Ist das eine reale Bedrohung oder nur ein willkommenes Argument, um sich die unliebsamen Konkurrenz aus dem Ausland vom Leibe zu halten?

Karlheinz Schmidt: Dass die Fahrer in Bussen nach Deutschland gekarrt werden und hier dann monatelang umher fahren, haben die Behörden festgestellt und darüber haben die Medien ebenfalls berichtet. In den Häfen, an großen Logistikzentren und weiteren Standorten, wo viele Ladungen zu vergeben sind,  sind vermehrt solche Flotten zu beobachten. Der Dumpingvorwurf ist also keinesfalls aus der Luft gegriffen.

Wie lässt sich dieser Missstand bekämpfen?

Man sollte sich ein Beispiel an den Österreichern nehmen. Die haben mehr oder minder stillschweigend ein Melderecht für Kabotage eingeführt. Ein solches System würde auch bei uns manches ändern und  für mehr Transparenz sorgen.

Wie sieht das System aus?

Eine Woche vor dem Kabotagetransport muss der österreichischen Finanzpolizei das Fahrzeug und der Fahrer gemeldet werden. Der Fahrer muss Lohnunterlagen in deutscher Sprache mitführen, damit die Kontrolleure prüfen können, ob der in Österreich geltende Mindestlohn auch eingehalten wird. Zugleich ist dies ein effektives Instrument, um die illegale Kabotage besser in den Griff zu bekommen.

Illegale Kabotage ist nicht der einzige Missstand, den der BGL anprangert.

Nein. Dass ausländische Fahrer in Deutschland mehr als 180 Tage im Jahr anwesend und damit hierzulande sozialversicherungs- und lohnsteuerpflichtig sind, aber im Ausland ihre Lohn- und Sozialabgaben zahlen, ist ein Rechtsbruch, der ebenfalls zunimmt. Hier würden wir uns wünschen, dass die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls stärker ermittelt.

Aber da passiert wenig.

Das ist noch nett formuliert. Mir sind außer Kontrollen zur Aufdeckung illegaler Kabotage keine weiteren Maßnahmen seitens des Zolls bekannt.

Worauf führen Sie die Passivität zurück?

Zum einen, weil Personal abgezogen wurde, auch wegen der Flüchtlingskrise. Zudem konzentriert man sich offenbar auf das nötigste und beschränkt sich auf Kontrollen inländischer Unternehmen, weil dies einfacher ist als hier tätige Betriebe aus dem Ausland zu prüfen. Doch würde man endlich mal solche Übeltäter entdecken und publik machen, inklusive deren Auftraggeber, hätte das sicher eine abschreckende Funktion.

Auch dies eine langjährige Forderung, bei der nichts geschieht.

Sehr zu unserem Bedauern. Es  hieß Ende letzten Jahres aus den Bundesämtern, dass man bis Mitte dieses Jahres ein elektronisches Kontrollverfahren zum Mindestlohn  einrichten wolle. Aber, wie dieses aussieht, und ob sich damit tatsächlich die Dumpingpraktiken einschränken lassen, steht in den Sternen. Ein Meldesystem, das alle grenzüberschreitenden Transporte mit Ausnahme des Transits erfasst, entspricht laut der EU einer neuen Form von Grenzkontrollen und -hindernissen. Die will die Kommission auf keinen Fall. Andererseits ist das derzeitige System in Österreich in der Kontrollintensität sehr weitreichend und von der EU-Kommission offenbar toleriert.

Was ist die Alternative für Deutschland?

Gegen intelligente Schwerpunktkontrollen hätte die EU sicher nichts einzuwenden.

Kann man den Fahrer überhaupt zwingen, sein Wochenende nicht im Fahrerhaus zu verbringen?

Die Frage ist berechtigt. Aber man könnte sicher den Arbeitgeber zwingen, dass er dem Fahrer eine Alternative anbieten muss, die akzeptabel ist. Ein Verbot in Bezug auf das Verbringen von Wochenruhezeiten wird jedoch nicht bewirken, dass Fahrer in ihr soziales Umfeld in der Heimat zurückkehren. Deshalb wollen wir keinen Aktionismus, sondern Nachbesserungsbedarf bei der Abgrenzung der Dienstleistungsfreiheit. Die Dienstleistungsfreiheit sollte nicht länger dazu missbraucht werden können, dass ein Fahrer überwiegend im Ausland stationiert arbeitet, aber in einem Heimatland seine Abgaben und Steuern zahlt, obgleich er dort selten bis gar nicht tätig ist. Hier muss die EU eingreifen und die entsprechenden Regelungen anpassen.

Da werden die Osteuropäer kaum mitziehen.

Natürlich wird es nicht leicht, die MOE-Beitrittsländer zu überzeugen. Aber wer es nicht versucht, der kann auch nicht behaupten, wir konnten über den Weg nichts erreichen. Dabei haben wir gar keine andere Wahl, weil es kontraproduktiv wäre, auch in Deutschland jetzt im Fahrpersonalgesetz ein Verbot für die Verbringung der Wochenruhezeit im Lkw zu beschließen, zumal dies laut BAG ohnehin nicht zu kontrollieren ist. Für internationale Wettbewerber gelten die deutschen Fahrpersonalgesetze ohnehin nicht, sondern nur die EU- Sozialvorschriften. Damit wären Gebietsfremde außen vor und eine neue Inländerdiskriminierung geschaffen.

Könnte man mit mehr Kontrollen den Missstand eindämmen.

Kaum. Die Möglichkeiten der Tachografenaufzeichnungen müssten anders und differenzierter – wie dies belgische Kontrollpraxis zeigt – ausgewertet werden, weil immer mehr Tachographenaufzeichnungen manipuliert werden. Eine Änderung des Fahrpersonalgesetzes kann das Problem allein nicht bewirken. Es bleibt also nur eine neue Regelung für die Dienstleistungsfreiheit im Verkehr auf europäischer Ebene.

Das lässt sich auch kontrollieren?

Ja. Erst recht, wenn in ein, zwei Jahren der neue digitale Tachograph kommt, der die geostationären Daten aufzeichnet. Dann lässt sich feststellen, wo der Lkw in den letzten Wochen und Monaten unterwegs war.

Die EU überlegt jetzt, eine Regelung einzuführen, nach der Kabotage sieben Tage uneingeschränkt möglich ist und danach das Fahrzeug erst wieder das Land verlassen muss.

Das wäre der Super-GAU und würde faktisch die uneingeschränkte Kabotagefreiheit bedeuten. Denn nach sieben Tagen über eine Grenze zu fahren, ist kein großes Problem. Das lässt sich vollkommen legal dokumentieren.

Wie wahrscheinlich ist es, dass die Regelung kommt?

Das halte ich für sehr unwahrscheinlich. Es gab dagegen schon vor zwei Jahren eine Intervention der westeuropäischen Verkehrsminister. Ich kann mir keine Konstellation vorstellen, wo so etwas durchläuft. Andererseits: Gerade in der heutigen Zeit kann man angesichts der Flüchtlingsproblematik keinen Kuhhandel mehr ausschließen.

Das Interview führte VerkehrsRundschau-Redakteur Michael Cordes

Eine ausführliche Titelgeschichte zum Thema Dumping im Straßengüterverkehr können Sie in der aktuellen VerkehrsRundschau 3-4/2016, Seite 22 lesen oder im E-Paper der VerkehrsRundschau.

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