Maschinenbau

Maschinenbau Deutschland bleibt Produktionsdrehscheibe Der Maschinenbau gilt als innovative Vorzeigebranche der deutschen Industrie, als Exportmotor und gleichzeitig als Domäne des industriellen Mittelstandes. Das spiegelt sich auch in den Logistikanforderungen und -problemen der Verlader wider. Zusammen repräsentieren sie das deutsche Exportwunder: Die Automotive-Industrie, mit 355 Milliarden Euro Jahresumsatz (Stand 2011) Deutschlands größte Industriebranche, und der Maschinenbau, mit 215 Milliarden Euro nach der chemischen Industrie auf Platz drei. Gemeinsam ist den beiden Branchen der Erfolg auf dem Weltmarkt, bei den Logistikanforderungen trennen sie allerdings Welten. Kleinserie und Einzelfertigung „Die Automobilkonzerne haben weltweite Produktionsnetzwerke gegründet, die mittelständischen Maschinenbauer produzieren überwiegend noch in Deutschland“, erklärt Professor Michael Schenk, Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für Fabrikbetrieb und -automatisierung (IFF) in Magdeburg, die unterschiedliche Ausgangsposition. Schenk stellt noch einen weiteren entscheidenden Unterschied heraus. Den gewaltigen Stückzahlen im Automobilbau stehen im Maschinenbau geringere Produktionsmengen gegenüber. Kleinserien und sogar Einzelanfertigung sind im Maschinenbau nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel. Ein Blick auf die Branchenstruktur verrät: 86 Prozent der deutschen Maschinenbauunternehmen beschäftigen weniger als 250 Mitarbeiter, nur zwei Prozent mehr als 1000. Für den Aufbau von Produktionsstätten im Ausland, so bringt es Schenk auf den Punkt, sind die meisten Maschinenbauer schlichtweg zu klein. Dass das Verharren im Hochlohnland nicht von den Kunden abgestraft wird, liegt an der Innovationskraft der Unternehmen, der Produktqualität, aber auch dem Service nach der Auslieferung. High-Tech-Produzenten wie der Maschinenbaukonzern Gildemeister beobachten auf Wunsch ihrer Kunden „online“ die von ihnen gelieferten Maschinen, geben Hinweise zu Wartung und Verschleiß und erhöhen so die Verfügbarkeit. Ein neuer Technik-Trend ist laut Schenk die digitale Erprobung von Maschinen, mit der sich noch vor der Auslieferung verschiedene Produktionsszenarien simulieren lassen. Verglichen damit ist die Distributionslogistik im Maschinenbau relativ einfach. Angesichts der hohen Werte der transportierten Maschinen sind eine perfekte Verpackung und Ladungssicherung unabdingbar. Die Studie „Top 100 der Logistik“ von Christian Kille und Martin Schwemmer zeigt für die Verkehrsträgerwahl eine klare Dominanz des LKW auf. Er transportiert 78 Prozent der Tonnage, 20 Prozent gehen auf das Konto des Seeschiffs. Bahn und Binnenschiff spielen demnach kaum eine Rolle. Grund: Aufgrund der Empfindlichkeit der Güter wird versucht, jeden Umschlag zu vermeiden, sondern die Ware direkt zu transportieren. IFF-Institutsleiter Schenk weiß von Maschinentransporten, die mit Sensoren überwacht werden, um Stöße und andere Transportereignisse festzuhalten. Die gute Rolle des Seeschiffs ist dem hohen Exportanteil zuzuschreiben Logistische Achillesferse So lange die Maschinen bestimmte Abmessungen nicht überschreiten, werden sie individuell verpackt und in normalen Transportbehältern wie beispielsweise Seecontainern transportiert. Kreisläufe von speziellen Mehrwegtransportverpackungen haben sich laut Schenck nicht herausgebildet. Sind die Maschinen erst mal verpackt, fließen sie häufig in die allgemeinen Transportströme ein: Das erklärt auch, dass die größten fünf Logistikdienstleister für den Maschinenbau mit DB Schenker, DHL, Fiege, Panalpina und Rhenus allesamt Generalisten sind. Anders sieht es bei Großmaschinen- und Anlagenbau aus. Ab einer bestimmten Größe kommen hier hoch spezialisierte Projektlogistiker und Schwergutspediteure ins Spiel. Häufig werden Maschinen durch Techniker des Herstellers erst beim Kunden endmontiert. Deshalb wird von den Spediteuren erwartet, dass sie verschiedene Sendungen möglichst synchron zum Zielort bringen. Spediteure mit einer funktionierenden Sendungsverfolgung und der Fähigkeit, Sendungen verschiedener Herkunft während des Transportes zu konsolidieren (Merge-in-Transit), haben hierbei beste Karten. Logischerweise haben die Maschinenbauer ihre Distributionslogistik weitestgehend fremdvergeben. „Die Maschinenbauunternehmen konzentrieren sich auf ihre Kernbereiche. Dazu zählt die Produktionslogistik“, bestätigt Schenk. Die logistische Achillesferse vieler Maschinenbauer scheint jedoch in der Beschaffungslogistik zu liegen. Zwar halten die deutschen Maschinenbauer dem globalen Wettbewerbsdruck noch stand, doch auch sie mussten ihre Kosten reduzieren. Dabei stand unter anderem die Reduzierung der Wertschöpfungstiefe und teilweise der Einkauf von Teilen in Ländern mit niedrigeren Kosten auf dem Programm. „Heute müssen viel mehr Bedarfspositionen bei einer größeren Anzahl von Lieferanten in kürzerer Zeit beschafft werden. Dieser Koordinationsaufwand führt zu wachsenden Abweichungen bei der Termintreue“, schrieben Alexander Kleinert und Stefan Cuber vom Forschungsinstitut für Rationalisierungen (FIR) an der RWTH Aachen bereits 2010 in einer Studie zu dem Thema „Beschaffungslogistik im Maschinen- und Anlagenbau“. Hohe Bestände Das FIR hatte gemeinsam mit zwei Projektpartnern 110 Unternehmen aus der Branche befragt. Ergebnis: Durchschnittlich 15,9 Prozent des Beschaffungsvolumens trafen verspätet ein. Zu viel, um Direktbelieferungsprinzipien wie Just in time anzuwenden. Stattdessen verordneten sich die Unternehmen eine Lagerstufe auf der Beschaffungsseite, um die Fremdanlieferung von der internen Wertschöpfung abzukoppeln. Das Ergebnis: Einzel- und Kleinserienfertiger stöhnen unter Beständen von rund 20 Prozent des Umsatzes, Serienfertiger müssen immerhin noch mit 15 Prozent leben. Die Erklärung der Studie: Zwar arbeiten 95 Prozent der Unternehmen in der Produktion mit ERP-Systemen, aber nur 50 Prozent sind mit ihren Lieferanten per EDI verbunden. Daraus resultieren Informationsdefizite, die das Erkennen von Terminabweichungen bei den Lieferanten erschweren. Folgen neben dem Aufbau von Sicherheitsbeständen: Umplanungen, Feuerwehreinsätze oder aber eigene Terminverzögerungen. Auch wenn sich die Lieferantenbindung in den letzten Jahren verbessert hat: Für Logistikdienstleister mit Know-how in der Beschaffungslogistik ist diese Schwäche eine Möglichkeit, mit Maschinenbauunternehmen ins Geschäft zu kommen. Die Optimierung der Lieferströme besitzt in der Branche weiterhin hohe Priorität. ❙❚■ Björn Helmke, freier Journalist Zahlen und Fakten Der deutsche Maschinenbau Mit 215 Milliarden Euro (Stand 2011) Umsatz ist der Maschinenbau die drittgrößte Industriebranche Deutschlands – nach dem Fahrzeugbau und der chemischen Industrie. 5997 Unternehmen mit insgesamt 967.000 Beschäftigten sind dieser Branche zuzurechnen. Die Branche ist überwiegend mittelständisch geprägt. 86 Prozent der Unternehmen beschäftigen weniger als 250 Mitarbeiter, nur zwei Prozent mehr als 1000. Größte Verlader sind Thyssen-Krupp, Siemens, MAN, Kion Group und Voith. Das geschätzte Logistikvolumen der Maschinenbaubranche beträgt sechs Milliarden Euro. Der Maschinenbau ist besonders außenhandelsintensiv, 24,3 Prozent des benötigten Inputs des Maschinenbaus (gemessen am Wert) kommt aus dem Import, 54,6 Prozent der Produktion werden importiert. Der Maschinenbau importierte Güter im Wert von sechs Millionen Tonnen. Wichtigste Einfuhrländer waren China (873.000 Tonnen) und Italien (690.000 Tonnen). Der Export belief sich auf 10,6 Millionen Tonnen. Hauptabnehmerländer sind China, die USA, Frankreich, Russland und zunehmend die Türkei. hel Interview „Hoher logistischer Reifegrad“ Herausforderungen im Maschinenbau: Interview mit Raimund Klinkner, Vorstandsvorsitzender der Bundesvereinigung Logistik Welche branchenspezifischen logistischen Herausforderungen stellen sich heute für Unternehmen des Maschinenbaus? Raimund Klinkner: In der aktuellen internationalen BVL-Studie zu Trends und Strategien in der Logistik nannten 85 Prozent der befragten Fach- und Führungskräfte branchenübergreifend das Thema Komplexität. Auslöser sind steigende Kundenerwartungen hinsichtlich Angebotsvielfalt und Lieferzuverlässigkeit bei gleichzeitig steigendem Kostendruck. Also nichts wirklich Neues, aber bislang hat keiner von uns spektakuläre Rezepte dagegen gefunden: Schnellere Entwicklungszyklen, mehr Nischenprodukte, breitere und tiefere globale Netzwerke, mehr Vertriebskanäle mit deutlich stärkeren Differenzierungen. Neu sind aber die Dimension und die Schnelligkeit des Anstiegs der Komplexität. Wie gehen die Best-in-Class-Unternehmen der Branche an diese Herausforderungen heran? Auch sie haben leider keine Patentrezepte, sondern setzen vielfältige Maßnahmen um, die in ihrer Kombination zu operativer Exzellenz führen: Durchgängige Logistikstrategien und etablierte Innovationsprozesse zur Erfüllung spezifischer Anforderungen. Sehr gut ausgebildete und motivierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit klar definierten Stellenprofilen. Standardisierte Prozesse in transparenten Wertschöpfungsketten. Es wird „end-to-end“ geplant und umgesetzt. Sehr gute und gute Unternehmen unterscheiden sich aber durch die Konsequenz in den Anwendungen – und wie umfassend diese umgesetzt werden. Verglichen mit den Unternehmen des Fahrzeugbaus – welchen logistischen Reifegrad hat der Maschinen- und Anlagenbau? Wir sprechen hier über zwei grundverschiedene Produktionskonzepte: Die Serienproduktion im Automobilbau und die Einzel- oder manchmal sogar Baustellenfertigung im Maschinen- und Anlagenbau. Beide Produktionsformen haben ihre Prozesse unterschiedlich entwickelt. Der Maschinenbau kann von der Fahrzeugindustrie sicherlich etwas lernen von der sequenzgenauen und zeitnahen Materialzuführung, im Gegenzug ist die Kompetenz im Projektmanagement im Maschinen- und Anlagenbau faszinierend gut. Beides sind Belege für einen hohen logistischen Reifegrad. hel 86 Prozent der deutschen Maschinenbauunternehmen beschäftigen weniger als 250 Mitarbeiter Für den Aufbau von Produktionsstätten im Ausland sind die meisten Maschinenbauer zu klein Der LKW transportiert 78 Prozent der Tonnage, 20 Prozent das Seeschiff „Kleinserien und Einzelfertigungen sind im Maschinenbau nicht die Ausnahme, sondern die Regel“ Professor Michael Schenk, Fraunhofer Institut für Fabrikbetrieb u. -automatisierung

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