Nachgefragt: Anti-Stau-Gebühr

Das Ifo-Institut hat zusammen mit der Beratungsfirma Intraplan eine Studie vorgelegt, die sich für eine "Anti-Stau-Gebühr" in München für den kompletten motorisierten Verkehr innerhalb des Mittleren Rings ausspricht. Ausnahmen soll es laut den Experten keine geben. Damit ließe sich der Verkehr deutlich reduzieren, wovon alle profitieren würden. Das Grundkonzept könnte auch auf andere deutsche Städte angewandt werden. Auftraggeber der Studie war die IHK für München und Oberbayern. Die VerkehrsRundschau hat bei Professor Oliver Falck, Autor der Studie zur Anti-Stau-Gebühr sowie Leiter des Ifo-Zentrums für Industrieökonomik und neue Technologien, genauer nachgefragt. Die Anti-Stau-Gebühr, die Sie für München vorschlagen, ist eigentlich nichts anderes als eine City-Maut oder? Wir sprechen in unserer Studie gezielt nicht von einer Maut, sondern eben von einer Anti-Stau-Gebühr. Weil Maut-Systeme üblicherweise vor allem zur Einnahmenerzielung gedacht sind; etwa die Lkw-Maut, die dazu dienen soll, die Straßen zu erhalten. Mit der Gebühr, wie wir sie vorschlagen, wollen wir vor allem Ausweichreaktionen erreichen. Also, dass weniger Leute mit dem Auto, sondern mehr mit dem ÖPNV oder dem Fahrrad fahren oder Home-Office machen. So wollen wir den Stau in der Innenstadt verringern. Die Einnahmen stehen dabei nicht im Vordergrund. Wie könnte so eine Anti-Stau-Gebühr konkret umgesetzt werden? Aus unserer Sicht wäre eine Tagespauschale von sechs Euro an Werktagen sinnvoll, das heißt von Montag bis Freitag. Wobei sechs Euro kein Wert ist, der für uns in Stein gemeißelt ist. Diese Idee kann man auch mit Sicherheit noch optimieren. Eine Staffelung etwa nach Zeit oder Strecke haben wir aber erstmal nicht vorgesehen. Denn zum einen wollten wir sehen, welche verkehrlichen Wirkungen eine einfache und nachvollziehbare Abgabe bereits erzielen kann. Zum anderen wäre eine Preis-Staffelung nach Zeit in München voraussichtlich wenig wirksam. In Stockholm gibt es das, mittags ist die Gebühr etwas günstiger. Damit will man eine Verkehrsglättung bewirken, also den Verkehr in den Spitzen morgen und abends abmildern. Die Mobilitätsdaten, die wir von München aktuell haben, zeigen aber: Es gibt kaum noch Verkehrsspitzen, sondern der Verkehr ist inzwischen fast dauerhoch. Aktuell sieht man zwar mittags noch einen kleinen Einbruch, aber Prognosen für 2030 zeigen, dass das in Zukunft eher nicht mehr der Fall sein wird. Eine Preisstaffelung, um die Ausweichreaktionen an bestimmte Zeiten anzupassen, macht für München daher wenig Sinn. Was entgegnen Sie Kritikern wie dem Handelsverband Bayern, der eine solche Gebühr als „Tod für den innerstädtischen Einzelhandel“ bezeichnet? Eigentlich ist genau das Gegenteil der Fall. Wir haben uns bei anderen Städten, die so eine Anti-Stau-Gebühr bereits haben, angesehen, welche Wirkung das auf den Einzelhandel hatte. Dort war er dadurch auf keine Art und Weise negativ betroffen. Grundsätzlich leidet der Einzelhandel in den Innenstädten davon abgesehen aber ja schon lange. Wir müssen uns daher überlegen, wie Innenstädte wieder attraktiver werden können. Aus unserer Sicht ist die Anti-Stau-Gebühr eine gute Möglichkeit, auf lange Sicht genau dazu beizutragen. Außerdem fahren inzwischen wenig Leute überhaupt noch zum Einkaufsbummel mit dem Auto in die Innenstadt – etwas mehr als 10 Prozent, wie Umfragen belegen. Ich denke daher, dass die Sorge bei Weitem übertrieben ist. Darüber hinaus ist die Anti-Stau-Gebühr, wie wir sie vorschlagen, sehr einzelhandelsfreundlich. So ist an Samstagen, wenn die meisten zum Einkaufsbummel in die Stadt fahren, keine Abgabe vorgesehen. Und es handelt sich um eine Tagespauschale. Viele, die in der Stadt einkaufen oder abends ausgehen, sind Leute, die dort auch arbeiten. Wenn man also sowieso zur Arbeit in die Stadt fährt, muss man abends nicht nochmal zahlen. Und wie könnte der Wirtschaftsverkehr profitieren? Wir haben berechnet, dass der Wirtschaftsverkehr durch so eine Gebühr insgesamt eine hohe Zeitersparnis hätte. Demzufolge würden die Fahrzeiten um 7,5 Prozent zurückgehen. Wenn man diese eingesparte Zeit monetär bewertet, kommt man auf eine Zeitersparnis, die in Euro größer ist, als das, was der Wirtschaftsverkehr an Anti-Stau-Gebühr zahlen müsste. Der geringere Stressfaktor und die höhere Produktivität bei dann einigermaßen fließendem und planbaren Verkehr sind hier noch nicht mit eingerechnet. Aber das sind ja alles Langzeitfolgen, die Sie da nennen? Nein, der Wirtschaftsverkehr wird direkt profitieren – sobald die Gebühr eingeführt würde, werden viele Privatpersonen auf den ÖPNV umsteigen. Das bedeutet für den Wirtschaftsverkehr eine Zeitersparnis, denn es wird sofort weniger Staus geben. Attraktivere Innenstädte ist hingegen schon ein Langzeitphänomen. Sie haben gesagt, dass diese Gebühr auch für andere Städte in Deutschland vorstellbar wäre. Haben Sie ein Beispiel? Alle staureichen Städte in Deutschland wären gut beraten, so eine Gebühr in Erwägung zu ziehen. Hamburg, Berlin, Hannover und so weiter - von Nord nach Süd. Was allerdings wichtig ist: Die Ausgestaltung der Gebühr muss man an die jeweiligen lokalen Gegebenheiten anpassen. In München haben wir eine Flächenbepreisung vorgeschlagen, weil hier der Stau vor allem auch durch die Bewohner zustande kommt, die innerhalb des Mittleren Rings ihr Auto bewegen. Wenn aber Stauprobleme vor allem durch Einpendler zustande kommen, könnte man zum Beispiel eine Ringgebühr einführen. Die Abgabe wäre also fällig, sobald man eine gewisse Stadtgrenze überfahren hat. Dieses Modell nutzt etwa Stockholm. Grundsätzlich gilt: So eine Anti-Stau-Gebühr wirkt natürlich nur, wenn die Leute auf gute Alternativen ausweichen können. Wenn der ÖPNV und die Rad-Infrastruktur einer Stadt nicht gut genug ausgebaut sind, erzielt man auch keine Verkehrsverlagerung. Dann nimmt die Stadt zwar ordentlich Geld ein, aber das ist nicht das Ziel. Die Umfragen für München zeigen, dass es um den ÖPNV dort gar nicht so schlecht bestellt ist, wie man häufig den Eindruck hat. Die Leute können also auf Alternativen ausweichen. Wie könnte eine Anti-Stau-Gebühr Ihrer Ansicht nach technisch umgesetzt werden? Wir könnten uns das etwa über den Mobilfunk vorstellen. Die neueren Autos haben heutzutage alle eine SIM-Karte verbaut und schicken damit ständig Daten an die Automobil-Produzenten. So könnte man das auch bei der Anti-Stau-Gebühr machen. Die Autos, die das nicht haben, müssen sich eine Art Kästchen anschaffen, das das über den Mobilfunk abrechnet. Möglich wäre aber auch, dass man online oder per App ein Tagesticket kaufen kann, das dann auf das Nummernschild des Fahrzeugs angemeldet ist. Grundsätzlich stand bei unserer Studie aber die Frage der technischen Umsetzbarkeit nicht im Vordergrund. Ab wann könnte dieses Modell Ihrer Einschätzung nach in München oder einer anderen deutschen Stadt kommen? Wir gehen davon aus, dass eine Umsetzung und Einführung einer Anti-Stau-Gebühr frühestens ab Mitte der 20er Jahre erfolgen könnte. Um das zu realisieren, muss man aber jetzt in die Planung einsteigen. (sn)

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