Nahles Pläne gegen Lohndumping

Der flächendeckende Mindestlohn von 8,50 Euro brutto pro Stunde kommt. Er gilt ab 1. Januar 2015 für alle über 18 Jahre. Das geht aus dem Referentenentwurf eines sogenannten Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie hervor, das Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) jetzt vorgelegt hat. Neben dem Erlass eines Mindestlohngesetzes sieht dieser Entwurf unter anderem Änderungen im Arbeitnehmer-Entsendegesetz vor. "Dass der Mindestlohn bald im Gesetzblatt steht, ist ein gemeinsamer Erfolg der SPD, der Gewerkschaften und auch der Union", sagte Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) nach seinem Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und CSU-Chef Horst Seehofer im März in Berlin. Der gesetzliche Mindestlohn sei auch gut für die Wirtschaft. "Denn die vielen anständigen Arbeitgeber werden endlich vom unfairen Wettbewerb durch Dumpinglöhne befreit", betonte der Bundeswirtschaftsminister. Übergangsphase für Tarifpartner Wie Union und SPD bereits im Koalitionsvertrag angedeutet hatten, sind Ausnahmen für einzelne Branchen oder Regionen nicht vorgesehen. Allerdings gibt es eine Übergangsregelung für Branchenmindestlöhne: Abweichende Regelungen repräsentativer Tarifvertragsparteien gehen gegenüber dem gesetzlichen Mindestlohn laut dem Referentenentwurf bis 31. Dezember 2016 vor. Das heißt, Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften können für ganze Wirtschaftsbereiche dieses Jahr noch niedrigere Lohnuntergrenzen beschließen, die in den darauffolgenden beiden Jahren Bestand haben. Voraussetzung dafür ist, dass sie einen bundesweit gültigen Tarifvertrag haben, der mit dem Arbeitnehmerentsendegesetz für allgemein verbindlich erklärt wird. Dieses Gesetz, das bisher auf ein Dutzend Branchen beschränkt ist, soll mit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns deshalb für alle Wirtschaftszweige geöffnet werden. Zudem will Nahles erreichen, dass künftig Tarifverträge leichter für allgemeinverbindlich erklärt werden können - also auch für jene Unternehmen gelten, die in keinem Arbeitgeberverband sind (siehe Kasten rechts). 2017 endet die Übergangsphase für Branchenmindestlöhne. Dann darf kein Arbeitnehmer weniger als 8,50 Euro in der Stunde bekommen. Beschäftigte, die nach Stücklohn bezahlt werden, sollen künftig auf den Mindestlohn umgerechnet werden. Unklar ist, ob auch Branchen, in denen es bisher nur regionale Tarifverträge gibt, eine Eingewöhnungszeit bekommen. Dazu gehört unter anderem das Speditions-, Transport- und Logistikgewerbe. Minderjährige sind außen vor Umstritten ist Nahles Plan, junge Leute bis 18 Jahre ohne abgeschlossene Berufsausbildung vom gesetzlichen Mindestlohn auszunehmen. Dies soll verhindern, dass sich die Betroffenen für Arbeit statt Ausbildung entscheiden. Für Langzeitarbeitslose, die mit einem Eingliederungszuschuss der Bundesagentur für Arbeit einen Job finden, ist eine Karenzzeit von einem halben Jahr ohne Mindestlohn vorgesehen. Anschließend sollen die Arbeitgeber auf Antrag einen Lohnkostenzuschuss erhalten. Bei maximal vierwöchigen Praktika zur Berufsvorbereitung oder im Rahmen einer Schul-, Ausbildungs- oder Studienordnung soll der Mindestlohn genau so wenig gelten wie für ehrenamtliche Tätigkeiten. Andere Praktikanten, die nach der Ausbildung oder dem Studium in einem Betrieb arbeiten, haben dagegen Anspruch auf 8,50 Euro. Über die weitere Anpassung des Mindestlohns soll in Zukunft eine Kommission aus je drei Gewerkschafts- und Arbeitgebervertretern sowie einem neutralen Vorsitzenden entscheiden. Sie soll sich dabei nach der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und der Lohn- und Tarifentwicklung in den vorausgegangenen zwei Jahren richten. In konjunkturell schwachen Zeiten kann die Kommission auch entscheiden, den Mindestlohn konstant zu lassen. Die erste Anpassung ist für 2018 geplant, danach soll die Kommission jährlich tagen. Zoll soll Einhaltung kontrollieren Deutlich über den Koalitionsvertrag hinaus geht die Haftung des Auftraggebers, die der Referentenentwurf für das Mindestlohngesetz vorsieht. Darin steht sinngemäß, dass Unternehmen, die Werk- oder Dienstverträge abschließen, unabhängig von eigenem Verschulden dafür haften, falls die beauftragten Geschäftspartner ihren Beschäftigten nicht 8,50 Euro pro Stunde zahlen. Wörtlich heißt es: "Ein Unternehmer, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen beauftragt, haftet für die Verpflichtungen dieses Unternehmers, eines Nachunternehmers oder eines von dem Unternehmer oder einem Nachunternehmer beauftragten Verleihers zur Zahlung des Mindestlohns an Arbeitnehmer wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat." Dies entspricht der Regelung im Arbeitnehmer-Entsendegesetz und soll verhindern, dass der Auftraggeber die Verantwortung über Schachtelvertrags-Konstruktionen an Subunternehmer abwälzt und so Lohndumping-Strukturen entstehen. Der Auftraggeber haftet übrigens nur für das Nettoentgelt. Auch für die Kontrolle und Durchsetzung des allgemeinen Mindestlohns werden weitestgehend die entsprechenden Vorschriften des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes übernommen: Die Behörden der Zollverwaltung sollen laut dem Referentenentwurf künftig kontrollieren, dass Arbeitgeber bundesweit und über alle Branchen hinweg tatsächlich 8,50 pro Stunde zahlen. In diesem Zusammenhang dürfen sie entsprechende Arbeitsverträge, Niederschriften und andere Geschäftsunterlagen einsehen. Damit die Prüfer nachvollziehen können, ob sich die Wirtschaft an den gesetzlichen Mindestlohn hält, müssen Arbeitgeber künftig bestimmte Vorgaben erfüllen: So ist ein Unternehmen mit Sitz im Ausland, das Arbeitnehmer innerhalb des Anwendungsbereichs des geplanten Mindestlohngesetzes beschäftigt, verpflichtet, vor Beginn jeder Werk- oder Dienstleistung eine schriftliche Anmeldung in deutscher Sprache bei der zuständigen Zollbehörde vorzulegen. Diese muss bestimmte Angaben enthalten. Zum Beispiel Name und Geburtsdatum des Beschäftigten, Beginn und voraussichtliche Dauer der Beschäftigung, Ort der Beschäftigung sowie Name und Anschrift des Verantwortlichen in Deutschland. Darüber hinaus sind Arbeitgeber einzelner Wirtschaftsbereiche angehalten, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit ihrer Beschäftigten aufzuzeichnen. Zu ihnen gehören auch das Speditions-, Transport- und damit verbundenem Logistikgewerbe. Die Aufzeichnungen müssen Unternehmen dieser Wirtschaftszweige mindestens zwei Jahre aufbewahren. Dasselbe gilt für einen Entleiher, dem ein Verleiher einen Arbeitnehmer oder mehrere Arbeitnehmer überlässt. Geringfügig Beschäftigte fallen ebenfalls unter die Vorgabe zum Erstellen von Dokumenten. Für die Kontrolle der Einhaltung des Mindestlohns müssen Arbeitgeber die erforderlichen Unterlagen im Inland in deutscher Sprache für die gesamte Dauer der tatsächlichen Beschäftigung der Arbeitnehmer, mindestens für die Dauer der gesamten Werk- oder Dienstleistung, insgesamt jedoch nicht länger als zwei Jahre bereithalten. Wer vorsätzlich oder fahrlässig gegen das geplante Mindestlohngesetz verstößt, begeht eine Ordnungswidrigkeit. Und diese ist mit einer Geldbuße von maximal 500.000 Euro verbunden. Bei Verstößen, unter anderem gegen die Anmeldepflicht oder die Dokumentationspflicht, droht künftig immerhin eine Geldbuße bis zu 30.000 Euro. Kontrollbehörden sind unterbesetzt Die Gewerkschaften befürchten einen weiteren Anstieg der Schwarzarbeit, wenn Anfang 2015 der gesetzliche Mindestlohn eingeführt wird, und verlangen mehr Personal für deren Bekämpfung. Die Zahl der bundesweit 6700 Schwarzarbeit-Kontrolleure beim Zoll müsse mindestens auf 10.000 erhöht werden, lautet die Forderung. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble lehnte dies kürzlich in Berlin bei der Vorlage der Zollstatistik für 2013 ab. Ein deutlicher Stellenaufbau sei illusorisch. Der Zoll habe auch in der Vergangenheit bei einer ähnlichen Zahl von Beschäftigten zusätzliche Aufgaben gut geschultert. Mit Einführung des Mindestlohns müsse man sehen, ob man Schwerpunkte anders setzen und "wie man das stellenmäßig unterlegen" müsse, sagte der CDU-Minister. Ob das geplante Mindestlohngesetz in der aktuellen Form überhaupt in Kraft tritt, ist derzeit ungewiss. Einerseits müssen sich Bundestag und Bundesrat noch damit befassen, was bedeuten könnte, dass der Referentenentwurf noch einmal geändert wird. Andererseits droht Ärger durch die Linke. Die Partei will gegen die beim gesetzlichen Mindestlohn geplante Altersgrenze von 18 Jahren klagen und notfalls bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. "Wir werden jede Altersgrenze vor Gericht bringen, egal ob 18, 21 oder 25", sagte der Parteivorsitzende Bernd Riexinger der "Neuen Osnabrücker Zeitung". "Altersgrenzen sind verfassungswidrig." Notfalls müsse das oberste deutsche Gericht entscheiden. Weitere Änderungen Bund will Branchen-Mindestlöhne erleichtern Neben dem flächendeckenden Mindestlohn will Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles mit dem geplanten Gesetzespaket auch die Branchenmindestlöhne vorantreiben. Dafür will sie den Geltungsbereich des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf alle Branchen ausweiten.Zudem sollen die Voraussetzungen sinken, auf deren Basis das Bundesarbeitsministerium einen Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklären kann. Dies geht auf einen gemeinsamen Antrag der Tarifparteien durch eine Rechtsverordnung zurück. Wird ein tariflicher Mindestlohn für allgemeinverbindlich erklärt, gilt er für die gesamte Branche, auch für nicht tarifgebundene Unternehmen. Er findet auch auf Arbeitsverhältnisse zwischen einem im Ausland ansässigen Unternehmen und seinen im Inland beschäftigten Mitarbeitern Anwendung.Bislang war eine Allgemeinverbindlicherklärung aber nur möglich, wenn die tarifgebundenen Arbeitgeber mindestens die Hälfte der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Arbeitnehmer beschäftigt haben. Aufgrund der immer weiter abnehmenden Tarifbindung in vielen Branchen soll dieses 50-Prozent -Quorum entfallen.Eine Allgemeinverbindlicherklärung soll künftig schon möglich sein, wenn ein "konkretes öffentliches Interesse" an einem allgemein verbindlichen Branchenmindestlohn besteht. Zum Beispiel, wenn die Aushöhlung der tariflichen Ordnung den Arbeitsfrieden gefährdet. ag Das sagen die Verbände zum Gesetzespaket Arbeitgeberpräsident fordert Nachbesserung beim EntwurfDie Arbeitgeber sehen im Mindestlohn-Gesetzentwurf einen Job-Killer und dringen auf Korrekturen. "Ich fordere die Bundesregierung auf, den Gesetzentwurf in entscheidenden Punkten zu ändern, um den Schaden auf dem Arbeitsmarkt zu begrenzen", erklärte Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer.Er habe kein Verständnis dafür, dass allein Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr vom gesetzlichen Mindestlohn ausgenommen werden sollen. Das Alter der Ausbildungsanfänger liege bei durchschnittlich 19,8 Jahren. Kramer forderte mindestens 21 Jahre als Altersgrenze. Es drohe ein Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit, denn nicht ausbildungsfähige junge Menschen könnten für 8,50 Euro kaum auf einen Arbeitsplatz hoffen.Der Chef der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) zeigte sich enttäuscht, dass die Sorgen und Vorschläge der Wirtschaft"keinen Niederschlag in dem Referentenentwurf gefunden haben". Für Langzeitarbeitslose bedeute der gesetzliche Mindestlohn"ein vielfach unüberwindbares Hindernis für den Einstieg in Arbeit". dpa/agBGL sieht Schwierigkeiten bei Überprüfung des MindestlohnsDer Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) geht davon aus, dass die konkrete Umsetzung des politisch Gewünschten nicht allzu einfach werden dürfte. Dasselbe gelte für die Kontrollierbarkeit. Karlheinz Schmidt, Geschäftsführendes Präsidialmitglied des BGL, formuliert die Vorstellungen des deutschen Transportlogistikgewerbes wie folgt: "Der BGL erwartet, dass auch das Transportlogistikgewerbe einbezogen wird. Der Gesetzgeber muss dafür Sorge tragen, dass bei innerdeutschen Fahrten und bei innerdeutschen Auftraggebern die deutschen Mindestlöhne durchgesetzt werden."Dies müsse auch für Vor- und Nachläufe im Kombinierten Verkehr und in den Seehäfen gelten, sagt Schmidt. "Was in Belgien bei einem Mindestlohn von 12,50 Euro gelungen ist - dort gibt es im Seehafen Antwerpen fast nur noch belgische Containertrucker - muss auch in Deutschland bei einem Mindestlohn von 8,50 Euro möglich sein." agASL bemängelt Haftungsklausel und fehlende DifferenzierungDer Arbeitgeberverband Spedition und Logistik (ASL) kritisiert die flächendeckende Einführung des Mindestlohns ohne Rücksicht auf regionale Unterschiede. Unternehmen in strukturschwachen Gegenden hätten es sehr schwer, 8,50 Euro pro Stunde zu zahlen, sagte ASL-Geschäftsführer Andreas Stommel.Zudem stört ihn die Haftungsklausel im Referentenentwurf. "Danach soll ein Auftraggeber künftig zunächst prüfen, ob sein Auftragnehmer sich an das Mindestlohngesetz hält", so Stommel. Aus seiner Sicht sei es Aufgabe der staatlichen Behörden, die Einhaltung des Mindestlohns zu überprüfen. Die Übertragung der Kontrollaufgaben auf die Wirtschaft sei genauso praxisfremd und unverhältnismäßig wie die Regelung, dass ein Auftraggeber haften soll, wenn Arbeitnehmer seines Subunternehmers weniger als 8,50 Euro pro Stunde erhalten. ag

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