Politik schaltet in den

Eine Mängelquote von 85 Prozent. Diese Zahl ist es, die NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider "erschüttert". Und diese Zahl ist es auch, die der SPD-Politiker nicht hinnehmen will. Bei Kontrollen in seinem Bundesland im Mai hatten Kontrolleure der Arbeitsschutzverwaltung 131 Kurierdienste überprüft - mit teils desaströsen Ergebnissen (siehe Kasten "KEP-Kontrollen"). Besagter Minister schaltet nun in den Angriffsmodus. "Wir wollen die entsprechende Fahrpersonalverordnung, konkret den Paragraf 20a, zuspitzen", kündigt der ehemalige Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Bezirk NRW im Gespräch mit der VerkehrsRundschau an (siehe Interview). In den nächsten Wochen will der Ressortchef das Thema an seine Länderministerkollegen herantragen, die "genauso erschüttert" seien wie er. Er wolle dahin kommen, "dass Gesetze und Bestimmungen in der KEP-Branche, wie in anderen Branchen auch, eingehalten werden." "Keine Stellungnahme" Starker Tobak. Und es gibt kaum Gegenstimmen, da sich die großen Paketdienste mit öffentlichen Statements sehr zurückhalten. Auf Nachfrage der VerkehrsRundschau wollen die meisten Paketdienste keinen Kommentar abgeben - und verweisen auf ihren Verband, den Bundesverband Paket und Expresslogistik (Biek). Aber auch der gibt sich wortkarg: "Auf Basis der uns vorliegenden Informationen können wir derzeit leider nicht dezidiert Stellung beziehen", teilt der Verband per Mail mit - und will trotz mehrfachen Nachhakens erst dann für ein Gespräch zur Verfügung stehen, wenn er "von den Behörden Informationen zu der Untersuchung erhalten" hat. Doch das kann dauern. Denn die betroffenen Unternehmen wissen noch gar nicht im Detail, wer und was bei den Kontrollen aufgefallen ist. DHL, GLS, Trans-o-flex, UPS, DPD und andere berichten unisono: "Uns liegen keine konkreten Ergebnisse vor." Das Ministerium teilt auf VerkehrsRundschau-Nachfrage mit: "Die Hauptauftragnehmer sind nach den Kontrollen über Defizite von der Arbeitsschutzaufsicht informiert worden." In den kommenden Monaten geht nun die Arbeitsschutzverwaltung der Bezirksregierungen nach Ministeriumsangaben auf die Kurierdienste zu und überprüft diese Firmen noch einmal detailliert. Diese Überprüfungen werden vor Ort erfolgen und können bis Ende des Jahres dauern. Verdi gibt dem Minister recht Doch können die Kontroll-Ergebnisse mit einer Mängelquote von 85 Prozent überhaupt stimmen? "Ja", sagt die Gewerkschaft Verdi. "Die Arbeitsbedingungen sind zum Teil tatsächlich problematisch. Die Erkenntnisse aus NRW entsprechen auch den Erfahrungen, die unsere Mitglieder bei einschlägigen Unternehmen sammeln", beklagt Verdi-Mann Jan Jurczyk. Für ihn steht fest: "Es wird viel zu wenig kontrolliert." Ein Teil der Unternehmen versuche, sich mit systematischen Verstößen gegen Arbeitsund Tarifrecht, gegen Arbeitsschutzgesetz und die Straßenverkehrsordnung einen Kostenvorteil gegenüber gesetzestreuen Unternehmen zu verschaffen. Die Gewerkschaft begrüßt deshalb die Pläne aus Nordrhein-Westfalen, den Auftraggeber stärker in die Pflicht zu nehmen. Deutsche Post DHL hält dagegen: "Als Auftraggeber haben wir nicht das Recht, die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Vorschriften zu kontrollieren", sagt Pressesprecherin Dunja Kuhlmann. "Bei digitalen Aufzeichnungen - etwa durch einen Fahrtenschreiber - ist der Zugriff Dritter auf diese Daten schon aus technischen Gründen nicht möglich und auch vom Gesetzgeber, unter anderem aus Datenschutzgründen, nicht vorgesehen", argumentiert das Unternehmen. Ähnlich äußern sich andere größere Paketdienste, etwa Trans-o-flex. "Das Recht, die Einhaltung der entsprechenden Vorschriften zu kontrollieren, obliegt den zuständigen Behörden", sagt Sabine Kolaric, Leiterin der Unternehmenskommunikation. Der SPD-Minister lässt sich davon nicht beirren: "Die Einhaltung von Recht und Gesetz kann nicht an den Staat delegiert werden. Das müssen die Unternehmen schon selbst wahrnehmen." Für ihn ist es Aufgabe des Staates, Rahmen zu setzen. Aufgabe der Unternehmen sei es, Arbeitsbedingungen zu schaffen, die dazu beitragen, dass die Lenkund Ruhezeiten auch eingehalten werden. Verstöße sind "systembedingt" Ähnlich sieht das Dagmar Wäscher. Sie ist Vorsitzende des Bundesverbandes der Transportunternehmer, bei dem viele kleine Kurierunternehmer Mitglied sind. Für sie sind die Verstöße "systembedingt" und sie kritisiert deshalb die großen Player im Markt. "Die großen Paketdienste kennen die Regeln, aber handeln nach der Devise: geht uns nichts an - ist nicht unser Problem." Das Problem seien jedoch die Bedingungen, die die Großen ihren Subunternehmern vorgeben - und die geringen Vergütungen. Wäscher sucht die Schuld aber nicht nur bei anderen. Auch die Subunternehmen hätten die Pflicht, die Fahrer stärker zu kontrollieren. Im Notfall gehöre dazu auch die Androhung von Sanktionen, damit die Fahrer etwa die Tageskontrollblätter richtig ausfüllten. "Fahrer sind zum Teil uninformiert oder weigern sich beharrlich, Aufzeichnungen zu führen, weil es ihnen lästig ist", sagt die BVT-Chefin. Ebenfalls Unterstützung für die Pläne Schneiders signalisiert der Bundesverband der Kurier-Express-Postdienste (BdKEP), der als Verband die Subunternehmer vertritt. "Die Auftraggeber sollten eine Mitverantwortung für die Arbeitsbedingungen bei den Subunternehmern tragen und sich nicht komplett freistellen können", meint der Vorsitzende Andreas Schumann. Er fordert eine freiwillige, wirksame Selbstverpflichtung der Auftraggeber - mit entsprechender politischer Begleitung. "Hier darf es nicht um Feigenblätter gehen. Wenn nichts passiert, sollte die Politik tätig werden und eine Art Nachunternehmerhaftung wie beim Mindestlohn vorgeben", sagt Schumann. Minister Schneider lehnt eine freiwillige Lösung jedoch ab: Es gebe doch bei den großen Unternehmen bereits Selbstverpflichtungen, die zu nichts geführt hätten. Für ihn ist klar: "Ich bin immer für Eigenverpflichtung, aber wenn das zu nichts führt, müssen gesetzliche Regelungen her - also eine Verschärfung der Verordnung." BdKEP: Ausnahme für Postdienste Ein weiterer Aspekt, der etwa dem BdKEP im Zusammenhang mit den Kontrollen wichtig ist, ist das Thema Lenk- und Ruhezeiten. "Unternehmen, die Universaldienstleistungen im Postbereich erbringen, sind von der Aufzeichnungspflicht für Lenk- und Ruhezeiten ausgenommen. Diese Universaldienstleistung ist jedoch nur bis 20 Kilo definiert. Diese Grenze ist völlig praxisfern, in einem Pakettransporter sind Pakete unter und über 20 Kilo", bemängelt BdKEP-Chef Schumann. Er fordert deshalb: Weg mit der 20-Kilo-Regelung und eine Ausnahmeregelung für die Postdienste allgemein. Doch auch davon will der SPD-Minister nichts wissen ("Dagegen bin ich strikt") und setzt allein auf die Zuspitzung der geltenden Regeln. Für diese Verschärfung will er nun bei seinen Länderkollegen werben. Während FDP-Arbeitsminister Sven Morlok aus Sachsen mitteilen lässt, dass "keine Anpassungen geplant sind" und die Frage nach den Arbeitsbedingungen an die zuständige Aufsichtsbehörde weiterreicht, reagieren andere Politiker auf VR-Nachfrage sensibler auf die KEP-Kontrollen in NRW. So will sich das SPD-geführte Arbeitsministerium in Baden-Württemberg mit den Prüfergebnissen und Erkenntnissen der Arbeitsschutzkontrollen bei KEP-Diensten in Nordrhein-Westfalen befassen und dann "entsprechende Maßnahmen der Arbeitsschutzbehörden in Baden-Württemberg prüfen". Konkret heißt das wohl: KEP-Dienste in Baden-Württemberg müssen in den kommenden Monaten verstärkt mit Kontrollen der Arbeitsschutzbehörden rechnen. Und auch die von NRW angekündigte Initiative zur Änderung der Fahrpersonalverordnung will man in Stuttgart "inhaltlich prüfen". Unterstützung für den NRW-Minister kommt auch aus dem Bund. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit Ministerin Andrea Nahles (SPD) "beobachtet die Situation in der Branche Paketzustellung aufmerksam", so ein Sprecher. Das Ressort unterstütze Bemühungen wie in NRW, durch konsequente Kontrollen Missstände aufzudecken, zu sanktionieren und zu beseitigen. Die Diskussion um neue Regelungen für Paketdienste hat also gerade erst begonnen. KEP-Kontrollen in NRW Viel zu hohe MängelquoteInsgesamt wurden im Mai durch die NRW-Arbeitsschutzverwaltung 415 Fahrer, 131 Kurierdienste und 22 Paketverteilzentren kontrolliert. Die Mängelquote bei den Unternehmen lag bei rund 85 Prozent. In 60 Prozent der überprüften Kurierdienste gab es laut NRW-Arbeitsministerium "Hinweise auf systematische und gehäufte Verstöße". Dort, wo gravierende Verstöße festgestellt wurden, "müssen die Verantwortlichen auch mit Bußgeldern rechnen", sagte NRW-Minister Guntram Schneider der VerkehrsRundschau. tr Kommentar Mut zur Debatte! Was eine Kombination! Auf der einen Seite ein"erschütterter" SPD-Minister, der von "unmenschlichen" Arbeitsbedingungen spricht und der so gar kein Verständnis für die Praxis und die"schöne neue Shopping-Welt" im Netz zeigt. Auf der anderen Seite die großen Paketdienste und ihr Verband, die sich dem öffentlichen Diskurs und der Frage nach der Verantwortung mit Hinweis auf fehlende Infos vom Ministerium verweigern und lieber erst mal nichts sagen. Dabei gibt es eine Menge zu diskutieren. Wo liegt der Fehler im System? Wäre eine Selbstverpflichtung nicht einer gesetzlichen Regelung vorzuziehen? Welche Rolle spielt der Verbraucher?Die Politik wird reagieren, das sollte allen klar sein. Die Negativ-Schlagzeilen der letzten Jahre und der gerade erst begonnene E-Commerce-Boom zeigen: Das Problem wird durch Aussitzen nicht gelöst. Die Fakten müssen ohne Emotionen und mit Sachverstand erörtert werden - die Paketdienste sollten mit ihrer Expertise und ihrem Praxiswissen die öffentliche Debatte suchen. Nur dann gibt es eine praxisnahe und nachhaltige Lösung der Probleme.Kontakt: tobias.rauser@springer.com Tobias Rauser Chef vom Dienst

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