Hamburg. Der Marktstand, eine Hütte, liegt direkt an der Durchgangsstraße von Mogadischu nach Afgooye, von der somalischen Hauptstadt aus gesehen auf der linken Seite. In den Mittagsstunden des 28. März 2010 sitzen zwei Männer vor dem Teestand des Marktes, als vor ihnen ein dunkler Geländewagen hält. Ein Mann steigt aus, er wird freundlich begrüßt, doch schon bald entwickelt sich ein Streit zwischen ihm und einem 26-Jährigen. Er solle ihm Geld zurückzahlen, forderte der Mann. Dann steigen weitere, mit Maschinengewehren bewaffnete Männer aus dem Geländewagen, es fallen Drohungen, bis der 26-Jährige schließlich zu ihnen ins Auto steigt und die Männer gemeinsam davonbrausen.
Ein halbes Jahr später findet sich der junge Mann auf der Anklagebank des Hamburger Landgerichts wieder. Hier wird er die Geschichte seiner angeblichen Verschleppung erzählen. Mit ihm müssen sich neun weitere mutmaßliche somalische Piraten in der Hansestadt verantworten. Gemeinsam sollen sie im April vergangenen Jahres den Hamburger Frachter "Taipan" mit Maschinengewehren und Panzerfäusten überfallen haben. Die Besatzung des Schiffes konnte sich noch in einen Sicherheitsraum retten, verletzt wurde niemand. Stunden später stürmte ein niederländisches Einsatzkommando die "Taipan", überwältigte die Somalier und setzte sie fest. Die Hamburger Staatsanwaltschaft wirft den Männern erpresserischen Menschenraub und Gefährdung des Seeverkehrs vor.
Seit einem Jahr - Auftakt des Prozesses war am 22. November 2010 - sitzen die Somalier nun mehrmals die Woche auf den Stühlen im Sitzungssaal 337, gesäumt von jeweils zwei Verteidigern. Am Anfang war der spektakuläre Prozess noch von großem medialen Interesse verfolgt worden, ein Urteil sollte binnen eines halben Jahres fallen - eine Fehlkalkulation. Denn wenn auch die Kammer seit Monaten mit ihrem Beweisprogramm durch ist, kommen vonseiten der 20 Verteidiger immer neue Anträge, mit teils kaum praktikablen Anliegen.
So forderten die Anwälte des mittlerweile 27-jährigen Angeklagten, den Teeverkäufer, der am Mittag des 28. März 2010 neben dem Angeklagten vor dem Stand gesessen haben soll, aus Somalia in den hanseatischen Gerichtssaal zu holen. Er sollte die Aussage vom Mann aus dem Geländewagen und der Verschleppung stützen. Auch der Chef einer Piratenbande mit Sitz in der somalischen Stadt Haradhere sollte nach Willen der Verteidigung vom Hamburger Gericht vernommen werden. Der Mann soll Drahtzieher des Überfalls auf den Hamburger Frachter gewesen sein. Das Gericht lehnte ab.
Er wäre nicht der einzige aufsehenerregende Zeuge gewesen: Keine geringeren Persönlichkeiten als der deutsche Außenminister Guido Westerwelle (FDP), der ehemalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) und Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sollten zur Auslieferung der Angeklagten an die Bundesrepublik aussagen. Auch diesen Antrag der Anwälte lehnte das Gericht ab. Genauso wie den Vorschlag, einen Angeklagten während seiner Aussage einer Kernspintomographie auszusetzen - was wie ein Lügendetektor angewendet werden und so die Richtigkeit der Aussage des Angeklagten belegen sollte.
Nach zwölf Monaten oft zäher Verhandlung hat ein Großteil der Angeklagten mittlerweile eine Erklärung abgegeben. Allen liegt die Argumentation zugrunde, dass sie keineswegs freiwillig bis unter die Zähne bewaffnet die "Taipan" enterten und dort um sich schossen.
Finanzielle Not, Kidnapping, Erpressung - auch psychische Traumata, ausgelöst durch die anhaltenden Bürgerkriegswirren in Somalia, werden als Begründung herangezogen.
Ob das Gericht die Erklärungen für glaubhaft hält oder nicht, wird wohl erst beim Urteilsspruch zu erfahren sein. Der ist nun, nach viermaligem Verschieben, auf Ende Januar 2012 terminiert. Beobachter gehen aber von einem früheren Prozessende aus, vielleicht könnte die Entscheidung noch vor Weihnachten fallen. Wenn sich die Verteidiger nicht noch etwas einfallen lassen. (dpa)