Logistikansiedlungen

Logistikansiedlungen Wenn Logistik auf den Bürger trifft Immer wieder scheitern Logistikansiedlungen am Widerstand der Anwohner oder weil Gemeinden anderen Branchen den Vorzug geben. Wie logistikfeindlich ist Deutschland? Michael Habacker kann aufatmen: Millionen hat der geschäftsführende Gesellschafter des Immobilien-Entwicklers Habacker Holding in den LogPark Hamburg an der A 1 bereits inves-tiert. Bis 2017 soll auf 80 Hektar Fläche vor den Toren der Hansestadt ein neuer Logis-tikstandort entwickelt werden. Gesamtinvest: 50 Millionen Euro. Mit Geodis und C&A haben die ersten Nutzer das Gelände bereits bezogen – die Rechnung scheint aufgegangen zu sein. Viele Jahre lang schien es danach nicht auszusehen. Denn kaum war die Tinte unter den Verträgen zwischen der zuständigen Gemeinde Neu-Wulmsdorf und Habacker trocken, begannen Proteste und Prozesse: Die Region dürfe nicht das „Gewerbeklo“ Hamburgs werden, forderten Projektgegner. Der LogPark sei nur 80 Meter von Wohnbebauung entfernt und werde für viel Lärm und Verkehr sorgen. Es gründeten sich gleich mehrere Bürgerinitiativen, die nicht nur heftig gegen das Projekt wetterten, sondern auch mehrfach den Gerichtsweg beschritten – letztlich erfolglos. Im Juli 2009 scheiterte die letzte Klage auf Baustopp beim Verwaltungsgericht Lüneburg. Die Habacker Holding hatte nach eigenen Angaben stets offen mit der Gemeinde kommuniziert und war von den Entwicklungen vollkommen überrascht worden. „Wenn sich emotional jemand gegen so ein Projekt gestellt hat, ist es schwierig, ihn sachlich zu überzeugen“, betont Michael Habacker (siehe Interview). Einen Strich unter die ganze Angelegenheit würde gern auch Wolf-Egbert Rosenzweig ziehen. Der Bürgermeister der Gemeinde Neu-Wulmsdorf versichert, dass das Projekt nun seiner Wege gehe und nichts mehr passieren könne. Das sieht der Obstbauer Claus Viets aus Neu-Wulmsdorf ganz anders. Als einer der Köpfe der örtlichen Bürgerinitiative beobachtet er täglich die Bagger und Baufahrzeuge in der Nähe seines Hofladens. „Das wurde alles zu blauäugig geplant. Seit drei Jahren haben wir hier Baustelle und wir haben schon jetzt Riesenprobleme“, schimpft er. Die Gegner wollen Logistiker, die sich im LogPark einkaufen wollen, direkt anschreiben und auf die Probleme aufmerksam machen. Beispiele des (Fast-)Scheiterns Auch andernorts tun sich Entwickler von Logistikimmobilien schwer: Im Januar rückten in Bantorf, einem Teil der Stadt Baringshausen in der Region Hannover, zwar die Bagger an, um auf einer der größten Baustellen Norddeutschlands ein neues 220.000 Quadratmeter großes Logistikzentrum für Kaufland zu schaffen. Bis kurz vor dem Baubeginn war fraglich, ob Kaufland tatsächlich in Bantorf bauen würde. Denn die rechtssichere Baugenehmigung ließ auf sich warten, nachdem Gegner des Projektes dagegen geklagt hatten. In Nürtingen bei Stuttgart stieß 2008 der Modekonzern Hugo Boss auf den Unwillen der Bürger, die das geplante Logistikzentrum des Modelabels per Bürgerentscheid verhindern wollten. Das Projekt wurde abgeblasen – Hugo Boss legte das Vorhaben wegen der wirtschaftlichen Krise zunächst auf Eis. Dabei hatte der Nürtinger Gemeinderat die baurechtlichen Voraussetzungen für das Großprojekt eiligst geschaffen und den geforderten Bürgerentscheid abgeschmettert. Vom Nachrichtenmagazin Spiegel wurde das schwäbische Kabinettstück als „Luxusproblem“ bespöttelt. In der Tat sind es vor allem die wirtschaftlich gut gestellten Ballungsräume wie Stuttgart, München und Frankfurt, wo die Akzeptanz von Logistikansiedlungen besonders gering ist. Das liegt aber auch daran, dass es in etablierten Gebieten immer schwieriger wird, Flächen auszuweisen, die für Gewerbeindustrie geeignet sind, also beispielsweise den Betrieb an 7 Tagen rund um die Uhr erlauben. Befindlichkeiten der Kommunalpolitik Ist der Logistik-Weltmeister Deutschland in Wahrheit logistikfeindlich, wenn es um die Realisierung von Logistikimmobilienprojekten geht? Jörg Schröder ist Geschäftsführender Gesellschafter beim Immobili-enentwickler Alpha Industrial und hat als Geschäftsführer den US-amerikanischen Immobilienentwickler ProLogis maßgeblich in Deutschland mit aufgebaut. „Im Vergleich zu anderen Ländern muss sich Deutschland bei der Planungs- und Genehmigungsdauer nicht verstecken“, glaubt Schröder. „In Frankreich dauert es ein ganzes Jahr, bis man eine Baugenehmigung bekommt. In der Zeit haben wir in Deutschland die Immobilie bereits fertiggestellt.“ In seiner Laufbahn musste er dennoch auch selbst erleben, dass Projekte aufgrund zögerlicher Kommunalpolitiker und Gängelung durch Behörden nicht verwirklicht werden konnten. „Bevor wir ein Projekt vorschlagen, prüfen wir die Strukturen der jeweiligen Kommunalpolitik.“ Als K.-o.-Kriterium für Immobilienentwickler gilt es, wenn Gemeinden mehr als notwendig in den Bebauungsplan eingreifen und die Logistik mit Beschränkungen bei Hallenhöhen, Grundstücksgrößen oder der Nutzung belegen wollen. Jede achte bis neunte Ansiedlung scheitert im Vorfeld an solchen Befindlichkeiten, schätzt Schröder. Es geht auch anders: In Wunstorf bei Hannover erweitert die Garbe Logistic AG gerade ihr Logistikzentrum um eine 20.000 Quadratmeter große Halle für den Logis-tikdienstleister Syncreon. Das Projekt war in den Augen von Thomas Stricker von Garbe Logistic, einem Anbieter von Logis-tik-Immobilien, ausgesprochen angenehm: „Mit der Gemeinde gab es überhaupt kein Problem“, erinnert sich der Entwickler, der die Garbe-Projekte bis zur Vertragsreife betreut. Das Prozedere ist immer gleich: Ist ein für den Kunden passendes Grundstück ausgemacht, steht ein Besuch beim Bürgermeis-ter der zuständigen Gemeinde an. Dort stellt Thomas Stricker das Projekt vor und klopft die Interessen und Bedenken der Kommune ab. Wenn sich dabei Schwierigkeiten mit Anliegern abzeichnen, läuten die Alarmglocken. „Das wäre für uns ein Killerkriterium“, betont Thomas Stricker. „Wenn wir während der Bauantragsphase Störungen reinkriegen, haben wir ein Problem, weil der Kunde schon Verträge unterschrieben hat und sich auf den Entwickler verlässt.“ Das Ruhrgebiet gehört zu jenen Regionen, die als unproblematisch gelten, wenn es um Logistikansiedlungen geht. Peter Abelmann, Leiter Logistik beim Beratungsunternehmen SCI Verkehr GmbH in Köln, führt das darauf zurück, dass die Menschen daran gewöhnt sind, mit der Industrie zu leben. „Proteste sind hier die absolute Ausnahme“, bestätigt Abelmann. Dass andernorts Logistikprojekte am Protest der Bürger scheitern, liege daran, dass sich bei vielen Menschen Berufs- und Privatleben gedanklich voneinander entfernt haben. Der Widerstand gegen Industrieansiedlungen sei aber kein logistikspezifisches Thema, glaubt Abelmann, das gleiche Problem hätten auch andere industrielle Projekte. Nicht zuletzt durch das Bekenntnis der Bundesregierung zum drittwichtigsten Wirtschaftszweig Logistik und durch die Imagekampagnen der Branchenverbände hat sich derRuf der Logistik deutlich verbessert. „In vielen Kommunen ist Logistik mittlerweile willkommen“, weiß Stefan Schröder. Er ist Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Logistics Network Consultants LNC in Hannover. Seit Jahresbeginn soll er zudem als Projektleiter der „Logistics Alliance Germany“ im Auftrag der Bundesregierung den Logistikstandort Deutschland im Ausland bekannt machen und vermarkten. Schröder: „Die Kommunalpolitiker haben verstanden, dass sie bei Anfragen von Immobilienentwicklern schnell reagieren müssen. Deren Kunden wollen zumeist innerhalb eines Jahres ein neues Logistikzentrum beziehen.“ Es komme im Einzelfall sehr darauf an, von welcher Art Logistik die Rede ist, betont Schröder. „Logistikprojekte, die nur wenige Arbeitsplätze schaffen, sind für Gemeinden nicht attraktiv. Es mache aus kommunaler Sicht eben einen Unterschied, ob ein Palettenlager errichtet werden soll oder eine Logistikanlage für hochwertige Kontraktlogistikdienstleistungen mit entsprechender Wertschöpfung. Wenn die verwaltungstechnischen Voraussetzungen erst einmal geschaffen und geeignete Flächen ausgewiesen seien, ließe sich durch Kompensationsmaßnahmen fast immer eine Einigung herbeiführen. „Manchmal liegt der Verdacht nahe, dass Entwickler die Bürgerwut nur als Vorwand anführen, wenn ein anderer Standort die attraktiveren Konditionen geboten hat“, vermutet Schröder. Über sein Engagement bei Logistics Alliance Germany kennt er auch die Befindlichkeiten ausländischer Investoren. Bahnchef Rüdiger Grube warnte kürzlich davor, dass Proteste wie im Falle „Stuttgart 21“ ausländische Investoren abschreckten. „Für größere Anleger stehen die langfristigen Renditen im Vordergrund. Hier ist Deutschland ein Topstandort“, beruhigt Schröder. Ein stabiles wirtschaftliches Umfeld, qualifizierte Arbeitskräfte und die sehr gute Wiederverwertbarkeit von Logistikhallen überzeugten die Anleger. Um Kritikern frühzeitig den Wind aus den Segeln zu nehmen, hat der Branchenkreis Logistikimmobilien und -flächen des Lo-gistikClusters NRW ein „Ansiedlungshandbuch Logistik“ erarbeitet. Es richtet sich an Kommunalpolitiker und Planer. Das Handbuch liefere gute Argumente für Logistikansiedlungen, verspricht Peter Abelmann: „Nur Unwissende glauben, Logistikzentren sind Kästen, die das Land zerstören, viel Verkehr anziehen und wenig Beschäftigung bringen.“ ❙❚■ Florian Beck und Dietmar Winkler Das sagt der Bürger: „Logistik kann stattfinden – aber bitte nicht vor der eigenen Haustüre“ Monstertrucks raus!!! Bürger-entscheid JETZT!! Kein Verkehr mehr ZentrallagerNicht bei uns!!! Baut im Nachbarort FahrtFahrrad NEIN!! NEIN!! Logistik brauch ich nicht RETTETDENMOLCH Bahn JA!! Lärm Nein Einkaufscenter statt Logistikzentrum Baustopp SOFORT 2008 2009 2010 3 Mio. 2 Mio. 1 Mio. 0 Fläche fertiggestellter Logistikimmobilien in Deutschland (>5000 m2) Immobilienentwickler haben harte Zeiten hinter sich. Im Zuge der Wirtschaftskrise wurden viele Logistikprojekte verschoben. Die Fläche an Neubauten hat sich innerhalb eines Jahres halbiert 2,82 1,45 1,66 Logistikansiedlungen „Sachliche Argumente ziehen nicht“ Michael Habacker, Chef des Immobilienentwicklers Habacker Holding, bekam beim Bau des LogPark Hamburg Ärger mit Anwohnern. Herr Habacker, ist Deutschland logistikfreundlich? Michael Habacker: Was Logistikimmobilien angeht, ist Deutschland eigentlich nicht attraktiv – aus unterschiedlichen Gründen. Die da wären? Es ist schwerer geworden, Gelände auszuweisen, die für Logistikimmobilien infrage kommen. Das fängt damit an, dass Logistikflächen-Nachfrager selektiver geworden sind, höhere Ansprüche an die Grundstücke stellen – zum Teil durch den Kapitalmarkt gelenkt. Dadurch kommt es zur Verknappung der potenziellen Flächen. Und wenn die Flächen ausgemacht sind? Wenn neue Flächen ausgewiesen werden, ist oft neue Wohnbebauung in der Nähe. Da hat man dann oft Konflikte mit Bürgerinitiativen. Denn die Bürger versuchen vermehrt, sich gegen Heranrücken von Gewerbeflächen an ihre Wohnbebauung zu wehren. Zwar will jeder schnell zur Arbeit und wieder nach Hause, aber neben dem eigenen Haus soll das Gewerbe natürlich nicht sein. Was kann man in diesem Spannungsfeld tun? Einen Königsweg gibt es da nicht. Man kann den Bürgern den Dialog anbieten, sie in die Planungen miteinbeziehen, ihnen vermitteln, dass sie ernst genommen werden – auch wenn man nicht auf alle Wünsche eingehen kann. Das Problem ist: Wenn sich emotional jemand dagegen gestellt hat, ist es schwer, ihn mit sachlichen Argumenten zu überzeugen. Wie schätzen Sie denn die Großwetterlage ein? Grundsätzlich zeigt die öffentliche Hand einen großen Willen zur Unterstützung. Die Bundesregierung will ja auch die Kernkompetenz Logistik stärken. Es fällt halt schwer, mit Einzelinteressen zu verhandeln oder mit Politik, die sich nicht für Geld interessiert. Manövriert sich Deutschland damit in eine strategische Sackgasse? So würde ich das nicht sehen: Solche Probleme gibt es ja nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Ländern. fb Interview Michael Habacker Logistikansiedlungen Pro + Contra Contra Verkehrsproblematik Logistikansiedlungen ziehen mehr Straßenverkehr nach sich Betrieb 24 Stunden an 7 Tagen zieht Verkehr auch in die Nachtstunden erhöhte Lärm- und Schadstoffbelastungen überregionale Verkehre von und zu den Lo-gistikstandorten überlasten die Infrastruktur Flächenverbrauch und - versiegelung Logistik hat einen hohen Flächenbedarf versiegelte Flächen durch Beton oder Hallen stören den Wasserhaushalt die Veränderung eines funktionierenden Naturhaushalts ist unumkehrbar Arbeitsplätze Logistik verbraucht viel Fläche und schafft vergleichsweise wenig Arbeitsplätze es entstehen vor allem niedrig qualifizierte Arbeitsplätze, teilweise in prekären Arbeitsverhältnissen Pro Bauordnungs- und Bauplanungsrecht bietet Möglichkeiten, verkehrsbedingte Probleme zu vermeiden eine gute Planung wird berücksichtigen, welche Art von Logistiknutzung an einem Standort kurz- bis mittelfristig verträglich ist es existieren Lösungen für Logistikimmobi-lien, in denen Niederschlagswasser versickert oder als Brauchwasser genutzt wird Versiegelung ist oft einzige Nutzungsmöglichkeit kontaminierter Industriebrachen je nach Immobilie und Nutzung können viele Arbeitsplätze entstehen, z. B. Distributionszentren mit 85 bis 121 Arbeitsplätzen/Hektar in manchen Regionen herrscht ein großer Bedarf an niedrig qualifizierten Arbeitsplätzen gerade bei Mehrwertdiensten ist ein breites Spektrum qualifizierter Arbeitskräfte gefragt Gute Argumente für die Logistik Das „Ansiedlungshandbuch Logistik“ des LogistikClusters NRW liefert Argumente, die gängige Vorbehalte gegen Logistikansiedlungen entkräften

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