Mehr Tempo trotz Trump

Am Himmel über der Automobilbranche ziehen Wolken auf: Erst kündigte Donald Trump am 16. Januar an, Fahrzeuge des Herstellers BMW mit einem 35-prozentigen Strafzoll belegen zu wollen, falls die aus einer geplanten Fabrik in Mexiko stammen. Und zwei Tage später trat die britische Premierministerin May vors Mikrofon und sprach sich für einen "harten" Brexit aus, also für das vollständige Ausscheiden des Königreichs aus dem europäischen Binnenmarkt. Strafzölle sind mittelfristig denkbar Sollten diese Maßnahmen wirklich kommen, würde das die deutsche Autoindustrie hart treffen. Schließlich verdient sie zwei von drei Euro im Export. Allein in den USA wurden im letzten Jahr 850.000 Fahrzeuge aus Deutschland verkauft. Stürzt der Abschottungskurs von London und Washington die Autoindustrie - und damit auch die Logistikdienstleister - in eine Krise? Experten halten es durchaus für möglich, dass Trump seine Strafzölle mittelfristig durchsetzen wird. Das würde rückläufige Absatzzahlen für deutsche Hersteller bedeuten. Doch nicht nur die müssten leiden. "Alle in den USA ansässigen Hersteller beziehen ein signifikantes Volumen an Kaufteilen von Lieferanten außerhalb der USA", gibt Christian Wibbe, Mitglied der Geschäftsleitung bei der Unternehmensberatung Miebach, zu bedenken. Das heißt, Trump würde auch die heimische Industrie schädigen, was den amerikanischen Bürgern auf Dauer schwer zu verkaufen sein dürfte. "Ich gehe nicht davon aus, dass die US-Regierung ihre mögliche Abschottung länger als zwei bis drei Jahre durchhält", sagt Klaus-Jürgen Schmidt vom Institut für Produktions- und Logistiksysteme, Saarbrücken. Auch beim Thema Brexit mahnen Experten zur Besonnenheit. Dass BMW etwa deshalb sofort seine Mini-Produktion aus Großbritannien abzieht, halten viele für unwahrscheinlich. Dafür sind die Handelsbeziehungen einfach zu dicht: BMW produziert auf der Insel nicht nur Minis, sondern verkauft dort auch andernorts hergestellte Fahrzeuge ab - mengenmäßig etwa gleich viel. "Eine komplette Verlagerung halte ich für unrealistisch und auch unnötig, da beide Partner - EU wie Großbritannien - den jeweils anderen Markt brauchen", folgert Berater Wibbe. Nischen besetzen Dabei waren die Aussichten für Automobillogistiker vor dem Störfeuer aus Washington und London eigentlich gut. "Wir rechnen mit einem moderaten Umsatzwachstum in Europa zwischen einem und zwei Prozent pro Jahr im Durchschnitt", so Schmidt, der auch das Branchentreffen AKJ Automotive ausrichtet. Ein Treiber sei die Zunahme von Transporten über längere Distanzen hinweg, die nötig werden, weil immer mehr OEM (Original Equipment Manufacturer, die Hersteller) ihre Beschaffung internationalisieren. Berater Wibbe bestätigt diese Prognose. "Das Umsatzvolumen steigt tendenziell an, im Inland rechnen wir allerdings nur mit einer Seitwärtsbewegung." Insgesamt diagnostiziert er in der Automobilbranche einen Trend zur "Nischenlogistik". Weil Hersteller immer mehr Modelle anbieten, steigt auch die Zahl der Teilevarianten. Folge: Die Werke werden mit kleineren Losgrößen beliefert, dafür aber häufiger. "Damit die Auslastung stimmt, müssen die Logistiker mehr Lieferungen bündeln und sogenannte dynamische Milkruns bilden", erklärt Wibbe. Auch der Trend zu sogenannten Mehrwertdiensten ist ungebrochen. "Der Transport von A nach B bleibt die Grundlage, doch die Services werden immer wichtiger", bestätigt Micha Lege, Geschäftsführer von Wiedmann & Winz (W&W). Das baden-württembergische Unternehmen betreibt für einen Hersteller zum Beispiel ein sogenanntes Auslaufteilelager. Es wird benötigt, wenn eine Baureihe ausläuft und die verbleibenden Teile vom Band eingelagert oder entsorgt werden müssen. Für einen anderen Hersteller packt der Mittelständler Getriebeteile um und bereitet sie für die Montage vor. "Durch solche Services wird man weniger austauschbar", ist Lege überzeugt. Allerdings erfordern sie auch hohe Investitionen. Erst unlängst hat W&W eine Großwaschmaschine für Teile angeschafft, Kosten: rund 200.000 Euro. In der Fahrzeug-Distribution setzt sich die Auslagerung ebenfalls fort. "Es gibt einen klaren Trend zu Diensten", sagt Wolfgang Göbel, Vertriebsvorstand beim Branchenprimus Mosolf in Kirchheim/Teck. Hintergrund der Entwicklung: Nur noch 35 Prozent aller Neuwagen werden an Privatkunden direkt verkauft. Die übrigen Fahrzeuge gehen ins Leasing, an Firmen oder zu den Autovermietern und werden später als junge Gebrauchtwagen erneut verkauft. Genau darauf stellt sich Mosolf ein: Das Unternehmen wächst vor allem mit Lagerung, Bewertung und Reparatur dieser Fahrzeuge. Dafür betreibt die Tochter Mosolf Retail Solutions seit zwei Jahren elf Servicezentren, in denen Fahrzeuge aufgearbeitet werden. "Es geht um eine noch engere Verzahnung mit dem Autohandel", so Göbel. Um den Kunden die Verwaltung zu erleichtern, hat Mosolf zudem eine digitale Plattform entwickelt. Über sie können Autohändler sehen, wo sich ein Fahrzeug befindet oder welchen Reparaturstatus es hat, und auch direkt Transporte bestellen. Das ist typisch. Die Hersteller wollen nicht nur Statusdaten in Echtzeit einsehen, sondern auch digital ins Geschehen eingreifen. Dafür müssen sich die Dienstleister rüsten. "Ohne schlagkräftige IT sind Sie auf verlorenem Posten", stellt W&W-Chef Lege klar. Die Muss-Anforderungen reichen von der Anbindung an das SAP-System des Kunden über Telematiksysteme in den Lkw bis zu drahtlosen Netzen in den Hallen. Besonders das Thema offene Telematik gewinnt an Bedeutung, denn immer mehr OEM werden in Zukunft Zugang zu den Standortdaten der Fahrzeuge fordern, um ihre Rampenplanung zu verbessern. Pilotprojekte dazu laufen in der Industrie schon. Wer glaubt, dass beim Thema Digitalisierung schon das Ende der Fahnenstange erreicht ist, irrt also. "Zwischen OEM und Tier1 (den großen Modullieferanten, Anm. d. Red.) hat man die Möglichkeiten der IT-Integration teilweise schon realisiert, doch dahinter in der Lieferkette liegt noch viel ungenutztes Potenzial", betont Berater Wibbe. Ausschreibungen werden komplexer Eine zweite Kernanforderung der Industrie lautet: mehr Flexibilität. Die Verlader erwarten, dass Logistiker bei den starken Schwankungen in der Nachfrage mitgehen können. "Wir müssen zum Beispiel in der Lage sein, kurzfristig qualitativ hochwertige Flächen zur Verfügung zu stellen", bestätigt W&W-Chef Lege aus der Praxis. Das kann zum Beispiel bedeuten, innerhalb weniger Monate 10.000 Quadratmeter zusätzliche Hallenfläche zur Verfügung zu stellen samt qualifiziertem Personal. Angesichts dieser Volatilität rät Automobilexperte Schmidt den Dienstleistern, ihre Leistungen verstärkt in Modulen anzubieten. "Bausteine sollten so aufgeteilt werden, dass sie variabel in die Anforderungen eingepasst werden können." Sicher ist auch: Automobillogistik wird in den kommenden Jahren noch anspruchsvoller. So rechnet Marktkenner Schmidt damit, dass die Hersteller ihre Versorgungsnetzwerke künftig noch stärker zentral steuern. "Die damit verbundenen Ausschreibungen werden wesentlich komplexer", so der Auto-Experte. Dabei ist die Auftragsvergabe in der Branche schon heute nicht ohne. Der Automobilhersteller schreibt den Auftrag aus und hält typischerweise zwei bis drei sogenannte Bidding-Runden im Internet ab. Üblich sind auch Assessments, bei denen Vertreter des Herstellers (oder des Zulieferers) den Betrieb des Logistikdienstleisters besuchen, um sich ein Bild von dessen Ausstattung zu machen. Kurz: Der Logistiker wird gläsern. W&W-Chef Lege kann das Vorgehen verstehen. "Bei einer Panne droht im schlimmsten Fall ein Bandstillstand. Dagegen wollen die OEM sich absichern." Weiterhin Chancen für Mittelständler Für kleine Anbieter, die neu auf dem Automobillogistik-Markt sind und noch keine Referenzprojekte vorweisen können, ist es äußerst schwierig, sich in einem solchen Ausschreibungsverfahren durchzusetzen. Wo liegen ihre Chancen? Berater Wibbe sieht zwei Möglichkeiten. "Entweder Sie konzentrieren sich auf eine Nische, zum Beispiel Spezialtransporte - oder kooperieren mit einem großen Partner." Dass in Zukunft ausschließlich Globale Player eine Chance haben, sieht er jedoch sobald nicht. "Es gibt keinen Trend zum globalen Premiumpartner, die einzelnen Standorte reden beim Logistikeinkauf immer noch mit." Mehr zum Thema im Dossier Automobillogistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers Die Serie Branchenporträts In den kommenden Ausgaben analysieren wir verschiedene Branchen, deren Stärken und Schwächen und die Trends in den Wirtschaftszweigen. Die Serie im Überblick:- VR 50: Chemielogistik- VR 51/52: Handelslogistik- VR 1/2: Möbellogistik- VR 3/4: Automobillogistik- VR 5: Lebensmittellogistik- VR 6: Bau- und Entsorgungslogistik- VR 7: Stahllogistik- VR 8: Pharmalogistik- VR 9: Maschinen- und Anlagenbau Tipp Automobillogistik Anforderungen, die Dienstleister erfüllen müssen - Transport (Auswahl): Internationale Transporte - mit eigenen Lkw oder Netz-Nutzung- Milkruns, also die verbrauchsgenaue und konsolidierte Anlieferung von Teilen verschiedener Zulieferer- Lagerdienstleistung: Hier vor allem schneller Auf- und Abbau zusätzlicher Kapazitäten- Telematik: Offene Telematiksysteme, automatische Weiterleitung von Positionsdaten an den OEM- IT: Anbindung an das Warenwirtschaftssystem des Kunden (zum Beispiel SAP), Möglichkeit für den OEM, Aufträge auch digital zu vergeben oder aber die Leistung zu steuern, etwa über ein Internetportal- Logistik-Mehrwertdienste: in der Distribution und Produktionslogistik cg

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