Neue Wege finden

Die Botschaft von Hubertus Kobernuß ist eindeutig: "Wenn wir den Kraftfahrerberuf jetzt nicht attraktiver gestalten, stehen wir künftig vor immer leereren Regalen und haben auch keinen Sprit mehr, weil uns die Fahrer für die Tankstellenbelieferung fehlen", warnte der Inhaber der Jürgen Kobernuss Spedition in Uelzen auf einer Podiumsdiskussion der VerkehrsRundschau in München zum Thema "Fahrermangel: Fake News oder Konjunkturbremse?" "Auch das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz, mit dem nun auch die Fahrerakquise in Drittlandstaaten zulässig ist, wird das Fahrerproblem nicht lösen", ist sich Kobernuß sicher. Sorgen macht ihm die Alterspyramide der Fahrer, denn schon heute seien mehr als 30 Prozent der Fahrer älter als 55 Jahre. "Die krankheitsbedingte Ausfallquote von älteren Menschen ist nun einmal höher als bei 25- oder 35-Jährigen", erklärt er und verweist auf seinen eigenen Betrieb. "Wir haben in diesem Jahr eine sehr hohe Krankheitsquote - die Mitarbeiter haben Probleme im Bewegungsapparat und zum Teil auch psychische durch die langjährige Belastung." Bitter sei auch, dass sich immer weniger jüngere Leute für den Fahrerberuf begeistern lassen - es rückt also nur wenig Nachwuchs nach. Doch der eigentliche Fahrer-Engpass steht noch bevor. Das lassen zumindest die Zahlen befürchten, die Dirk Lohre, Professor für Verkehrsbetriebswirtschaft und Logistik der Hochschule Heilbronn, präsentiert. Demnach sind aktuell über 30 Prozent der Berufskraftfahrer älter als 55 Jahre; und arbeiten laut der Berufsgenossenschaft in der Regel bis zum 60. Lebensjahr. "30 Prozent der Berufskraftfahrer, insgesamt 165.000, werden folglich in den nächsten fünf Jahren in den Ruhestand gehen", rechnete er vor. "Jedes Jahr sind das 33.000 Fahrer." Gleichzeitig steigen laut dem Professor jedes Jahr nur etwa 15.000 neu ein - davon 12.000 bis 13.000 durch die beschleunigte Grundqualifikation, 1800 durch die reguläre Berufskraftfahrerausbildung und sehr wenige durch die Grundqualifikation. Mangelnde Wertschätzung der Fahrer "Wir haben also eine jährliche Lücke von 18.000 Berufskraftfahrern in Deutschland", mahnt Lohre. Ohne ausländische Fahrer wäre die Lücke noch größer, und ihr Anteil steigt. Kamen laut dem Bundesamt für Güterverkehr im Jahr 2012 zum Beispiel 7,7 Prozent der Fahrer aus dem Ausland; waren es in 2018 schon 18,1 Prozent. Gleichzeitig wird der Fahrerbedarf wohl zunehmen. So soll die prognostizierte Güterverkehrsleistung beim Verkehrsträger Straße von 2019 bis zum Jahr 2022 um 8,6 Prozent steigen, also jedes Jahr um weitere 2,8 Prozent im Schnitt, zitiert Lohre Zahlen der Mittelfristprognose 2018/19 von Intraplan. "Im Moment bleibt bei uns mangels Kraftfahrern aber keine Lkw stehen", sagte Jörg Mosolf, CEO des Automobillogistikers Mosolf in Kirchheim/Teck, der über 1000 eigene Lkw im Einsatz hat. Vor neun, zwölf Monaten sei genau das indes der Fall gewesen. "Da standen bei uns Lkw still - auch durch Krankheits- und andere Ausfallquoten", sagte er. "Viele dieser Probleme haben wir aber selbst verursacht", räumte Mosolf selbstkritisch ein. "Wir haben uns alle zu wenig um unsere Fahrer gekümmert." Diese mangelnde Wertschätzung der Fahrer sei einer der Gründe für den Fahrermangel. "Da müssen wir uns alle fragen, ob wir diese genügend im Fokus hatten." Als eine weitere Ursache für den Fahrermangel nennt Mosolf die katastrophale Parkplatzsituation an den Autobahnen. Die Lehre, die er daraus zieht: "Wir rüsten gerade alle unsere eigenen 35 Standorte mit Parkplätzen und Kantinen aus. Außerdem sprechen wir mit allen Auftraggebern und Lieferanten, um für unsere Kraftfahrer eine akzeptable Situation an den Be- und Entladerampen zu schaffen." Ein wichtiger Hebel, um den Fahrerberuf attraktiver zu machen, ist für ihn auch, dass die Unternehmen generell familienfreundlicher agieren und dies zum Beispiel in der Transportplanung berücksichtigen. "Die Werte, die die Unternehmen auf ihren Powerpoint-Folien immer darstellen, müssen sie auch umsetzen", mahnt Mosolf an. "Dann bekommen wir auch den Fahrermangel in den Griff." Fahrer verdienen unterdurchschnittlich Tatsächlich aber ist es so, dass Kraftfahrer in Deutschland nach wie vor unterdurchschnittlich viel verdienen. Das zeigen Auswertungen von Lohre. Demnach verdient ein sozialversicherungspflichtiger Arbeitnehmer in Deutschland im Schnitt 3200 Euro brutto monatlich. "An dieses monatliche Entgelt kommen aber nur wenige deutsche Berufskraftfahrer heran", weiß er. Noch deutlicher seien die Unterschiede in puncto Arbeitsbedingungen und Einsatzzeiten. Während 16 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer im Schnitt mehr als 40 Stunden in der Woche arbeiten, sind es laut Lohre mit 33 Prozent bei den Berufskraftfahrern mehr als doppelt so viele. Er habe den Eindruck, dass die Zahl noch darüberliege. Trotzdem würden sie nicht die Anerkennung erhalten, die sie verdienen. "Jeder weiß es. Trotzdem ändert sich die Situation nur langsam", sagte er. "Fahrer werden nach wie vor in der Regel selten als wichtiges Glied in der Logistikkette wahrgenommen. Das Image des Lkw-Fahrers bleibt schlecht." Das neue Zauberwort Kooperation Können Transport- und Logistikbetriebe mangels Fahrern trotzdem weiterhin ihre Service-Level wie just-in-time oder den 24-Stunden-Service halten? Und wenn nicht, wie gefährlich ist dies für bewährte Logistikkonzepte in der Automobilindustrie und Konsumgüterbranche? Steht dadurch gar die Versorgungssicherheit von uns allen auf dem Spiel? Und wenn ja, an welchen Hebeln setzen Firmen an, um trotz knapper Fahrerressourcen diese heute und morgen sicherzustellen? Auch darüber diskutierten die Experten und stellten interessante neue Ansätze vor. Das Schlüsselwort lautet hier ganz klar Kooperation. Das zeigten die Ausführungen von Jens Tomas Skuderis, Bereichsleiter Transport bei Kaufland in Neckarsulm. Er sagte: "Alle, die keine eigenen Fuhrpark-Kapazitäten haben, müssen ein Stück mehr mit anderen kooperieren - Stichwort Kollaboration." Nur dadurch "lässt sich der Fahrermangel wirklich lösen", sagte er. Daher ist Kaufland bereits im Jahr 2018 mit dem Lieferanten Eckes-Granini eine Kooperation eingegangen. Beide Firmen teilen sich hier quasi Spediteur und Fahrten: Frachtraum- und Fahrer-Sharing. "In den Jahresgesprächen mit unseren Speditionsdienstleistern haben diese immer wieder betont, dass sie nicht mehr Fahrerkapazitäten hätten, um weitere Mengen zu bewältigen", erklärte Skuderis in München. Und da Kaufland keinen eigenen Fuhrpark unterhalte und auch nicht künftig aufbauen wolle, kam es zur Kooperation zwischen Kaufland und Eckes-Granini. "Ziel unserer Kooperation ist es, die Transportprozesse so zu gestalten, dass wir mit genauso vielen Fahrern mehr Volumen abwickeln können", sagte Skuderis. Um das zu erreichen, haben die Unternehmen die Sendungsdaten ihrer Quelle-Senke-Verkehre übereinandergelegt und festgestellt, dass sie erhebliche Synergien haben. Bislang hatte dennoch jeder seinen Transport für sich organisiert. "Durch die Kooperation bündeln wir diese Transporte in einem klassischen Rundlauf. Wir teilen uns quasi einen Spediteur und sind beide als Auftraggeber von ihm aktiv - jeder zu seinen Konditionen", erklärte Skuderis. Jeder profitiere: der Spediteur, Kaufland, Eckes-Granini, vor allem aber die Umwelt dank weniger Leerkilometer. Wartezeiten an Rampen verkürzen Im nächsten Schritt wolle Kaufland, kündigte der Logistik-Chef an, in der Distributionslogistik ein neues Trailerkonzept aufsetzen, also Trailer bestimmter Speditionspartner vorladen, um so die Wartezeiten ihrer Fahrer an den Rampen weiter zu reduzieren. "Wenn man von einer Stunde Beladung am Verteilzentrum und einer Stunde Entladung an der Filiale ausgeht, können wir durch Vorladen und Umsatteln rund 60 Minuten pro Tour einsparen." Mit dem Vorteil: "Im Nahbereich können wir so mindestens drei anstelle von zwei Touren fahren." Kaufland müsse dafür nur wissen, wann welcher Spediteur auf dem Hof ist und wie viel Lenkzeit der Fahrer noch hat. Sprich: Alle Beteiligten, auch kleinere Spediteure unter 50 Lkw, müssten in bestimmte Telematik- und TMS-Lösungen investieren. "Dies hätte aber für sie den Vorteil, dass sie ihre Lkw und Fahrer effizienter managen könnten. "Und wenn wir alle diese Maßnahmen erfolgreich umsetzen", ist sich Skuderis sicher, "werden Endverbraucher auch in Zukunft alle gewünschten Produkte in ausreichender Menge bei Kaufland finden." Guter Service kostet Geld Dass aufgrund des Fahrermangels Endverbraucher vor leeren Regal stehen werden oder in der Automobilindustrie gar Bänder stillstehen, glaubt auch Transport- und Logistikexperte Lohre nicht. "Ein guter Service kostet aber Geld", sagte er. Dies sei bislang gerne von Verladern und Spediteuren vernachlässigt worden. "Definitiv haben viele auch die Bedeutung des Fahrers unterschätzt und an diesen versucht, alles weiterzugeben - ob Arbeitszeiten, Wartezeiten oder auch Vergütung." Und erst jetzt erkenne man, dass es ohne den Fahrer nicht geht und Service Geld kostet. Hinzu kommt laut Lohre, dass das Stückgutgeschäft sehr volatil ist - mit bis zu 20 Prozent Schwankungsbreiten täglich. Hier lassen sich die Kapazitäten, auch die der Fahrer, sehr schwierig planen. Neu sei auch dies nicht, aber neu sei, dass sich in Hoch-Zeiten Transportkapazitäten wegen des Fahrermangels eben nicht mehr so schnell dazukaufen lassen wie früher. Um lieferfähig bleiben zu können, helfe also nur: Planbarkeit, Regelmäßigkeit und Big Data. Michael Hofmann, der bei Daimler in Böblingen die Transport- und Netzwerkplanung Europa verantwortet, sieht das ähnlich. "Tendenziell haben wir den Fahrermangel da, wo Dinge nicht planbar sind, zum Beispiel in der letzten Meile", sagt er. "Optimierung ist aber mittels Big Data und Predictive Analytics möglich und nötig", betonte Hofmann. Aufgrund des Fahrermangels können Dienstleister im Allgemeinen nicht mehr die Flexibilität bieten wie noch vor zehn Jahren. Gleichzeitig stellte Hofmann klar: "Wir zahlen den Preis, den Logistik wert ist." Neben Kosten seien Bestand, Flächen und Handlingstufen relevante Größen. Ein 24-Stunden-Zustellservice sei für ihn nicht immer die betriebswirtschaftlich sinnvollste Lösung. "Lieber bezahle ich einen verlässlichen 48-Stunden-Zustellservice, wenn dieser weniger Bestand und Flächenverbrauch am Band bedeutet." Abgesehen davon setzt der Automobillogistiker auf eine stärkere Digitalisierung der Prozesse, um in der Supply-Chain Dinge noch planbarer zu machen. Noch sei es so, dass Zulieferer und Logistikdienstleister in der Teileversorgung unabhängig agieren. Tritt ein Engpass auf, erkenne dies ein OEM recht spät. Um Engpässe zu vermeiden, plane man oft Sicherheitsreserven ein. Hier fordert Hofmann einen Paradigmenwechsel in der Inboundlogistik, der auch dem Fahrermangel vorzubeugen helfen könne: "Wir müssen weg von einem Push- und hin zu einem Pull-Verfahren", sagte Hofmann. Planbarkeit und Big Data "Wir müssen als OEM der Steuerer der Prozesse sein. Nicht weil wir das viel besser können, sondern weil es die einzige Möglichkeit ist, Planbarkeit und Transparenz in die Prozesse zu bekommen", sagte Hofmann weiter. "Nur wenn wir wissen, wo sich der Warenstrom bewegt, können wir frühzeitig erkennen, wann und wo ein Logistikpartner in einen Engpass läuft, und können entsprechend agieren." Die dafür nötigen IT-Voraussetzungen für Transport- und Speditionsbetriebe müssen geschaffen werden. "Wir müssen lernen, uns auf Neues einzustellen. Und das geht nur gemeinschaftlich", betonte Hofmann. "Deshalb spreche ich bewusst nicht von Dienstleistern, sondern von Logistikpartnern. Wir müssen unsere Logistikpartner noch stärker in unsere Konzepte mit einbeziehen." Die größten Hoffnungen liegen also auf der Digitalisierung. "Alleingänge bringen hier hingegen nichts", betonte auch Automobillogistiker Mosolf. "Insellösungen haben keine Zukunft." Stattdessen müssten Handel, Industrie und Logistik gemeinsame Standards schaffen. Jeder Transport- und Speditionsdienstleister sollte also mit seinem Auftraggeber klären, wohin dieser mit der Digitalisierung wolle und was er dafür von seinem Dienstleister benötige. "Es wäre ein Traum, wenn wir durch solche Kollaborationsprojekte und ein solches Zusammenspiel von Industrie und Handel tatsächlich planbarere Prozesse in der Logistik hinbekommen", fasste Kobernuß zusammen. "Wir könnten dadurch unsere bisherigen Transportstrecken verkürzen. Und jeder Meter, den wir verkürzen, steigert die Effizienz - in der Umwelt, aber natürlich auch bei den Kosten", sagte er. "Vor allem würde dies mehr Fahrer motivieren, bei uns einzusteigen, auch weil das Thema Work-Life-Balance mit planbareren Prozessen leichter umzusetzen ist", zählte er die Vorteile einer stärkeren Kollaboration zwischen Industrie, Handel und Logistik auf - auch und gerade in Zeiten des Fahrer- und Laderaummangels. Dann habe auch die Generation Z Freude am Fahrerberuf. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Lkw-Fahrer www.verkehrsrundschau.de/dossiers In Kürze Mittlerweile fehlen zwischen 45.000 und 60.000 Kraftfahrer, schätzen der Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV) und der Bundesverband Güterverkehr Logistik und Entsorgung (BGL). Lösungsansätze sind neben besseren Arbeitsbedingungen Kollaborationen und die Digitalisierung. Jens Tomas Skuderis Skuderis ist Bereichsleiter Transport der Lebensmittel-Einzelhandelskette Kaufland in Neckarsulm. Derzeit unterhält das Unternehmen über 1270 Märkte, davon rund 660 in Deutschland. Kaufland betreibt in Deutschland sieben Logistikzentren mit 2800 Mitarbeitern.