Paris. Das franko-italienische Mammutprojekt zum Bau einer Hochgeschwindigkeits-Schienenverbindung zwischen Lyon und Turin mit veranschlagten Kosten in Höhe von zuletzt 26 Milliarden Euro ist beim Pariser Rechnungshof auf Kritik gestoßen. Er bemängelt, dass sich die Schätzungen für den finanziellen Aufwand von 12 Milliarden Euro vor 10 Jahren inzwischen auf mehr als das Doppelte erhöht haben. Besonders kritisiert wird von den Prüfern die zwischen Rom und Paris getroffene Vereinbarung zum Bau eines mehr als 50 Kilometer langen Eisenbahntunnels als Herzstück der geplanten Verbindung. Sie verweisen auf andere Länder wie Slowenien oder Ungarn, die aus finanziellen Gründen auf derlei Vorhaben verzichtet und die fraglichen bestehenden Linien lieber Zug um Zug modernisiert hätten.
Es scheine, dass „weniger kostspielige technische Alternativlösungen von vornherein ausgeschlossen wurden“, heißt es in der im Internet veröffentlichten Stellungnahme des Rechnungshofs weiter. Im Übrigen sei die Begründung für das Großprojekt schon früh von der Pariser Straßenbaubehörde in Frage gestellt worden. Diese habe die Wachstumsprognosen für den Güterverkehr zwischen Italien und Frankreich schon 1993 für überzogen gehalten, und das habe sich in den letzten Jahren voll bestätigt, denn „der Gütertransport ist in den französischen Alpen ist seit 1999 zurückgegangen“.
Bisher ist vorgesehen, das Bahnprojekt Ende dieses Jahres faktisch in Angriff zu nehmen und die neue Linie 2025 in Betrieb zu nehmen. Die Grundannahme laute, schreibt der Rechnungshof, dass bis dahin die bestehenden Transport-Infrastrukturen saturiert seien. Diverse Studien hätten jedoch gezeigt, dass damit erst 2035 zu rechnen sein werde. Die Behörde schließt aus alledem, dass das Mammutprojekt sozio-ökonomisch gesehen nur von „schwacher Rentabilität“ sein würde und seine Finanzierung völlig offen sei. Sie empfiehlt deshalb die „Verbesserung der bestehenden Linie“ zwischen dem Rhônetal und Oberitalien.
Die französische Regierung hat darauf nach Presseberichten mit einer hochtechnischen Stellungnahme reagiert. Erst an deren Schluss verweist sie darauf, dass es hier um internationale Abmachungen gehe, die erst kürzlich noch einmal bekräftigt worden seien. Die Regierung Monti in Rom hat in der Tat über 3 Jahre gestreckt 790 Millionen Euro für Vorstudien in den Haushaltsentwurf für 2013 eingesetzt, über den das Parlament noch abstimmen muss. Paris hat jedoch andererseits schon bald nach dem Regierungswechsel seinen Willen durchblicken lassen, die unter Nicolas Sarkozy gefassten verkehrspolitischen Beschlüsse wegen der seither radikal veränderten Finanzsituation einer Totalrevision zu unterziehen. Auf dem für den 3. Dezember vorgesehenen franko-italienischen Gipfel in Lyon dürfte das Thema Lyon-Turin im Mittelpunkt der Beratungen stehen. (jb)