Schluss mit Schlafen in der Lkw-Kabine

Nach Belgien und Frankreich verbietet bald auch Deutschland Fahrern, die regelmäßige Wochenruhezeit von 45 Stunden im Lkw zu verbringen. Bundestag und Bundesrat haben auf Initiative der Fraktionen von CDU/CSU und SPD im März eine Änderung des Fahrpersonalgesetzes beschlossen. Statt noch länger auf Vorschläge der europäischen Kommission für einen faireren Straßengüterverkehr zu warten, versucht die Bundesregierung das Problem des Autobahn-Nomadentums selbst zu lösen. Die Neuregelung stellt klar, dass sowohl einem Fahrer als auch dem Verkehrsunternehmen auf deutschem Boden künftig ein Bußgeld droht, wenn die regelmäßige Wochenruhezeit "im Fahrzeug oder an einem Ort ohne geeignete Schlafmöglichkeit verbracht wird" (siehe Kasten auf S. 15). Bislang ist mangels Rechtsgrundlage keine Sanktion für diese Fälle vorgesehen. Ein Verbot hat der Gesetzgeber nicht explizit formuliert, es ergibt sich allerdings im Umkehrschluss. Praktischer Ansatz hat sich durchgesetzt Ein ursprünglich von der Länderkammer eingebrachter Vorschlag, der deutlich weiter geht, fand keine Mehrheit. Es gab Befürchtungen, dass er dem EU-Recht widersprechen könnte. Das heißt, dem Unternehmer wird nicht vorgeschrieben, dafür zu sorgen, dass "das Fahrpersonal die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit am jeweiligen eigenen Wohnort des Fahrers oder am Ort des Unternehmenssitzes und dort in einer festen Unterkunft mit geeigneten Sanitäreinrichtungen und ausreichenden Versorgungsmöglichkeiten verbringen kann". Das Fahrpersonalgesetz verweist stattdessen auch künftig auf die Bestimmungen zur regelmäßigen Wochenruhezeit in der entsprechenden Verordnung (EG) 561/2006 und enthält künftig zusätzlich die Möglichkeit, bei Zuwiderhandlung eine Strafe zu verhängen. Die so beschlossene Gesetzesänderung tritt voraussichtlich im Sommer in Kraft. Entscheidend für den gewählten Ansatz war eine Anhörung von Sachverständigen im Verkehrsausschuss des Bundestages. Stellung genommen hatten der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL), Polizeihauptkommissar Thomas Fiala vom Polizeipräsidium Köln, Udo Skoppeck von der Lkw-Fahrer-Vereinigung Actie in de Transport Germany sowie Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Ein weiteres Argument gegen den Vorschlag der Länderkammer war, dass eine Rückkehrverpflichtung alle 14 Tage aufgrund der umlaufbedingten Gegebenheiten im Straßengüterverkehr praxisfremd sei. Bußgeldhöhe steht noch nicht final fest Durch die Neuregelung will die Bundesregierung Fahrer vor menschenunwürdigen Verhältnissen schützen, die Verkehrssicherheit erhöhen und einen Beitrag für bessere Wettbewerbsbedingungen leisten. "Gerade durch den zunehmenden Wettbewerb osteuropäischer Fuhrunternehmen geraten die Sozialstandards im Straßengüterverkehr hierzulande verstärkt unter Druck und bringen sozial verantwortlich handelnde Unternehmen in Bedrängnis", lautet die Erklärung. Immer öfter wird das unscharfe EU-Recht zur Kabotage ausgenutzt - Fahrer sind mitunter über Wochen oder Monate im Fahrzeug in Westeuropa unterwegs, bevor sie in ihre Heimat zurückkehren. Dem gelte es nun politisch entgegenzuwirken. Aktuell stimmen sich die zuständigen Behörden des Bundes und der Bundesländer ab, wie hoch das Bußgeld für die neu eingeführte Ordnungswidrigkeit ausfallen soll. Nach dem bundeseinheitlichen Tatbestandskatalog zum bisherigen Fahrpersonalrecht ist für Fahrer beim Unterschreiten der regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeit bis zu neun Stunden je angefangener Stunde ein Bußgeld von 30 Euro vorgesehen und bei Unterschreiten von mehr als neun Stunden je angefangener Stunde 60 Euro. Für Unternehmer erhöhen sich diese Sätze auf bis zu 90 Euro beziehungsweise 180 Euro. Es zeichnet sich ab, dass diese Bußgeldregelsätze auch beim Verbringen der regelmäßigen Wochenruhezeit im Lkw gelten. Belgien und Frankreich sanktionieren in solchen Fällen schon seit Längerem. Verstöße gegen die Bestimmungen haben für Unternehmer nicht bloß Bußgelder in Höhe von bis zu 30.000 Euro, sondern im Zweifel sogar Gefängnisstrafen bis zu einem Jahr zur Folge. Fahrer müssen dort bei einer Kontrolle nachweisen können, wo sie ihre regelmäßige Wochenruhezeit verbracht haben. Dies führte bisher häufig dazu, dass Fahrer diese kurz vor der jeweiligen Grenze auf deutscher Seite verbrachten. Wirksamkeit hängt von Kontrollen ab Sowohl Politikvertreter als auch die Verbände der Speditions- und Transportbranche sind sich einig: Damit das geänderte Fahrpersonalgesetz hierzulande Wirkung zeigt, müssen effektive Schwerpunktkontrollen mit abschreckendem Charakter folgen. Die Neuregelung dürfe aber nicht mit zusätzlichen hohen bürokratischen Dokumentationspflichten für Fahrer und Unternehmen verknüpft werden. Das fordern der Bundesverband Möbelspedition und Logistik (AMÖ), der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL), der Bundesverband Wirtschaft, Verkehr und Logistik (BWVL) und der Deutsche Speditions- und Logistikverband (DSLV). Den zuständigen Kontrollbehörden fehlt heute aber oft das Personal, um das ständig wachsende Aufgabenpensum zu bewältigen - Besserung ist nicht in Aussicht. "Nach 34 Jahren Lkw-Fahren in ganz Europa kann ich sagen: Früher gab es erheblich häufigere Kontrollen", sagte Skoppeck von Actie in de Transport Germany bei der Expertenanhörung im Bundestag vor wenigen Wochen. Für das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) sind derzeit 220 Kontrolleure im Einsatz, um bundesweit Hunderttausende Lkw zu kontrollieren - 2,8 Millionen waren laut Statistischem Bundesamt 2016 auf den deutschen Straßen unterwegs. Die Wahrscheinlichkeit für Lkw-Fahrer, in eine Kontrolle der Polizei oder des BAG zu geraten, liegt nach Schätzung der deutsche Polizeigewerkschaft höchstens bei 1 zu 1000. "Natürlich muss man sagen, dass die Kontrollbehörden gerade in Nordrhein-Westfalen angesichts der aktuellen Ereignisse Personal nötig haben", sagte der Polizeihauptkommissar Fiala bei der Expertenanhörung. Die Autobahnpolizei Köln setze daher auf integrative Kontrollen. "Integrative Kontrolle heißt, dass wir Behörden wie das BAG und den Zoll mit ins Boot nehmen, ebenso das Amt für Arbeitsschutz." Diese Zusammenarbeit ist auch nötig, damit das geänderte Fahrpersonalrecht nicht nur auf dem Papier existiert. Handlungsanweisungen müssten zügig erstellt werden, fordert aktuell die SPD-Bundestagsfraktion. Wie kontrolliert wird, ist noch unklar Ungewiss ist bei der Kontrolle des neuen Verbots zum Verbringen der regelmäßigen Wochenruhezeit im Lkw derzeit neben dem "Ob" das "Wie". Instruktionen zur Umsetzung der neuen rechtlichen Handhabe gibt der Gesetzgeber nämlich nicht. Bereits 2014 gestand Hans-Gerhard Pernutz, damals Referatsleiter des Straßenkontrolldienstes in der BAG-Zentrale in Köln in einem Beitrag des ARD-Magazins "Panorama" mit dem Titel "Leben im Lkw": "Wir können nicht erkennen, ob der Fahrer eine tägliche oder eine verkürzte Ruhezeit einlegt, ohne dass wir diesen Fahrer während dieser Ruhezeit stören. Das würde natürlich der Verkehrssicherheit widersprechen. Uns ist sehr daran gelegen, dass die Fahrer ihre Ruhezeit ungestört einhalten können." Polizeihauptkommissar Fiala ist dennoch zuversichtlich: "Die Gegebenheiten in den Niederlanden, Belgien und in Frankreich zeigen uns, dass diese Sache kontrollierbar ist", sagte er im März im Bundestag. "Man sieht zum Beispiel freitags die Fahrzeuge stehen. Sie sehen die Fahrzeuge am Samstag und noch mal am Sonntag. Sie können dann feststellen, ob es sich hier um eine verkürzte regelmäßige Ruhezeit handelt oder um eine 45-stündige Ruhezeit." Spätestens 2019 seien Lkw zudem mit intelligenten Fahrtenschreibern ausgerüstet. Sie zeichnen die Standortdaten automatisch zu Beginn und am Ende der täglichen Arbeitszeit sowie nach drei Stunden kumulierter Lenkzeit auf. So lasse sich feststellen, dass das Fahrzeug über eine gewisse Zeit auf dem Rastplatz gestanden hat, erklärte Fiala. In den meisten Fällen dürften BAG und Polizei im Rahmen der üblichen Straßenkontrollen durch Auslesen der Digitacho-Daten prüfen, ob die regelmäßige Wochenruhezeit an den zurückliegenden 28 Tage richtig eingehalten wurde und sich die dazugehörigen Orte nachweisen lassen. Denn wird ein Fahrer während seiner Ruhezeit von den zuständigen Behörden kontrolliert, führt dies zu einer Unterbrechung, die im rechtlichen Sinn als Arbeitszeit gilt. Die unterbrochene Ruhezeit darf er nicht fortsetzen, sondern sie muss von Neuem begonnen werden, um den gesetzlichen Anforderungen zu entsprechen. Gerichte müssen entscheiden Für Diskussionsstoff dürfte noch die Interpretation einer "geeigneten Schlafmöglichkeit" sorgen. Sowohl der Deutsche Gewerkschaftsbund als auch Verdi bemängelten kürzlich, diese Formulierung sei problematisch, weil niemand genau definieren könnte, was darunter zu verstehen sei. Für Klarheit müssen wohl Gerichte sorgen - das kann Jahre dauern. Ein Wohnwagen und ein entsprechend hergerichteter Container würden das Kriterium auf jeden Fall erfüllen, meint Detlef Neufang, Geschäftsführer des Bundesverbands Wirtschaft, Verkehr und Logistik (BWVL). Bei der SPD-Fraktion im Bundestag ist man sich dieser Gefahr durchaus bewusst. Die Kontrollbehörden sollen demzufolge angewiesen werden, Fahrern auch kein Campieren neben dem Lkw durchgehen zu lassen. Branchenverbände begrüßen Neuerung Die Branchenverbände AMÖ, BGL, BWVL und DSLV unterstützen die Änderung des Fahrpersonalgesetzes grundsätzlich. Sie stelle eine gute Übergangslösung dar und schaffe zumindest in Deutschland Rechtsund Planungssicherheit. Sie betonen aber, es müsse möglich sein, dass Fahrer ihre regelmäßige Wochenruhezeit auch an Orten verbringen können, die nicht Wohnort oder Firmensitz sind. Nur so könne man den Interessen des Fahrpersonals gerecht werden und eine größtmögliche Dispositionsfreiheit gewährleisten. Mit der Entscheidung, das Verbringen der wöchentlichen Ruhezeit in der Lkw-Kabine zu verbieten, folgt Deutschland der jüngsten Bewertung des Generalanwalts beim europäischen Gerichtshof (EuGH). Darum sei es richtig, dass sich die deutschen Vorschriften hiervon nicht grundlegend inhaltlich unterscheiden, hieß es. Ziel müsse jedoch eine möglichst schnelle, einheitliche europäische Regelung für alle EU-Mitgliedstaaten sein (siehe Kasten auf S. 16). Die Branchenverbände sprachen sich außerdem dafür aus, dreiwöchige, europäische Rundläufe bis zur Einlegung der regelmäßigen Wochenruhezeit zu ermöglichen. Allerdings sei dafür eine Änderung der europäischen Sozialvorschriften notwendig. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Verkehrspolitik www.verkehrsrundschau.de/dossiers Wortlaut des Verbots Das schreibt künftig unser Fahrpersonalgesetz vor: Nach den bisherigen Bußgeldvorschriften im Fahrpersonalgesetz handeln Unternehmer und Fahrer ordnungswidrig, wenn sie gegen die Verordnung (EG) Nr. 561/2006 zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr verstoßen, indem sie vorsätzlich oder fahrlässig nicht dafür sorgen, dass die darin vorgeschriebenen Lenkzeiten, Fahrtunterbrechungen oder Ruhezeiten eingehalten werden. Zur Klarstellung wird Paragraf 8a des Fahrpersonalgesetzes sinngemäß wie folgt geändert:a)"Der Unternehmer sorgt in diesem Fall auch dann nicht dafür, dass die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit nach der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 eingehalten wird, wenn diese im Fahrzeug oder an einem Ort ohne geeignete Schlafmöglichkeit verbracht wird."b)"Die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit nach der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 wird auch dann nicht eingehalten, wenn diese im Fahrzeug oder an einem Ort ohne geeignete Schlafmöglichkeit verbracht wird." ag Forderungskatalog Bundesregierung soll sich für weitere Verbesserungen einsetzen In einer begleitenden Entschließung wird die Bundesregierung unter anderem aufgefordert,- wettbewerbsverzerrende und unfaire Arbeitsbedingungen zu bekämpfen, indem etwa das Mindestlohngesetz im grenzüberschreitenden Verkehr und im Kabotageverkehr für inländische und gebietsfremde Unternehmen wirksam kontrolliert wird;- die Meldepflichten und -systeme zur Umsetzung des Mindestlohngesetzes dahingehend zu überprüfen und anzupassen, dass effektivere Kontrollen möglich werden sowie bereits vorhandene Systeme und das neue Meldeportal verknüpft werden und die Zusammenarbeit verschiedener Behörden verbessert wird;- dafür Sorge zu tragen, dass die Kontrollen in der Transport- und Logistikbranche intensiviert werden, insbesondere durch mehr Personal, bessere Schulungen und Bündelung der Kompetenzen sowie durch mehr Auswertungen Digi-Tachos und durch strengere Sanktionen bei Verstößen gegen Sozial-, Arbeits- und Steuerrecht;- die EU-Kommission aufzufordern, mit den Mitgliedstaaten einen Dialog im Straßengüterverkehr voranzubringen, der zu einer Harmonisierung von sozialen Standards im EU-Binnenmarkt beiträgt;- sich im Rahmen der Straßenverkehrsinitiativen der EU-Kommission für die Überarbeitung der Verordnung (EG) 561/2006 einzusetzen und eine unionsweit eindeutig zu interpretierende Regelung des Verbringens von Wochenruhezeiten im Lkw zu schaffen;- gegenüber der EU-Kommission bei den Beratungen zu den Straßenverkehrsinitiativen dafür einzutreten, die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit zu präzisieren,- die EU-Kommission im Rahmen der Straßenverkehrsinitiativen zur Vorlage von Vorschlägen aufzufordern, die Auftragsvergabe und die Auftraggeberhaftung über die gesamte Unterauftragskette zu regeln und Unternehmen für Verfehlungen gebietsfremder Tochterunternehmen und Unterauftragnehmer haftbar zu machen.Im Frühjahr 2018 soll die Bundesregierung dem Verkehrsausschuss des Bundestags einen Bericht über die Umsetzung der Forderungen aus dem Entschließungsantrag vorlegen. ag

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