Rotterdam nimmt Kurs auf Deutschland

Es ist schon beeindruckend, was der Hafen Rotterdam aus dem Wasser gestampft hat. Auf der Maasvlakte II - ein Gebiet, das die Holländer durch Aufschüttungen dem Meer abgetrotzt haben - sind drei große Containerterminals hingestellt worden. Alleine diese Anlagen sollen in der Endausbauphase mal auf eine Gesamtkapazität von über 11 Millionen TEU (20 Fuß-Container) kommen. Zum Vergleich: Der Hafen Hamburg hat im letzten Jahr 8,8 Millionen TEU umgeschlagen. Neue Terminals nicht ausgelastet Auch wenn der Betrieb der neuen Terminals sich zum Teil noch in Testphasen befindet: Es hat den Anschein, als ob die Anlagen noch auf den ganz großen Schub warten. Das lässt sich auch an der Umschlagbilanz des Hafens Rotterdam ablesen. 12,235 Millionen TEU wurden dort 2015 umgeschlagen. Im Vorjahr waren es 12,298 Millionen TEU und damit 0,5 Prozent mehr. Noch gibt es also viele unausgelastete Kapazitäten. Um dies zu ändern, nimmt der Hafen verstärkt Kurs auf sein Hinterland und hat dabei vor allem Deutschland im Blick. Doch neue, hochautomatisierte Terminals alleine locken noch keine Mengen nach Rotterdam. Wichtiger sind für viele Reeder wie auch für die Verlader und Spediteure die Hinterlandanbindungen. Auch hier versucht Rotterdam möglichst gute Rahmenbedingungen zu schaffen. Im Fokus steht dabei vor allem Deutschland. Denn 29 Prozent der Güter, die in Rotterdam umgeschlagen werden, kommen aus oder gehen nach Deutschland (siehe Grafik Seite 27). Zudem nehmen viele weitere Güter den Weg über Deutschland zum Beispiel nach Ost- oder Südeuropa. Gerade in diesen Regionen werden jedoch viele Transporte über Hamburg und Bremerhaven abgewickelt, weil es sehr gute Bahnanbindungen gibt. Aber Rotterdam versucht auf verschiedenen Ebenen zu punkten: "Wir stellen fest, dass immer mehr Reedereien Rotterdam zum first und last call auf ihrer Route wählen", sagt Wouter van Dijk, Director Logistic im Hafen Rotterdam. Das bedeutet einen Zeitvorteil für die Verlader. In Rotterdam kommen die Schiffe als Erstes an von ihrer Reise aus Übersee. Erst danach und damit mindestens 24 Stunden später werden andere Häfen in der Nordsee angefahren. Und auf dem Rückweg ist Rotterdam dann häufig der letzte Nordseehafen, sodass die Verlader für die Verschiffung ihrer Exportcontainer ebenfalls mehr Zeit haben. Der Hafen Rotterdam hat sich zum Ziel gesetzt, die Struktur im Hinterlandverkehr zu verändern. Binnenschiff und Bahn sollen künftig eine wichtigere Rolle spielen. Rotterdam strebt für 2030 folgenden Modal Split an: 45 Prozent Binnenschiff (2010: 42 Prozent), 35 Prozent Straße (45 Prozent) und 20 Prozent Schiene (12 Prozent). Zur optimalen Schienenanbindung des Hafens ist bereits die Betuweroute gebaut worden: eine 174 Kilometer lange Trasse zwischen Rotterdam und Emmerich, die ausschließlich dem Güterverkehr vorbehalten ist. Auf deutscher Seite besteht jedoch ein Engpass. Deshalb soll zwischen Emmerich und Oberhausen ein drittes Gleis gelegt werden. Die Arbeiten dazu beginnen 2016 und dauern voraussichtlich bis 2023. Dann sollen den Grenzübergang Zevenaar-Emmerich statt angestrebte 110 Züge pro Tag im Jahr 2016 192 Züge im Jahr 2030 passieren. Hupac will mit Rotterdam wachsen Für den Kombi-Operateur Hupac spielt Rotterdam eine wichtige Rolle, auch wenn die Schweizer im Nachbarhafen Antwerpen selbst ein Terminal betreiben. "Wir sehen in Rotterdam ein großes Potenzial für mehr Wachstum", sagt Mark Jansen, Director Operations bei Hupac Intermodal NV. Die Schweizer fahren mehrere Züge die Woche zwischen Rotterdam und Duisburg, Ludwigshafen und Mannheim. "Mit der Leistung auf der Betuweroute sind wir sehr zufrieden", sagt Michel Rey, Business Manager Maritime Inland Services bei der Hupac Intermodal AG. Mit der Pünktlichkeit gäbe es dort keine Probleme, eher auf dem deutschen Schienennetz. Allerdings bereitet ihm die Bautätigkeit auf der Strecke Emmerich-Oberhausen Sorgen. "Es gibt wenig Ausweichmöglichkeiten", sagt Rey. Als einzige Alternative steht die Strecke Venlo-Viersen südlich der Betuweroute zur Verfügung. Auf dieser Strecke soll nach Auskunft des Hafen Rotterdams mit den Bauarbeiten zwischen Oberhausen und Emmerich die Zahl der Güterzüge pro Tag von 65 auf 135 im Jahr 2017 steigen. Der Hafen Rotterdam hat sich zum Ziel gesetzt, vor allem mehr Transporte von und nach Süddeutschland abzuwickeln. Einen Containerzug nach Bayern gibt es seit März 2012. Mittlerweile ist der Takt erhöht worden und es fahren seit September 2015 fünf Züge die Woche zwischen Rotterdam und Nürnberg/München. TX Logistik ist das Bahnunternehmen und der Operateur, der den Zug gemeinsam mit European Gateway Services (EGS) - eine Tochter des Terminalbetreibers ECT - vermarktet. "Wir gehen davon aus, dass das Volumen weiter steigt, auch weil Rotterdam auf die Ankunft von 19.000-TEU-Schiffen vorbereitet ist und damit auch mehr Container umgeschlagen werden", zeigt sich Mark van Andel, Geschäftsführer der EGS, zuversichtlich. Van Andel spricht von einer "Synchromodalität": "Unser Ziel ist es, für verschiedene Bedürfnisse den geeigneten Verkehrsträger zu suchen." Neue Containerzüge in den Süden Schwierig ist es laut Leo Steegs, Sales Manager Benelux bei TX Logistik, die Züge gleichmäßig auszulasten. "Und nach wie vor sind viele Unternehmen auf Hamburg und Bremerhaven fixiert", sagt er. Da müsse man erst Überzeugungsarbeit leisten. Doch das gelingt offenbar: "Ab Mai wollen wir einen weiteren Zug zwischen Rotterdam und Bayern anbieten", kündigte er gegenüber der VerkehrsRundschau an. Der Hafen unterstützt die Akteure, in dem er verstärkt informiert und beim Aufbau neuer Verbindungen finanzielle Unterstützung leistet. Lag der Fokus bislang auf Bayern, so will der Hafen jetzt auch in Baden-Württemberg ähnliche Initiativen starten wie Bayrolo in Bayern. "Wir wollen 2016/ 2017 eine Verbindung Richtung Stuttgart aufbauen", kündigte van Dijk an. Bi- und sogar trimodal ist Contargo nach Rotterdam unterwegs. Die Rhenus-Tochter, ursprünglich ein Binnenschifffahrtsunternehmen, bietet werktägliche Verbindungen per Zug zwischen Rotterdam und Duisburg, Mannheim und Wörth an, dazu werden auch Basel (dreimal die Woche) sowie Neuss und Frankfurt (zweimal die Woche) angefahren. "Die Binnenschifffahrt ist für manche Kunden zu langsam. Da ist die Schiene im A-B-Verkehr eine schnelle Alternative", sagt Marcel Hulsker, Geschäftsführer der Contargo. Mittlerweile gewinnt die Bahn auch deshalb eine größere Bedeutung, weil Rhenus mit Crossrail und LTE zwei Privatbahnen aufgekauft hat. Hulsker zeigt sich mit der Qualität der Leistungen zufrieden auf der Route. Allerdings kritisiert er die im Vergleich zu anderen Strecken hohen Trassenpreise, die der Betreiber des Schienennetzes in den Niederlanden, Pro Rail, verlangt. Eine Einschätzung, die andere Operateure wie auch Steegs teilen: "Das sind keine marktgerechten Preise", sagt der TX-Logistik-Manager. Leiden muss Contargo auch unter den Problemen, die in Rotterdam bei der Abfertigung von Binnenschiffen auftreten. Contargo hat bis zu 40 Binnenschiffe im Einsatz, die im Rundlauf Antwerpen, Rotterdam und dann über den Rhein Deutschland anfahren. Die Schiffe in Rotterdam müssen zum Teil tagelang warten, bis sie abgefertigt werden können. Die Ursachen sind vielfältig: Seeschiffe kommen verspätet in den Hafen, an den Terminals klappt die Abfertigung der Binnenschiffe nicht und die Schiffe liefern nur wenige Container an den Terminals ab oder nehmen nur wenige auf und müssen daher an vielen Terminals Station machen. Das kostet Zeit und Geld. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Rotterdam www.verkehrsrundschau.de/dossiers Mittelmeerhäfen keine grosse Konkurrenz Neuer Fokus auf das Hinterland Mit dem Bau der Maasvlakte II hat der Hafen Rotterdam nochmals seine Kapazitäten im Containerumschlag kräftig aufgestockt."Wir haben uns jahrelang mit Aktivitäten und Investitionen auf die vorderseitige Anbindung des Hafens konzentriert. Nun wollen wir uns stärker mit der hinterseitigen Anbindung befassen", kündigte Allard Castelein, CEO des Hafens Rotterdam, in Rotterdam vor Journalisten an.Er ist sich einerseits zwar bewusst, dass ihm dabei anders als in seinem Hafen die Hände gebunden sind, weil er abhängig ist von politischen Entscheidungen im Ausland, die über Investitionen in die Verkehrswege entscheiden. Doch Castelein befürchtet nicht, dass zum Beispiel Deutschland bei den Hinterlandanbindungen die deutschen Seehäfen bevorzugt und die Anbindung an Rotterdam vernachlässigt. "Es ist auch im Interesse der Bundesrepublik, dass die West-Ost-Verbindungen entwickelt werden", sagte Castelein. Im Fokus der Bemühungen von Rotterdam um das Hinterland steht auch Süddeutschland. Doch auch immer mehr Häfen im Mittelmeer haben diese Region im Blick. Castelein zeigte sich jedoch gelassen: "Wir beobachten deren Aktivitäten genau, zum Beispiel den Einstieg der chinesischen Reederei Cosco in den Hafen Piräus. Bezogen auf die absoluten Mengen sehe ich allerdings nur geringe Auswirkungen für uns." cd