Nachhaltig Gas geben

Sie ist 110 Meter lang, hat einen blauen Anstrich und soll in sechs Tanks Flüssiggase auf dem Rhein und seinen Nebenflüssen transportieren. Auf den ersten Blick unterscheidet die MS Sirocco von Chemgas, der niederländischen Tochter der Reederei Jaegers in Duisburg, wenig von herkömmlichen Gastransportschiffen. Das eigentliche Highlight ist im Innern verbaut: ein zweiter Kraftstofftank für verflüssigtes Erdgas (LNG) mit 88 Kubikmetern Fassungsvermögen. Bei einer Beimischung von höchstens zwei Prozent Diesel kann die MS Sirocco vollständig mit dem umweltfreundlichen Kraftstoff betrieben werden. Am 26. September wird das mit EU-Fördergeldern gebaute Schiff seine Taufe im Luxemburger Hafen Mertert erleben. Nur wenige Häfen mit LNG-Tankstelle Für Etienne Wesselman ist der Betrieb eines Flüssiggastankers mit Flüssiggas naheliegend. "Wir würden die MS Sirocco am liebsten ausschließlich mit diesem alternativen Treibstoff betreiben", sagt der Chemgas-Geschäftsführer. Weil aber nur in wenigen Häfen LNG-Betankungen möglich sind, kann die MS Sirocco keinesfalls auf Dieselantrieb verzichten. Trotzdem ist der "Dual Fuel"-Tanker nicht nur auf dem Rhein eine Innovation. In Europa fahren vergleichbare Binnenschiffe und Short-Sea-Schiffe nur in einigen norwegischen Fjorden. Auf dem Rhein gibt es das Demoschiff MTS Argonon, das aber 20 Prozent Diesel zum LNG beimischen muss. Die MS Sirocco kommt zum richtigen Zeitpunkt auf den Markt. Seit Monaten zweifeln Umweltschützer die Umweltfreundlichkeit der Binnenschifffahrt an. In Städten am Rhein haben der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND), der Naturschutzbund Deutschland e.V. (Nabu) und andere Organisationen mit mobilen Partikel-Zählgeräten Feinstaubbelastungen durch Binnenschiffe gemessen. Bei der Passage von Maschinen ohne Rußfilter wurden 15- bis 40-fach erhöhte Werte gemessen. Auf einer Demonstration in Berlin forderten die Umweltschützer die Bundesregierung auf, eine Rußfilterpflicht für Binnenschiffe einzuführen. Für jeden Autofahrer, der in eine Umweltzone einfahren will, sei ein solcher Filter längst vorgeschrieben. Der Bundesverband der Deutschen Binnenschifffahrt (BDB) warf den Naturschützern vor, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Für BDB-Präsident Georg Hötte können Schadstoffbelastungen, welche für Innenstädte relevant sind, nicht einfach auf andere Standorte übertragen werden. "Wir brauchen normierte Messmethoden für die Ermittlung von Luftschadstoffen", mahnt Hötte. Ansonsten räumt auch er Probleme mit Partikelfiltern ein, weil diese nicht nur "extrem teuer und störanfällig" seien, sondern auch für jedes Schiff einzeln angefertigt werden müssten. Kaum Serienprodukte vorhanden Hötte spricht ein grundsätzliches Problem an. Viele Schiffe sind über 40 Jahre alt und fahren mit Motoren, die zuletzt in den 90er-Jahren erneuert worden sind. Die Binnenschifffahrt kann also nicht behaupten, dass ihr Equipment dem neuesten technischen Stand entspricht. Allerdings fahren inklusive Schlepp- und Schubschiffen gerade mal rund 2600 Güterschiffe unter deutscher Flagge. Als Folge der niedrigen Fahrzeugzahlen gibt es für einfache Nachrüstungen kaum Serienprodukte. Andererseits muss die Umweltfreundlichkeit der Binnenschifffahrt auch an ihrer Transportleistung gemessen werden. Bei knapp zehn Prozent Anteil an allen Güterverkehrsleistungen steuert die Binnenschifffahrt mit 970.000 Tonnen CO2 im Jahr gerade mal 0,6 Prozent der verkehrsbedingten Emissionen bei. Dieses Argument lassen auch Umweltschützer gelten. "Bei Lärm- und CO2-Emissionen schneidet die Binnenschifffahrt prima ab", räumt BUND-Verkehrsexperte Werner Reh ein. "Bei Maßnahmen gegen Feinstaub, Stickoxide und anderen Schadstoffe droht sie hingegen den Anschluss an andere Verkehrsträger zu verlieren." Allerdings gibt Reh zu, dass zuverlässige Zahlen über den Anteil der Binnenschifffahrt an diesen Schadstoffen fehlen. Die vorhandenen Daten orientierten sich häufig an zehn bis 15 Jahre alten Luftreinhalteplänen und seien veraltet. Außerdem tanken die Binnenschiffer anstelle des alten Gasöls längst umweltfreundlichere Treibstoffe: Solche Veränderungen müssen berücksichtigt werden, moniert Frank Trosky von Planco Consulting in Essen. "Wo die Binnenschifffahrt ohne größere Vorlaufkosten auf umweltfreundliche Alternativen umsteigen konnte, hat sie dies längst getan." Wie auch immer, ein Schiff wie MS Sirocco sollte Umweltschützer überzeugen: Ein LNG-Antrieb kann den Ausstoß von CO2 um 15 Prozent, von Stickoxid um 20 Prozent und den weiterer Schadstoffe um bis zu 50 Prozent mindern. Für Investitionen in neue Schiffe oder in Nachrüstungen alter Maschinen fehlt vielen Reedern und Partikulierern allerdings trotz vorhandener Förderprogramme das Geld, weswegen aus der MS Sirocco ein ähnlicher Einzelgänger werden könnte wie aus der MS Deymann. Das im März 2013 in Betrieb genommene Tankschiff überzeugt mit einer Kraftstoff-Wasser-Emulsionstechnologie, welche Stickoxide um bis zu 30 Prozent und Ruße sogar um fast 100 Prozent vermindert. "Ansonsten steht und fällt der Erfolg von Schiffen wie MS Sirocco oder der MTS Argonon mit dem Ausbau der Infrastruktur", gibt Trosky zu bedenken. Auf dem Rhein und seinen Nebenflüssen können Binnenschiffe gegenwärtig nur in Rotterdam und Mannheim LNG tanken. Mit ihrem 88-Kubikmeter-Tank kann die MS Sirocco zu allen wichtigen Binnenhäfen entlang dieser Wasserstraßen fahren. Für Touren außerhalb der Rhein-Region muss sie auf Dieselantrieb wechseln. Hier gibt es zumindest in Mitteleuropa keine LNG-Tankstelle. Auch die EU hat das Problem erkannt und will bis spätestens 2025 ein Netz von wenigstens 139 LNG-Bunkerstationen in See- und Binnenhäfen aufbauen. EU-Kommission verschärft Abgasgrenzwerte Zu strikte Vorgaben könnten Motoren unbezahlbar machen Gespannt wartet die Branche derzeit auf die verschärften Abgasgrenzwerte, welche die neue EU-Kommission im Herbst 2014 vorstellen will. Spätestens im Jahr 2030 sollen die Emissionen der Binnenschifffahrt - unabhängig von den geleisteten Tonnenkilometern - gleichauf mit oder sogar unter denen des Straßengüterverkehrs liegen, so die ambitionierten Pläne. Für entsprechende Nachrüstungen hat die EU bereits im Herbst 2013 das Förderprogramm Naiades neu aufgelegt. Über Details der künftigen Grenzwerte berät die Kommission noch.Trotzdem fürchtet der BDB bereits, dass Brüssel übers Ziel hinausschießt und Grenzwerte erlässt, welche neue Motoren unerschwinglich machen."Die Kommission sollte sich an den amerikanischen Benchmarks orientieren", empfiehlt BDB-Geschäftsführer Jörg Rusche. Die Grenzwerte, die ab 2015 in den USA gelten, liegen ohnehin deutlich über den aktuellen europäischen Werten. Der BDB schließt sich den Empfehlungen des europäischen Herstellerverbands Euromot an, der Vorschläge für fünf Schadstoffe vorgelegt hat."Gerade in kleinen Märkten muss auf die Refinanzierbarkeit geachtet werden", mahnt Rusche. Im Kern geht es um einen Markt von europaweit höchstens 200 Neumotoren im Jahr, den sich rund ein halbes Dutzend Hersteller teilen. bot

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