Paris. Auf unbestimmte Zeit verschoben oder uneingestanden schon ganz aufgegeben? Nach der überraschenden Entscheidung der französischen Regierung, das Ökosteuerprojekt vorerst zu suspendieren, um die Gemüter in der Krisenregion Bretagne zu beruhigen, schließen viele Beobachter nicht aus, dass das Vorhaben zumindest in seiner aktuellen Vertragsform stillschweigend ad acta gelegt werden wird. Wie am Rande der jüngsten Protestaktionen verlautete, wolle Wirtschaftsminister Pierre Moscovici mit dem bisherigen Systembetreiber Ecomouv‘ die Verträge neu verhandeln mit dem Ziel, die bislang vorgesehene Erträge aus der Steuer zu schmälern. Sie würden sich pro Jahr auf 250 Millionen Euro belaufen. Seitdem diese Zahl bekannt geworden ist, gerät das Projekt zunehmend auch in die Kritik von Haushaltsexperten, von denen einige nunmehr gleich den Sinn des ganzen Unternehmens in Frage stellen.
Über eine Milliarde Euro Einnahmen geplant
Ecomouv‘ ist eine privatwirtschaftlich konzipierte Gemeinschaftsfirma, die zu 70 Prozent von der italienischen Autostrade per l‘Italia kontrolliert wird. Ihre französischen Partner heissen Thales (Rüstungs- und Raumfahrtelektronik), SNCF (Staatsbahn), SFR (Mobilfunkanbieter) und Steria (Prozess-, IT-Technik und Outsourcing). Der mit der Regierung in Paris noch unter Nicolas Sarkozy ausgehandelte und unterschriebene Vertrag sieht eine Laufzeit von 13 Jahren und 3 Monaten vor: 21 Monate für die Installation des Systems und elfeinhalb Jahre für den Betrieb. Für die nötigen Investitionen wurden in dem Papier 650 Millionen Euro eingesetzt, der Gesamtgewinn für Ecomouv‘ auf 2,8 Milliarden Euro geschätzt. Einbringen sollte die Ökosteur jedes Jahr 1,15 Milliarden Euro, wovon 750 Millionen in die Staatskasse flössen und 150 Millionen den beteiligten Kommunen zukämen. Auf Investitions- und Betriebskosten entfielen 27 Prozent der erwarteten Einnahmen.
Teurer Verzicht
Die Zeitung La Tribune hat dies mit dem verglichen, was der Staat jährlich durch die landesweit installierten Radarfallen einnimmt: 613 Millionen Euro. Aufstellung und Wartung der „Starenkästen“ kosten 210 Millionen Euro. Wenn Paris den Start für das System weiter suspendiert, ohne dieses selbst letztlich aufzugeben, würden dem Staat jeden Monat ab Januar kommenden Jahres geschätzte 65 Millionen Euro entgehen. Hinzu kämen 18 Millionen an „Mietzahlungen“ für Ecomouv‘. Würde das mehr und mehr umstrittene Projekt völlig fallengelassen und der Staat somit vertragsbrüchig werden, kämen auf diesen 800 Millionen Euro an Entschädigungsforderungen zu.
Inzwischen haben die Sozialisten im Senat, der Zweiten Kammer des Landes, einem Untersuchungsausschuss zugestimmt. Er soll die mit Ecomouv‘ ausgehandelten vertraglichen Konditionen unter die Lupe nehmen. In Bedrängnis gerät damit auch einer der beiden Politiker, die das Ganze seinerzeit unterzeichnet haben. Es handelt sich um Nathalie Kosciusko-Morizet, die damals dem Umweltministerium vorstand. Sie bewirbt sich heute um die Nachfolge des sozialistischen Pariser Bürgermeisters Bertrand Delanoé . Die Wahl findet Ende März nächsten Jahres statt.
Proteste halten an
Unterdessen geht der revoltenähnliche Protest gegen die Ökosteuer in der Bretagne weiter, - auch, nachdem Paris 15 Millionen Euro an Soforthilfen für die in Bedrängnis geratene dortige Lebensmittelindustrie versprochen und im Rahmen eines Regionalprogramms „Bretagne“ einen Milliardenbetrag für die Verbesserung der Verkehrs-Infrastruktur in Aussicht gestellt hat. Zur Erinnerung: Von der vorgesehenen Ökosteuer hätte die Randregion ohnehin schon nur die Hälfte entrichten sollen und die Hauptschlagader der Bretagne, die Route Nationale 164, ist nach dem bisherigen gesetzlich verankerten Konzept davon ganz ausgenommen. Die Staatskassen sind leer, Neuverschuldungen in Milliardenhöhe kann sich Paris kaum leisten, gerade erst hat die Agentur Standard & Poor’s das Land von 3 A auf nur noch 2 A herabgestuft, aber die Bewegung der „roten Pudelmützen“ am westlichsten Rand Frankreichs scheint dies nicht anzufechten. Sie streitet weiterhin für die Beerdigung der Ökosteuer und will alles daran setzen, auch noch die letzten derzeit noch installierten Kontrollbrücken auf bretonischem Boden zu Fall zu bringen und zu zerstören. (jb)