Die VerkehrsRundschau sprach mit Roger Schwarz, Leiter der Abteilung Technik im BGL, über die grundsätzlichen künftigen Anforderungen sowie deren Auswirkungen.
Was hält der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) von der neuen Verordnung?
Roger Schwarz: Die vorliegende Verordnung ist völlig praxisfremd und verfehlt ihre Zielsetzung! Grundsätzlich ist festzuhalten, dass sich der BGL aus Gründen der Verkehrssicherheit, Schutz der Infrastruktur und der Wettbewerbsgleichheit natürlich für Kontrollen der Einhaltung der zulässigen Gewichte ausspricht. Die spannende Frage hierbei ist allerdings, wie das geschehen soll. Mit der letzten Revision der Richtlinie 96/53/EG war genau aus den o.g. Gründen eine der Zielsetzungen, angemessen gegen Verstöße überladener Fahrzeuge vorzugehen.
Die Mitgliedstaaten sind nun aufgefordert, bis zum Mai 2021 Maßnahmen zu ergreifen, damit die überladenen Fahrzeuge selektiert und von den zuständigen Behörden kontrolliert werden können. Den Mitgliedsstaaten ist hierbei freigestellt, ob dies z.B. mittels automatischen Systemen in der Infrastruktur oder mit in den Nutzfahrzeugen verbauten On-Board-Wiegesystemen (OBW-Systemen) erfolgt. Ob nun ein OBW-System obligatorisch in die Nutzfahrzeuge verbaut werden muss, kann jeder Mitgliedsstaat für sich und nur für die in seinem Hoheitsgebiet zugelassenen Fahrzeuge entscheiden.
Die Ausrüstung von Fahrzeugen mit OBW-Systemen ist aus unserer Sicht aber europaweit einheitlich zu regeln und muss praxisgerechten Kriterien entsprechen, die in der Typzulassung für Fahrzeuge zu verankern sind. Außerdem dürfen die Systeme nur einer Vorselektion dienen. Ein Verstoß muss unmittelbar durch eine manuelle Kontrolle mit einer geeichten Verwiegung stattfinden.Mit der nun vorliegenden Verordnung sollten ursprünglich einheitliche Bedingungen für die Interoperabilität und Kompatibilität der OBW-Systeme geschaffen werden.
Was ist darunter zu verstehen?
Schwarz: Gewichtsdaten müssen zu jedem Zeitpunkt von einem fahrenden Fahrzeug an die zuständigen Behörden übermittelt und für den Fahrer sichtbar gemacht werden können. Die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten müssen mit Fahrzeugen, die in einem beliebigen Mitgliedstaat zugelassen sind und ein OBWSystem verwenden, in der gleichen Weise kommunizieren und Informationen austauschen können. Um sicherzustellen, dass die Systeme mit allen Fahzeugtypen kompatibel sind, müssen OBW-Systeme die Daten aller Anhänger oder Sattelanhängertypen, die an das Kraftfahrzeug angehängt werden können, empfangen und verarbeiten können.
Worin liegen da aus Sicht des BGL die praxisfremden Punkte?
Schwarz: Praxisfremd sind nicht die Anforderungen an Interoperabilität oder Kompatibilität. Problematisch sind die mit der jetzt veröffentlichten Verordnung vorgegebenen möglichen Systeme und deren Wirkvorschriften inklusive der geforderten Genauigkeiten sowie die Anforderungen an die OBW-Überprüfung/Nachprüfung und an die dafür zuständigen „OBW-Werkstätten“.
Über welche Systemmöglichkeiten sprechen wir?
Schwarz: Erstens über ein dynamisches System, welche das Gewicht aus Informationen während der Fahrt ermittelt – etwa Beschleunigungen. Der Fahrer muss also eine gewisse Strecke gefahren sein, ehe er nach spätestens 15 Minuten weiß, ob sein Fahrzeug überladen ist oder nicht. Das ist völlig praxisfremd und ungeeignet. Zweitens soll es alternativ statische Systeme geben, die das Gewicht ganz oder teilweise aus Parametern bei stehendem Fahrzeug ermitteln, etwa den Drücken in den Luftbälgen. Auch da stellen sich Fragen der Praxistauglichkeit: Was ist, wenn das Fahrzeug sich bewegt – vor allem beim Transport flüssiger oder rieselfähiger Güter.
Der BGL hadert außerdem mit dem Thema Messgenauigkeit, wie man hört?
Schwarz: So ist es! Die Systeme sollen in der ersten Generation bis Mai 2021 mit einer Genauigkeit von plus/minus zehn Prozent, in der zweiten Generation ab Mai 2024 mit einer Genauigkeit von plus/minus fünf Prozent arbeiten. Jetzt stellen sie sich vor, der Fahrer bewegt einen Standard-Sattelzug mit fünf Achsen und 40 Tonnen zulässiger Gesamtmasse. Er bekommt von der OBW die Information, dass seine Zuggesamtmasse bei exakt 40.000 Kilogramm liegt. Tatsächlich aber hätte er in der Generation 1 bei zulässiger Toleranz 44 Tonnen und kommt in eine Kontrolle. In Deutschland greifen die Sanktionen bereits ab zwei Prozent Überladung…im grenzüberschreitenden Einsatz gelten wiederum andere Sanktionsgrenzen und nicht selten höhere Bußen. So ein OBW ist doch kein echtes Hilfsmittel.
Um sicher im grünen Bereich zu sein, müsste sich der Lkw-Fahrer an einer OBW-Anzeige von 36.364 kg orientieren, damit er bei 10 Prozent Toleranz die 40 Tonnen nicht überschreitet. Andererseits könnte aber auch der Lkw selbst bei einer OBW-Anzeige von 44 Tonnen faktisch noch im tolerierten Bereich liegen. Um aber nicht in den Bereich der Fahrlässigkeit oder gar des Vorsatzes zu gelangen, müsste der Fahrer vorsorglich wieder abladen. Das ist doch keinem zuzumuten! Nicht dem Fahrer und auch nicht dem Verlader!
Was also sollte nach Ansicht des BGL getan werden?
Schwarz: Die in der Verordnung definierten Anforderungen an die OBW-Systeme müssen nachgearbeitet werden. Unabhängig davon sollte man die Einhaltung der zulässigen Gesamtmassen nicht nur an der Entscheidung des Fahrers –dem letzten Glied der Transportkette– festmachen. Ganz gleich, ob nun ein Fahrzeug mit einem OBW-System ausgestattet ist oder nicht sollte man hier auch eine Verladerhaftung prüfen, um alle Beteiligten in der Transportkette entsprechend einzubinden. Um mich nicht dem Vorwurf auszusetzen, dass so etwas ebenfalls praxisfremd ist, der Hinweis, dass es etwas Ähnliches bereits in der Richtlinie 2015/719/EG für Container-/Wechselbehälter-Transporte festgeschrieben wurde.
Da heißt es: „…der Spediteur händigt dem Transportunternehmen, dem er die Beförderung eines Containers oder eines Wechselaufbaus anvertraut, eine Erklärung aus, in der das Gewicht des transportierten Containers oder Wechselaufbaus angegeben ist...und gewährt Zugang zu allen vom Spediteur bereitgestellten einschlägigen Dokumenten. Die Mitgliedstaaten legen für Fälle, in denen diese Informationen fehlen oder falsch sind und das Fahrzeug oder die Fahrzeugkombination überladen ist, angemessene Vorschriften für die Haftung sowohl des Spediteurs als auch des Transportunternehmens fest.“
Wie man hört, sollen die OBW periodisch überwacht werden. Was sagt der BGL dazu?
Schwarz: Auch da sehen wir gewisse praktische Unzulänglichkeiten. Da die Ladung üblicherweise nicht dem Fahrzeugbetreiber gehört, ist es schwierig – und je nach Ladegut sogar unzulässig, während einer Inspektion die Beladung bzgl. der Masse zu verändern. Für den erstmals nach zwei Jahren vorgesehenen „Three-load test“ müsste das Fahrzeug eventuell drei Mal vorgeführt werden, um die jeweils geforderten Beladungszustände zu realisieren.
Selbst wenn eine Werkstatt mit Kalibrier-Gewichten zur Beladung des Fahrzeugs ausgestattet wäre - die kaum eine Werkstatt hat - würde die Inspektion des OBW-Systems zu unverhältnismäßigen Ausfallzeiten führen. Um ein dynamisches OBW zu überprüfen, ist der Aufwand zur Erlangung valider Werte ebenfalls beträchtlich. Von der Zertifizierung der Werkstätten einmal abgesehen … Zudem sprechen wir ja aktuell "nur" von einem Standard-Lkw. Die Besonderheiten des Schwertransportes sind in der Verordnung noch nicht mal berücksichtigt.
Wie also lautet das Fazit des BGL zur „OBW-Verordnung“?
Schwarz: Es gibt noch viel zu tun! Aktuell müssen wir natürlich zusehen, dass es unter diesen praxisuntauglichen Bedingungen keine obligatorische Ausrüstungspflicht für in Deutschland zugelassene Fahrzeuge gibt. Hierzu stehen wir natürlich im Kontakt mit dem BMVI, um die weitere Vorgehensweise zu eruieren. Unabhängig davon müssen auch bei der EU-Kommission diese „OBW-Probleme“ erneut adressiert werden. Man muss sich noch einmal intensiv mit allen Beteiligten der Transportkette mit den Gegebenheiten auseinandersetzen, um geeignete Maßnahmen zur Einhaltung der zulässigen Gewichte zu definieren. (gg)