Wiesbaden. Es sind die positiven Seiten der Pandemie: Seit das Statistische Bundesamt die Verkehrstoten zählt, starben niemals weniger Menschen im Straßenverkehr als im vergangenen Jahr. „Dies ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass wegen der Corona-Pandemie im Jahr 2020 auf deutschen Straßen deutlich weniger Kilometer zurückgelegt wurden als im Vorjahr“, berichtete das Statistische Bundesamt in Wiesbaden am Donnerstag.
2020 kamen nach vorläufigen Zahlen 2724 Menschen bei Unfällen im Straßenverkehr ums Leben. Das waren 322 Todesopfer oder 10,6 Prozent weniger als im Jahr 2019 - der niedrigste Stand seit Beginn der Zählung vor mehr als 60 Jahren. Auch die Zahl der Verletzten ging gegenüber dem Vorjahr deutlich zurück: um 14,7 Prozent auf rund 328.000 Personen. Insgesamt hatte die Polizei 2020 rund 2,3 Millionen Unfälle aufgenommen - 15,8 Prozent weniger als ein Jahr zuvor.
Experte: Zahlen werden wieder steigen
Dass das dauerhaft so bleibt, halten Verkehrsexperten für unwahrscheinlich. Die Zahlen seien erfreulich, „zeichnen aber ein falsches Bild der Verkehrssicherheit“, sagt der Präsident der Deutschen Verkehrswacht, Kurt Bodewig. TÜV-Bereichsleiter Richard Goebelt glaubt, dass die Zahlen wieder steigen, „sobald eine Normalisierung des Verkehrsgeschehens nach den Covid-Einschränkungen einsetzt“.
Unfallforscher Siegfried Brockmann vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) hofft immerhin, dass sich der Trend zumindest im ersten Halbjahr fortsetzt. „Ich gehe fest davon aus, dass wir auch in diesem Jahr auf dem Niveau des Vorjahres verharren werden“, sagt er. Wenn sich die Corona-Lage im Sommer entspannt, könnte der Effekt aber schnell aufgezehrt werden. „Sobald der Verkehr wieder zunimmt, werden sich die Menschen verhalten wie zuvor. Am Charakter hat sich durch Corona nichts verändert.“
In den Bundesländern sieht die Entwicklung auf den ersten Blick unterschiedlich aus: In Brandenburg, Berlin, Schleswig-Holstein und Bremen wurden 2020 mehr Verkehrstote gezählt als 2019. Den stärksten Rückgang in absoluten Zahlen hatte Baden-Württemberg, wo 107 Menschen weniger starben. Auch in Niedersachsen und Bayern sanken die Zahlen. Der Effekt ist laut Brockmann „zufallsbedingt“. Angesichts der relativ kleinen Fallzahl gebe es statistische Verzerrungen - bei den Unfällen mit Verletzten sehe man in den Ländern keinen Unterschied. Einen Zusammenhang mit den jeweiligen Corona-Einschränkungen oder deren Befolgungen will er auf keinen Fall konstruieren.
Unterschiede gibt es auch bei den Verkehrsmitteln. Hier liegen detailliertere Ergebnisse zwar erst bis November 2020 vor, aber der Trend ist klar. Den stärksten prozentualen Rückgang gab es bei Personenkraftwagen: Tödliche Autounfälle gingen um 14,3 Prozent oder 176 Getötete zurück. Den zweitstärksten Rückgang verzeichneten die Krafträder mit minus 8,6 Prozent oder 51 Getöteten weniger. Danach folgten Fußgängerinnen und Fußgänger mit 9,1 Prozent beziehungsweise 33 Getöteten weniger.
Unfälle mit Elektro-Fahrrädern nehmen zu
Besonders aufschlussreich sind die Unfallzahlen bei Fahrrädern. 271 Menschen starben bis November 2020 auf Fahrrädern ohne Hilfsmotor. Das waren 40 Getötete beziehungsweise 12,9 Prozent weniger als im selben Zeitraum 2019. Ganz anders die Entwicklung bei den Rädern mit Motor: Die Zahl der getöteten Pedelec-Fahrer stieg um auf um 19,1 Prozent auf 137. Das waren 22 tödlich verunglückte E-Bike-Fahrer mehr als im Vorjahreszeitraum.
Unfallforscher Brockmann findet das „alarmierend“: „Jeder dritte Radverkehrstote ist inzwischen ein Pedelec-Fahrer“, rechnet er vor. „Das ist Wahnsinn“, vor allem wenn man sich den Bestand anschaue: Das Verhältnis von Fahrrädern zu Pedelecs in Deutschland sei etwa eins zu zehn. Das liege vor allem an den Nutzern, glaubt Brockmann.
Pedelec-Fahrer seien älter, ohne Unterstützung würden viele gar nicht oder eher langsam fahren, mit Motor erreichten sie hohe Geschwindigkeiten. Außerdem seien E-Räder schwerer. „Tempo und Gewicht, das sind die entscheidenden Faktoren“, sagt Brockmann. Die hohe Zahl der Unfälle führt er darauf zurück, dass die Nutzer die Fahrzeuge nicht unter Kontrolle haben - und fordert, die Endgeschwindigkeit an die Tretleistung zu koppeln. (dpa)