Schiffe versenken

Viele Reedereien, so erzählt man sich in der Branche, hätten lange nicht geglaubt, dass die verschärften Abgasregelungen für die Nord- und Ostsee tatsächlich kommen werden. "Da wird der Gesetzgeber noch zurückrudern", lautete der Tenor. Eine solche massive Verteuerung von Kurzstreckenseeverkehren, die werde es nicht geben, die sei einfach nicht zumutbar. 90 Prozent weniger Schwefelgehalt Weit gefehlt. Zum 1. Januar treten die schärferen Grenzwerte für den Schwefelgehalt von Schiffskraftstoffen in besonders schutzwürdig und gefährdet eingestuften Gebieten (Seca: Sulphur Emission Control Areas) in Kraft. Dazu zählen neben Nordund Ostsee auch die nordamerikanischen Küstengewässer. Bisher war ein Schwefelgehalt von 1,0 Prozent erlaubt, künftig sind es nur noch 0,1 Prozent. Eine Reduktion von immerhin 90 Prozent. Das hat für die Kraftstoffversorgung der Schiffe erhebliche Konsequenzen. Bisher konnten die Reeder entschwefelte Schweröl-/Dieselölmischungen bunkern (LS180), jetzt müssen sie das deutlich teurere Marine Diesel Oil verwenden - in der Qualität ungefähr vergleichbar mit LKW-Diesel. Der Preisunterschied beträgt derzeit 210 US-Dollar die Tonne, umgerechnet sind das 165 Euro. Bei einem Fährschiff, das 140 Tonnen am Tag verbraucht, summieren sich die Mehrkosten pro Seetag auf 23.140 Euro. Ein Feederschiff der Baltic Max Klasse (1400 TEU = 20 Fuß-Container) kommt bei einem Verbrauch von 35 Tonnen auf Mehrkosten von 5787 Euro pro Seetag. Pro Jahr häufen sich Millionenbeträge an. "Diese Mehrkosten müssen wir an die Kunden weitergeben", sagte Hanns Heinrich Conzen, Geschäftsführer der Lübecker Fährreederei TT-Line, auf den Short Sea Shipping Days in Lübeck. Er rechnet auf mittellangen Fährstrecken mit Mehrkosten von 10 bis 15 Prozent. Auf der vom Shipping Promotion Center (SPC) organisierten Veranstaltung zeigten sich die dort vertretenen Reedereien überzeugt, dass dies in vollem Umfang gelingt. Das hätte allerdings Folgen. "Es wird zu Verlagerungen auf Schiene und Straße kommen", befürchtet Conzen. "Die Konsequenz sind Marktanteilsverluste in der Schifffahrt", pflichtet Gernot Tesch, Geschäftsführer von Scandlines Deutschland bei. Auf die Spediteure kommt deshalb in den nächsten Wochen einiges an Arbeit zu. "Die Kunden sind besorgt und fragen nach Alternativen", beschreibt Marco Lütz, Geschäftsführer der Lübecker Bruhn Spedition, die Situation. "Ich bin nicht sicher, dass Verlader bereit sind, ein paar 100 Euro mehr in die Hand zu nehmen", hält Lütz eine Verlagerung für möglich. Zumal gerade auf küstenparallelen Ost-Weststrecken wegen der Russland-Krise genügend LKW-Kapazität auf dem Markt ist. Die Reeder haben es den Speditionen mit der Suche nach Alternativen nicht leicht gemacht. Mit Aussagen zu Preiserhöhungen hielten sie sich lange Zeit extrem zurück. Erst in den vergangenen Wochen sickerten erste Informationen durch. Die meisten Reedereien wollen demnach die Mehrkosten mit einen Low-Sulphur-Zuschlag (LSS) an die Kunden weiterberechnen. Der Zuschlag soll in den meisten Fällen monatlich neu berechnet werden. Einige Beispiele: Die Großreederei CMA-CGM will für einen Containertransport innerhalb des Fahrgebietes Ostsee, Skandinavien und britische Ostküste einen Zuschlag von 80 Euro für einen 40-Fuß-Container haben. OOCL fordert für einen 40-Fuß-Container zwischen Europa und dem SECA-Gebiet US-Ostküste 130 US-Dollar LSS. Short-Sea-Spezialist Samskip nennt noch keine konkreten Zahlen, bietet seinen Kunden aber an, individuell bis zum 31. Dezember für maximal zwölf Monate einen festen Zuschlag zu vereinbaren und damit Kalkulationssicherheit zu bekommen. Die scheint es bei den Fährreedereien weitgehend zu geben. Die von TT-Chef Conzen genannten 10 bis 15 Prozent sind durchaus konsensfähig. Stena-CEO Carl-Johan Hagman wird in Lloyds List ebenfalls mit 15 Prozent Mehrkosten zitiert, ebenso DFDS Seaways. Nach Informationen der VerkehrsRundschau wurden gegenüber Großkunden für Verbindungen zwischen Häfen der westlichen Ostsee und dem lettischen Klaipeda Preiserhöhungen von 100 Euro pro Trailer in die Diskussion gebracht. LKW-Diesel könnte teurer werden Für LKW-Unternehmen, aber auch für den Kombinierten Verkehr Straße/Schiene ist die Lage zweischneidig. Einerseits verteuern die Zuschläge die Fährpassagen, andererseits können die Unternehmen die Kostenerhöhungen dadurch umgehen, dass sie möglichst kurze Fährverbindungen nutzen oder, wo möglich, ganz auf Schiffspassagen verzichten. Neugeschäft winkt, sollten Verlader ihre Ladung vom Schiff zurück aufs Land verlagern. Doch Ungemach für die Transportunternehmen droht von anderer Seite, von der Entwicklung des Dieselpreises. Schätzungen gehen davon aus, dass für die Schifffahrt in Nord- und Ostsee zwischen 10 und 25 Millionen Tonnen Dieselöl produziert werden müssen. Zum Vergleich: Der gesamte Dieselverbrauch in Deutschland lag 2013 bei 34,9 Millionen Tonnen. Dass der plötzliche Mehrbedarf an Mitteldestillat die Tankstellenpreise nach oben treiben könnte, scheint durchaus möglich. Andererseits gibt es durchaus Alternativen zum Schiffsdiesel. Allerdings sind auch die nicht umsonst zu haben. So überlegen einige Reeder, die Schiffe langsamer fahren zu lassen und dadurch Treibstoff zu sparen. Gucken kleinere Häfen in die Röhre? Auf eine andere Möglichkeit wies Dierk Faust, Geschäftsführer der Reederei Lehmann aus Lübeck, hin. Der Trend in den Seca-Gebieten werde zu größeren Schiffseinheiten führen. Grund: Bei größeren Schiffen ist der spezifische Verbrauch pro Ladeeinheit in aller Regel niedriger. "Ältere und kleine Schiffe werden ausscheiden", prognostiziert Faust. Das hätte Nebenwirkungen: Um die größeren Schiffe vernünftig auszulasten, müssten die Betreiber die Abfahrtssequenzen senken. Dies würde weniger die großen Häfen (siehe Tabellen rechts) betreffen, sondern vor allem kleinere Häfen würden seltener oder gar nicht mehr bedient. Auch hier liegt eine Chance für LKW-Unternehmen. Die Transporte aus den verbleibenden Häfen in die Fläche würden zunehmen - eine klassische LKW-Domäne. Erste Anzeichen für Bewegung im Short-Sea-Netzwerk sind bereits zu beobachten: In den vergangenen Wochen wurden vier Short-Sea-Dienste in den Seca-Gebieten im Vorgriff auf den 1. Januar eingestellt. Es gibt allerdings auch gegenläufige Strategien. Unifeeder kündigte Anfang des Monats an, seine Verbindungen ins Baltikum, nach Russland und nach Finnland sogar auszubauen. Das Unternehmen will kontinentale Short-Sea-Verkehre mit Feederverkehren für die großen Containerlinien kombinieren. Die Ankündigung überraschte die Experten. Gerechnet worden war eher mit einer Ausdünnung von Feederverkehren und Direktanläufen von großen Containerschiffen mit interkontinentalen Abgangsund Zielorten in den Ostseehäfen. Einige Reedereien sind Sonderwege gegangen: So hat die finnische Fährreederei Finnlines zehn ihrer Ro-Pax-Schiffe mit Entschwefelungsanlagen - Fachbegriff: Scrubber - ausgestattet und dafür 50 Millionen Euro investiert. Die Fähren können damit weiterhin das billigere Schweröl tanken. Ein Schachzug, der sich rechnen könnte. Bei Kraftstoffkosten-Einsparungen von 23.000 Euro pro Seetag wäre die Investitionssumme nebst Kapitalkosten bereits nach 250 Seetagen wieder eingespielt. Uwe Bakosch, Deutschland-Chef von Finnlines, sorgte auf den Short-Sea-Days mit der Bemerkung für Aufsehen, dass sein Unternehmen keine Preiserhöhungen in dem von anderen Fährreedereien genannten Rahmen anstrebe. Die Branche kämpft jedoch noch mit anderen Problemen. Wie Timm Ulrich Niebergall, Chef von Unifeeder Germany, sagt, fehle es vor allem vielen kleinen Reedereien im siebenten Jahr der Schifffahrtskrise an Geld für Großinvestitionen. Ein weiteres Problem: Kleinere Containerschiffe werden bei Bedarfsänderungen flexibel in andere Seegebiete verlegt. Bei einer solchen Verlegung wäre der schwere Scrubber mit einem Schlag wertlos und ein Klotz am Bein. Ebenfalls anders als der Mainstream orientierte sich die Fährreederei Scandlines. Das Unternehmen verkaufte fast 80 Prozent seines Netzwerkes und will sich auf Kurzstrecken konzentrieren. Dies sind Puttgarden - Rödby, Helsingör - Helsingborg und Gedser - Warnemünde. Hier schlagen die höheren Kraftstoffkosten unterproportional zu Buche. Nach Angaben von Deutschland-Chef Tesch wird die Reederei zudem die Antriebe optimieren. Auf der Vogelfluglinie kommt ein hybrider Antrieb aus einem Schiffsmotor und einem Batteriepack zum Einsatz, der den Motor in der verbrauchsintensiven Antriebsphase entlasten soll. Jede dritte Reederei rechnet mit einer Verlagerung Weitere Verschärfungen geplant Es bleibt nicht bei den Maßnahmen zum 1. Januar 2015. Zum 1. Januar 2016 plant die IMO (Internationale Maritime Organization), dass in den Seca-Gebieten die NOx-Emissionen um 80 Prozent unter dem Wert aus dem Jahr 2000 liegen sollen - wobei dieses Datum offenbar noch nicht endgültig ist.Welche Folgen haben diese beiden Verschärfungen? Diese Frage hat die HSH Nordbank Ende 2013 nationalen und internationalen Reedern gestellt. Die Antwort der 60 Teilnehmer: 82 Prozent gehen davon aus, dass zunehmend Eco-Schiffe als Neubauten auf den Markt kommen. Ebensoviele sagen eine Nachrüstung der bestehenden Flotte voraus. 76 Prozent erwarten einen Anstieg der Frachtraten durch hohe Treibstoffkosten. Und immerhin jeder dritte Reeder befürchtet eine Verkehrsverlagerung vom Schiff auf die Straße. 15 Prozent prognostizieren, dass Liniendienste eingestellt werden.Und außerhalb der Seca-Gebiete darf dann geheizt werden, wie die Reedereien wollen? Fast könnte man es glauben, weil derzeit außerhalb der Seca-Gebiete im Kraftstoff eine Konzentration von 3,5 Prozent Schwefel erlaubt ist. Aber auch hier wird der Wind rauer: Zum 1. Januar 2020 will die IMO den zulässigen Höchstwert auf 0,5 Prozent begrenzen. cd Es fehlt an LNG-Tankstellen in den Häfen Hoffen auf LNG Es ist effizient, sauber und vor allem schwefelfrei: Liquefied Natural Gas - kurz LNG - gilt in der Schifffahrtsbranche als Kraftstoff der Zukunft. Ist er auch eine Lösung für das Seca-Problem? Zumindest kurzfristig nicht. Zwar gibt es praxistaugliche Schiffsmotorenkonzepte, aber die neue Technik steht vor einem Henne-Ei-Problem. Die Reeder werden LNG-angetriebene Schiffe erst dann bestellen, wenn eine flächendeckende Versorgung mit dem Flüssiggas gesichert ist. Und die Gaslieferenten wollen erst dann in die teure Bunkertechnologie investieren, wenn es genug Abnehmer gibt. Es gibt jedoch Bewegung: Die Linde-Bomin-Gruppe arbeitet an Terminals in Hamburg und Bremerhaven, Gazprom Deutschland hat Interesse an einem kleinen LNG-Terminal in Rostock bekundet. Interesse haben offenbar auch Wilhelmshaven und Brunsbüttel.Aus Sicht der Reeder gibt es zwei weitere Hindernisse. "Die hohen Investitionskosten für LNG-Antriebe sind für die meisten Reedereien eine unüberwindbare Hürde angesichts des gewaltigen Kostendrucks, der seit Jahren auf der Branche lastet", sagt Ralf Nagel, geschäftsführendes Präsidiumsmitglied des VDR. "Wenn Deutschland in der Schifffahrt Vorreiter beim Umweltschutz sein möchte, braucht die Branche zielgerichtete Unterstützung." Diese Zusage hätten die Regierungsparteien in ihrem Koalitionsvertrag bereits gemacht. Außerdem fehlt es an einem international akzeptierten Rechtsrahmen für den Einsatz von LNG-Schiffen. Die Internationale Seeschifffahrts-Organisation IMO will einen rechtlichen Rahmen bis 2017 fertigstellen. hel

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