Lkw-Kartell: Klagen oder nichts sagen?

Spediteure und Transporteure sowie verladende Unternehmen mit Fuhrpark, die Lkw in den Jahren 1997 bis 2011 angeschafft haben, befinden sich derzeit in der Zwickmühle. Sie stellen sich die Frage: Bringt es etwas, gegen die Nutzfahrzeughersteller vorzugehen, die in diesem Zeitraum ein Kartell gebildet haben, oder sollte man sich die Zeit und das Geld lieber sparen, die ein Rechtsstreit kostet? Der Gesamtverband Verkehrsgewerbe Niedersachsen (GVN) hat nun versucht, seinen Mitgliedern Antworten zu liefern. Im niedersächsischen Walsrode hat er ein Rechtsforum veranstaltet, das die verschiedenen Möglichkeiten aufzeigte, die betroffene Fuhrparkbetreiber haben. Mehr als ein Dutzend Anwaltskanzleien und Prozessfinanzierer sehen derzeit nicht nur Chancen, einen Teil der Lkw-Anschaffungskosten von den Kartellanten zurückzubekommen, sondern auch ein Geschäft in der rechtlichen Auseinandersetzung. Deshalb empfehlen der GVN und weitere Landesvertretungen unter dem Dach des Deutschen Speditions- und Logistikverbandes (DSLV) sowie dem des Bundesverbandes Möbelspedition und Logistik (AMÖ) das Modell einer Non-Profit-Organisation: Die Rede ist vom Verein zur Förderung des Wettbewerbs und lauteren Verhaltens im Speditions-, Logistik- und Transportgewerbe (Wettbewerbsverein). Ihm gehören rund 40 meist europaweit oder international tätige Unternehmen oder Vereinigungen des Speditions- und Logistikgewerbes an. Wettbewerbsverein bündelt Interessen Andreas Müller, Geschäftsführer des Wettbewerbsvereins, sammelt derzeit Mitstreiter für eine außergerichtliche Einigung mit Daimler, MAN und Co. In Walsrode informierte er über die Vorgehensweise und den Stand des Vorhabens. "Wir wollen die Interessen der Betroffenen bündeln", erklärte der Fachanwalt für Transport- und Speditionsrecht. Das habe mehrere Vorteile: "Einerseits findet man somit mehr Gehör, andererseits können alle Anspruchsteller untereinander Informationen austauschen sowie Rechtsverfolgungs- und Gutachterkosten sparen." Da die EU-Kommission bisher keine Angaben gemacht hat, welchen Einfluss genau die abgesprochenen Bruttolistenpreise auf den Marktpreis hatten, muss der Wettbewerbsverein ermitteln lassen, wie viel Lkw-Kunden zu viel gezahlt haben. Dafür braucht es ein wettbewerbsökonomisches Gutachten. Anhand ausgewählter Beispielfälle will Müller die durchschnittliche Schadenhöhe gegenüber den Kartellanten beziffern und ohne Klage einen Vergleich erzielen. "Bisher haben sich rund 200 Unternehmen mit etwa 11.000 Lkw gemeldet, um ihre Interessen an den Wettbewerbsverein abzutreten", berichtet Müller. Das seien aber noch zu wenig. Denn ein solches Gutachten sei sehr teuer. Müller sprach von über 100.000 Euro. Die Kosten sollten sich die Interessenten abhängig von der Zahl der betroffenen Fahrzeuge teilen. "Insgesamt ist es dadurch für alle günstiger", betonte der Jurist. Die Umlage beginnt bei 900 Euro (bis zu fünf Fahrzeuge); die teuerste Staffel liegt bei 15.000 Euro (mehr als 500 Fahrzeuge). Hinzu kommt gegebenenfalls ein Jahresbeitrag von 850 Euro - je nachdem, ob das Unternehmen bereits Mitglied im Kölner Wettbewerbsverein ist oder nicht. Mit der Umlage und dem Beitrag sind alle Aufwendungen abgedeckt. Die ersten Ansprüche auf Schadenersatz gegen das Lkw-Kartell verfallen Ende 2017. Betroffene Unternehmen sollten sich nicht zu viel Zeit mit der Entscheidung lassen, ob und wie sie aktiv werden. Das Erstellen eines Gutachtens kann mehrere Monate dauern. Im Januar möchte Müller es in Auftrag geben. Sollte es zu keiner außergerichtlichen Einigung kommen, erwägt der Verein zu klagen. Diesen Schritt will Müller den Lkw-Herstellern bereits androhen. Er hat vor, interessierte Unternehmen in diesem Fall in Kooperation mit einem Kartellrechtler zu vertreten. Jeder Geschädigte muss seinen Anspruch selbst vor Gericht geltend machen. "Eine Sammelklage ist nicht möglich", sagte er. Die Preisabsprachen müssten nicht mehr bewiesen werden, allerdings müssen der individuelle Schaden belegt werden. Prozessfinanzierer für teuren Prozess Weil die Klage sich nicht nur mehrere Jahre hinziehen kann, sondern auch zusätzliche Kosten verursacht, hat Müller einen Finanzdienstleister an der Hand. Im Erfolgsfall, zu dem auch ein Vergleich mit den Kartellanten zählt, muss der Kläger dem Prozessfinanzierer eine vorab vereinbarte Provision zahlen. Sie beträgt 20 bis 35 Prozent des erstrittenen Erlöses. Die Kartellanten haften als Gesamtschuldner. Der Geschädigte kann also wählen, wen er für seinen Schaden in Anspruch nimmt. Aus Sicht des Rechtsexperten beeinflussen mehrere Faktoren die Wahl - zum Beispiel die Zahlungsfähigkeit des Lkw-Herstellers, dessen Rolle im Kartell und vor allem der Hauptsitz. Denn ein Rechtsstreit dürfte auf deutschem Boden einfacher zu führen sein, meint er. Die aktuelle Goldgräberstimmung im Güterverkehrsgewerbe bremste Müller in Walsrode: "Die kolportierten 10 bis 20 Prozent, die es zurück gibt, möchte ich nicht versprechen, denn wir müssen vorher herausfinden, wie sich die Preisabsprachen wirklich im Detail ausgewirkt haben." Mehr zum Thema unter "Fuhrparkmanagement" www.verkehrsrundschau.de/dossiers Die Methode des BGL Beim Rechtsforum des GVN im niedersächsischen Walsrode sind verschiedene Vorgehensweisen präsentiert worden: Der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) versucht etwa, das Problem ebenfalls außergerichtlich zu lösen. BGL-Justiziar Guido Belger hat den Kartellanten im Namen von 245 Mitgliedsunternehmen in einem Schreiben am 30. November vorgeschlagen, den entstandenen finanziellen Schaden gemeinsam mit den Lkw-Herstellern und auf deren Kosten ermitteln zu lassen und sich dann auf einen entsprechenden Vergleich zu einigen. Sie sollten zudem darauf verzichten, dass die Ansprüche der betroffenen Unternehmen verjähren. Bisher habe sich aber keiner der Hersteller gerührt. Wenn bis zum Januar keine Antworten beim Verband in Frankfurt am Main eintreffen, will auch der BGL bei weiteren Maßnahmen gegen das Lkw-Kartell den Weg über den Wettbewerbsverein empfehlen. ag Schnelle Hilfe für Betroffene Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Lkw-Kartell: - Wer hat Anspruch auf Schadenersatz?Jeder, der zwischen 1997 und 2011 Lkw von MAN, Volvo/Renault, Daimler, Iveco und DAF gekauft oder geleast hat (Scania wehrt sich noch gegen das Bußgeld). Betroffen gewesen von den Absprachen der Bruttolistenpreise sind den EU-Wettbewerbshütern zufolge Fahrzeuge ab sechs Tonnen zulässiges Gesamtgewicht.- Wie viel Geld bekomme ich zurück?Das lässt sich bisher nicht genau sagen. Ausgehend von wissenschaftlichen Analysen zu früheren Kartellen schätzen Prozessfinanzierer und Anwaltskanzleien, dass Kunden etwa 15 Prozent mehr für ihren Lkw zahlen mussten. Seriöse Angaben lassen sich in diesem Fall aber erst auf Basis eines wettbewerbsökonomischen Gutachtens machen.- Was muss man jetzt tun?Vor allem zügig die Unterlagen über den Kauf oder das Leasing von mittleren und schweren Lkw aus den Jahren 1997 bis 2011 zusammensuchen. Wer Geld zurückverlangen möchte, muss seinen Schadenersatzanspruch gemäß Artikel 33 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) nach Abschluss des EU-Kartellverfahrens schriftlich bei den Fahrzeuganbietern geltend machen oder im Zweifel einklagen. Dabei sollte man sich rechtzeitig Rechtsbeistand holen. Durch die Ermittlungen der EU-Kommission wurde die Verjährung gehemmt. Die ersten Schadenersatzansprüche verjähren jedoch Ende 2017.- Was, wenn ich die Papiere nicht habe?Da buchungsrelevante Unterlagen nur zehn Jahre aufzubewahren sind, könnte es schwierig werden, für den Zeitraum vor 2006 aussagekräftige Nachweise beizubringen. Bei der Sichtung dieser Unterlagen sollte auch geprüft werden, ob Ansprechpartner benannt werden können, mit denen damals die Verhandlungen geführt wurden, und ob sich daraus bestimmte Vergünstigungen ergeben. ag

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