Frankfurt/Main. Die Anflüge der Jets auf die neue Landebahn am Frankfurter Flughafen haben die Diskussion um den Fluglärm im Rhein-Main-Gebiet neu angefacht. Vielerorts regt sich unter dem umgestrickten Lärmteppich neuer Protest, Bürgerinitiativen wollen wie beim Bahnprojekt Stuttgart 21 die längst gefällte politische Entscheidung für den Ausbau aushebeln. Die Betreibergesellschaft Fraport versucht, mit Geld und technischen Kniffen die Situation zu befrieden. Doch die Gegner haben weitreichende Ziele.
„60 Dezibel zu lesen und 60 Dezibel zu hören ist ein großer Unterschied", sagt ein Unternehmensberater, der in der Neuwiesenstraße in Frankfurt-Niederrad gerade erst ein Haus für seine Familie gekauft hat. Im Süden Frankfurts hat man schon immer die Flieger gehört, doch mit der zusätzlichen Landebahn ist eine neue Qualität erreicht, die mehrere hundert meist gut situierte Bürger zur Gründung einer neuen Bürgerinitiative getrieben hat. Wegen der Nähe zum Fußballstadion lag der Name „Eintracht gegen Fluglärm" nahe. Den Anschluss zu den schon länger aktiven Ausbaugegnern hat man schnell gefunden.
„Wir wollen die Politik zwingen, sich klarer zur Fluglärmproblematik zu positionieren", sagt Wortführer Benedikt Schilp. Als Ziel gibt er die Schließung der Landebahn aus, das bereits im Vermittlungsverfahren (Mediation) ausgehandelte Nachtflugverbot zwischen 23.00 und 05.00 Uhr reicht den Leuten nicht aus, zumal es längst über die Planfeststellung ausgehebelt worden sei. „Wir sind bei der Bahn lange noch nicht so weit wie bei Stuttgart 21, denn dort gibt es eine gültige Planfeststellung."
Tatsächlich steht die letzte höchstrichterliche Entscheidung zum Betrieb der neuen Landebahn noch aus. Im März will das Bundesverwaltungsgericht über die 17 Nachtflüge beraten, welche die CDU-geführte Landesregierung dem von ihr kontrollierten Betreiber Fraport und vor allem dem Hauptkunden Lufthansa zugestanden hat.
Vorläufig ist Deutschlands größter deutscher Flughafen nachts dicht, und auch die Zahl der Flüge hat sich trotz aller Lärmklagen noch nicht merklich erhöht. In den nächsten Wochen wird der sogenannte Eckwert für Flugbewegungen von 82 auf 90 pro Stunde angehoben, danach ist bis 2015 schnelles Wachstum angesagt. Im Endausbau sind 120 Starts und Landungen in der Stunde möglich.
In Flörsheim-Nord am anderen Kopf der neuen Landebahn denken schon manche daran, einfach wegzuziehen. Gerade noch 250 Meter Höhe haben die Jets dort in der Endphase ihres Anflugs auf die neue Landebahn, die am 21. Oktober von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) persönlich eingeweiht wurde. Seitdem donnern die Jets tagsüber im Minutentakt über die Dächer des Neubaugebiets, bei Hochdrucklagen mit leichtem Ostwind, wie es in den vergangenen Wochen so häufig war. In einer Kernzone macht die Fraport den Hausbesitzern bereits Angebote, ihre Immobilien aufzukaufen.
Der Initiative „Für Flörsheim" ist das nicht genug: „Die Häuser werden ja nicht eingerissen. Da ziehen neue, ärmere Menschen hin, die dann vom Fluglärm genauso krank werden wie die anderen", sagt Sprecher Hans Jakob Gall. Im Regionalverband Frankfurt sorgen sich die Verantwortlichen bereits um mögliche Slums in den Einflugschneisen.
Fraport-Chef Stefan Schulte kämpft mit Hingabe und viel Geld für die Entwicklungsmöglichkeiten seines Unternehmens und der deutschen Luftverkehrswirtschaft. Allein für den passiven Schallschutz stehen 200 Millionen Euro zu Verfügung, die auf 85.000 Haushalte verteilt werden sollen. Dazu kommt das Casa-Programm, mit dem Häuser angekauft oder die Eigentümer mit Ausgleichszahlungen abgefunden werden. Angesichts der Proteste an den neuen Flugrouten auch aus weit entfernten Kommunen soll eine Arbeitsgruppe die Luftraumplanung noch einmal überprüfen. Sie nimmt diesen Montag in Wiesbaden ihre Arbeit auf.
Dass im Gegenanflug noch ein wenig Höhe gewonnen wird, wie von Schulte versprochen, hilft den direkten Nachbarn des Flughafens allerdings wenig, und entsprechend rüsten sie zum Protest. Am Montagabend wollen hunderte Menschen in Flörsheim mit einem Lichterfest gegen die neue Bahn demonstrieren. Ein paar Meter weiter hat das Bündnis der Bürgerinitiativen zu Protesten in der Höhle des Löwen, dem Terminal 1 des größten deutschen Flughafens, aufgerufen. (dpa)
Karl-Heinz Ripperger