Moskau. Im Prinzip, so beteuert der russische Zoll, hat sich an den Grenzen durch die Sanktionen nichts geändert. Es werden nur einfach keine LKW-Transporte mit Waren aus der langen Sanktionsliste im Lebensmittelbereich mehr durchgelassen – egal welcher Nationalität Fahrer oder Fahrzeug sind. Für alle anderen Güter habe sich nichts geändert.
Statistiken über die Zahl der vor den Schlagbäumen zum Umkehren gezwungenen Fuhren führt man beim russischen Zoll nicht, berichtete die staatlichen Nachrichtenagentur Ria Novosti. „Keine Exzesse, keine Warteschlangen, auch keinen Ansturm“, beschreibt Alexander Djakow, Pressesprecher der Zollverwaltung von Nordwestrussland, jetzt die aktuelle Situation. Denn: „Der LKW-Verkehr hat spürbar nachgelassen.“
Um wie viel, ergibt sich aus Angaben der Zollverwaltung des Gebiets von Brjansk, die je einen Grenzübergang zu Weißrussland und zur Ukraine betreut. In der ersten Woche mit Sanktionsregime wurden dort 1863 LKW abgefertigt, in der Vorwoche waren es noch 2114 – ein Minus von 12 Prozent. Im Süden der russischen Westgrenze ist hingegen von ruhiger Normalität nichts zu spüren: Im Gebiet Rostow-am-Don werden gegenwärtig überhaupt nur an einem der acht Übergänge zur Ukraine einfahrende LKW vom Zoll abgefertigt – es handelt sich um den Grenzkontrollpunkt Weselo-Wosnesenka an der Küstenstraße zwischen Mariupol und Taganrog. Alle anderen sind entweder von ukrainischen Truppen wegen der „Anti-Terror-Operation“ blockiert oder sie führen auf das von den Separatisten gehaltene Territorium in den Gebieten Donezk und Luhansk. Auch die russischen Grenzer haben mehrfach die Abfertigung für Stunden oder Tage eingestellt, wenn die Granateinschläge der Kämpfe zu nahe kamen.
Eine Sonderrolle spielt die Grenze zwischen dem ukrainischen Festland und der Halbinsel Krim: Während Russland hier inzwischen eine Zollverwaltung aufgebaut hat und die beiden Straßenverbindungen seit dem Anschluss als normale Staatsgrenze betrachtet, beginnt hier nach ukrainischer Lesart „vorübergehend okkupiertes Territorium“. Definitiv geregelt ist durch ein neues Gesetz bislang nur der Personenverkehr: Ukrainer können frei passieren, Ausländer nur, wenn sie zuvor korrekt in die Ukraine eingereist sind. LKW-Transporte mit ukrainischen Produkten für die Krim werden ebenfalls durchgelassen. Wie es um Transitfrachten steht, ist gegenwärtig unklar.
Schon vor der Verkündung der russischen Gegensanktionen, ja selbst vor den Finanzmarkt-Sanktionen der EU, war offensichtlich, dass der Russland-Verkehr deutlich zurückgehen wird: Russlands Ökonomie rutschte schon vor dem Konflikt ab in Richtung Krise. Die letzte Schätzung der russischen Zentralbank für 2014 wies ein Wirtschaftswachstum von 0,5 Prozent (nach 1,3 Prozent 2013) aus – wobei alles, was unter 3 Prozent liegt, für eine sich noch entwickelnde Volkswirtschaft wie die russische unter Experten bereits als Stagnation gilt. Nun müssen die Erwartungen nochmals nach unten korrigiert werden. Als Indikator kann die jüngste Inflationsschätzung der renommierten Höheren Wirtschaftsschule (HSE) in Moskau für 2014 gelten: Zu Jahresbeginn lag sie bei 5 Prozent, vor drei Monaten bei 6 Prozent, jetzt, nach den beidseitigen Sanktionen, steht sie bei knapp acht Prozent. (ld)