Schein oder nicht Schein

Eine alltägliche Szene: Mächtig Zoff kurz vor Feierabend - einer der Fahrer ist sichtlich erbost. Grund: Wegen einer kurzfristig anberaumten Familienfeier am nächsten Tag will er unbedingt frei haben. Und dies, obwohl mit einem Auftraggeber schon vor geraumer Zeit eine wichtige Tour vereinbart worden ist, die er übernehmen soll. "Dann halt anders", spricht er andeutungsschwanger. Was das zu bedeuten hat, erfährt der Chef tags darauf, als der Fahrer sich telefonisch krank meldet. Das stinkt gewaltig, denkt sich der Arbeitgeber! Doch was kann er dagegen tun? Die sogenannte Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung - landläufig auch als gelber Schein bekannt - führt immer wieder zu rechtlichen Auseinandersetzungen. Vor allem, wenn dem Chef eine Krankschreibung verdächtig vorkommt. Entgeltanspruch bis zu sechs Wochen Grundsätzlich haben alle Arbeitnehmer - egal, ob Vollzeitkräfte, geringfügig Beschäftigte (Mini-Jobber) oder Auszubildende - Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei Krankheit bis zu einer Dauer von sechs Wochen. Dieser Anspruch entsteht aber erst, wenn das Arbeitsverhältnis mindestens vier Wochen ununterbrochen bestanden hat, und zwar unabhängig davon, ob während dieser Zeit tatsächlich gearbeitet worden ist. Im Übrigen besteht für den erkrankten Arbeitnehmer nur dann Anspruch auf weiteres Arbeitsentgelt, wenn die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit ohne sein eigenes Verschulden eingetreten ist. Er darf also seinen Arbeitsausfall nicht durch einen groben Verstoß gegen seine Eigensorgfalt heraufbeschworen haben. Die Entgeltfortzahlung kann daher ausgeschlossen sein, wenn er betrunken einen Verkehrsunfall verursacht oder grob fahrlässig gegen Unfallverhütungsvorschriften verstößt und hierdurch verletzt wird. Ebenso bei einer provozierten Schlägerei. In all diesen Fällen kann der Arbeitgeber die Lohnfortzahlung verweigern. Krankenbild geht den Chef nichts an Liegen solche Ausnahmefälle nicht vor und ist der Arbeitnehmer ganz normal erkrankt, so gelten für diesen zunächst zwei verschiedene Pflichten: Erstens eine Anzeigepflicht. Dies bedeutet, dass er seinem Chef die Arbeitsunfähigkeit sowie die voraussichtliche Dauer unverzüglich anzeigen muss. Das geschieht im Allgemeinen telefonisch, per E-Mail oder SMS noch am Tag der Erkrankung. Der Arbeitnehmer braucht hierbei keinerlei Angaben über die Art der Erkrankung und die Krankheitssymptome zu machen. Ausnahme: Eine schwere Erkrankung, die die Ansteckung anderer Mitarbeiter befürchten lässt. Denn die Krankheitsdiagnose hat den Chef nicht zu interessieren, diese erhält ausschließlich die gesetzliche Krankenkasse vom Arzt mitgeteilt. Spätestens am vierten Tag, so die gesetzliche Vorschrift des Paragrafen 5 des Entgeltfortzahlungsgesetzes, muss der erkrankte Arbeitnehmer zweitens eine ärztliche Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung vorlegen. Drei Tage besteht keine Attest-Pflicht Samstag und Sonntag zählen bei der gesetzlichen Frist von mehr als drei Kalendertagen mit. Erkrankt also der Arbeitnehmer etwa an einem Freitag, muss er die Bescheinigung bereits am Montag vorlegen. Bei bis zu drei Tagen dauernder Erkrankung besteht grundsätzlich keine Attestpflicht. Laut dem Bundesarbeitsgericht ist es aber zulässig, dass der Arbeitgeber verlangt, dass bereits am ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit ein Attest vorzulegen ist (Urteil vom 14.11.2012, Aktenzeichen: 5 AZR 886/11). Diese Verpflichtung kann betriebseinheitlich im Arbeitsvertrag festgelegt werden oder durch eine Betriebsvereinbarung. Wer gegen eine solche Abmachung verstößt, kann sogar fristlos gekündigt werden, so das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein (Urteil vom 13.10. 2009, Aktenzeichen: 2 Sa 130/09). Wichtig: Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung enthält stets zwei Aussagen: zum einen eine medizinische, wonach der Arbeitnehmer erkrankt ist. Zum anderen eine arbeitsrechtliche, dass der Arbeitnehmer infolge dieser Erkrankung seine arbeitsvertraglichen Tätigkeiten nicht mehr verrichten kann. Erkrankung ist also nicht zwingend Arbeitsunfähigkeit. Beispiel: Ein Sachbearbeiter mit gebrochenem Handgelenk der linken Hand ist zwar erkrankt, kann aber möglicherweise durchaus arbeitsfähig sein; demgegenüber ist ein LKW-Fahrer mit gleicher Blessur fraglos arbeitsunfähig. Nicht jede Krankmeldung ist richtig Grundsätzlich muss der Arbeitgeber davon ausgehen, dass eine Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung inhaltlich richtig ist. Hier spricht man von dem sogenannten Beweis des ersten Anscheins. Allerdings bedeutet das nicht, dass er jede Krankschreibung hinnehmen muss. Gelingt es dem Arbeitgeber, den Beweiswert der ärztlichen Attestes durch Tatsachen, die ernsthafte Zweifel begründen, zu erschüttern, muss der Arbeitnehmer erneut seine Arbeitsunfähigkeit beweisen. Zum Beispiel bei auffällig häufigen Kurzerkrankungen oder wenn die Arbeitsunfähigkeit oft an einem Arbeitstag vor oder nach dem Wochenende sowie an Brückentagen eintritt. Weitere Beispiele sind eine Krankschreibung durch den Arzt ohne richtige Untersuchung, die wiederholte Erkrankung von ausländischen Arbeitnehmern jeweils im Anschluss an den Heimaturlaub, mehrmalige gemeinsame oder gleichzeitige Erkrankung von Ehegatten nach Urlaubsende, ein häufiger Arztwechsel sowie die Verrichtung anderer Jobs oder extremer Aktivitäten trotz Arbeitsunfähigkeit. Nicht erschüttern lässt sich der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung hingegen mit dem Hinweis, dass der Erkrankte mehrmals nicht zu Hause anzutreffen gewesen ist, er die Krankmeldung vorgelegt hat, nachdem ihm gekündigt worden ist oder er sich nicht von einem Arzt untersuchen lassen will, den der Arbeitgeber vorgeschlagen hat. Arbeitgeber kann Gutachten fordern Im Eingangsfall dürfte aufgrund der ausdrücklichen Ankündigung unter Zeugen möglicherweise der Nachweis einer simulierten Erkrankung zu führen sein. Bei solchen begründeten Zweifeln kann der Chef übrigens von der Krankenkasse eine gutachterliche Stellungnahme des medizinischen Dienstes verlangen. Hierbei sehen die Vorschriften vor, dass die Krankenkasse unverzüglich die Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung prüfen kann. Gelingt es dem Arbeitnehmer daraufhin nicht, Umstände vorzutragen, die seine Arbeitsunfähigkeit untermauern, kann der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung einstellen beziehungsweise bereits gezahlte Gelder zurückfordern. Im Übrigen ist bei erschlichener Krankschreibung arbeitsrechtlich eine fristlose Kündigung denkbar; in jedem Fall aber eine Abmahnung. Die gleichen Regeln gelten im Prinzip bei Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigungen, die im Ausland ausgestellt worden sind. Häufig kommt es vor, dass ein ausländischer Arzt ein Attest für einen ausländischen Mitarbeiter eines deutschen Betriebs ausstellt, der sich auf Heimaturlaub befindet. Auch hier gilt, dass der erkrankte Arbeitnehmer verpflichtet ist, seinem Chef die Arbeitsunfähigkeit, deren voraussichtliche Dauer und die Aufenthaltsadresse schnellstmöglich mitzuteilen. Der Krankschreibung des ausländischen Arztes kommt der gleiche Beweiswert zu wie der eines deutschen Arztes. Fazit: Obwohl es grundsätzlich möglich ist, die Rechtmäßigkeit einer Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung anzuzweifeln, ist dies in der Praxis äußerst schwierig. Es ist daher nur in echten Verdachtsfällen ratsam und Erfolg versprechend. Urteile zum gelben Schein So haben Gerichte in Sachen Krankschreibung entschieden Erklärt der Arbeitnehmer, er werde krank, wenn der Arbeitgeber ihm den im bisherigen Umfang bewilligten Urlaub nicht verlängere, obwohl er im Zeitpunkt dieser Ankündigung nicht krank war und auch keine bestimmten Beschwerden hatte, so ist ein solches Verhalten an sich geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Und zwar ohne Rücksicht darauf, ob der Arbeitnehmer später tatsächlich erkrankt. Das entschied das Bundesarbeitsgericht. kkUrteil vom 05.11.1992 Aktenzeichen: 2 AZR 147/92Einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die in einem Land außerhalb der Europäischen Union ausgestellt wurde, kommt laut dem Bundesarbeitsgericht im Allgemeinen der gleiche Beweiswert zu wie einer in Deutschland ausgestellten Bescheinigung. Sie muss jedoch erkennen lassen, dass der ausländische Arzt zwischen einer bloßen Erkrankung und einer mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Krankheit unterschieden und damit eine nach deutschem Arbeitsrecht entsprechende Beurteilung vorgenommen hat. kkUrteil vom 19.02.1997 Aktenzeichen: 7 AZR 83/96

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