Längst nicht mehr der schwache Mann

Ganz zu Anfang muss man sich die gewaltige Entwicklung Rumäniens in den vergangenen Jahren einmal vor Augen führen: eine durchweg kräftige Wirtschaft, ein sprunghafter Anstieg bei Kaufkraft und Bruttoinlandsprodukt pro Kopf (fast plus 20 Prozent von 2017 bis 2018) und eine Arbeitslosenquote, die vor Kurzem noch undenkbar gewesen wäre. Kein Wunder, dass der Privatkonsum derzeit die Konjunktur-Lokomotive ist. Und auch in der Transportbranche geht die Post ab: Der gesamte Logistiksektor schoss im Gesamtjahr nach Zahlen der rumänischen Speditionsvereinigung USER um zehn Prozent nach oben, die Zahl der Transportunternehmen stieg innerhalb von vier Jahren um mehr als 5000 Firmen auf jetzt 34.628. Dabei dominiert der Straßentransport die Branche mit gut drei Vierteln Marktanteil. Zwar sind Binnenschifffahrt und Schiene in Rumänien traditionell auch stark, doch das Wachstum des Sektors wird seit Jahren nur noch von der Straße generiert. Kein Zufall also, dass viele rumänische Spediteure ihren Tätigkeitsbereich erweitern und beispielsweise Lagerhallen mieten oder bauen, Subunternehmer engagieren und sich verstärkt auf den Intermodaltransport konzentrieren. Containerzüge nach Europa So hat die Spedition Routier European Transport eine Zugverbindung mit zwei Abfahrten pro Woche zwischen dem westrumänischen Oradea und Kaldenkirchen nahe dem niederländischen Venlo mit Sattelanhängern und Containern eingeführt. Die Konkurrenz von Transmec lässt Züge zwischen Oradea und Zeebrügge sowie Piacenza rollen, während Gefco den Löwenanteil der Produktion der rumänischen Renault-Tochter Dacia auf Doppeldecker-Autozügen nach ganz Europa transportiert - um nur einige Beispiele zu nennen. Marius Cae, Präsident der rumänischen Speditionsvereinigung USER, fasst im Gespräch mit der VerkehrsRundschau zusammen: "In einem Land, dessen Schienen- und Straßeninfrastruktur immer noch mangelhaft ist, zeigen die Zahlen das große wirtschaftliche Potenzial, das noch in dieser Branche steckt." Die rosigen Prognosen für die Gesamtwirtschaft im Jahr 2018, aber auch für die Transportbranche, hält Cae für durchaus realistisch. Und er hofft darauf, dass es beim EU-Mobilitätspakt noch zu einer für Rumänien günstigen Wende kommen könnte. Cae geißelt die "protektionistischen" Vorschläge aus Westeuropa als besonders schädlich. Vor allem die Entsenderegelungen für Fahrer und die Vorschläge zu Ruhezeiten und Übernachtungen in der Fahrerkabine würden große Probleme bereiten: "Das wird die Personalkosten der Transportunternehmen erhöhen, während die Kundenpreise gleichzeitig nicht so schnell steigen. Das wiederum kann zu Pleiten vieler Spediteure führen", warnt der USER-Präsident. Fahrermangel lässt Löhne wachsen Hanns Ulrich Dietrich, geschäftsführender Gesellschafter von Karl Heinz Dietrich International Logistics und Sohn des Firmengründers, setzt bei dieser Streitfrage einen etwas anderen Schwerpunkt: "Es herrscht ganz einfach Fahrermangel. Die EU-Regelungen sind bekannt und werden befolgt - das MiLoG gilt nur für die Strecke in Deutschland und zurück, bei Transitfahrten überhaupt nicht." Das sei in den Löhnen bereits eingepreist. Das Problem seien die Fahrer. "Wenn es keine mehr gibt, dann hat der Lohn keine Grenzen mehr", sagt der Manager. Dietrich kennt den rumänischen Markt aus jahrzehntelanger Erfahrung. Bereits 1978, als der Diktator Ceaucescu das Land noch fest im Griff hatte, gründete sein Unternehmen eine Repräsentanz, 1990 die erste Niederlassung. Los ging es mit fünf Mitarbeitern, heute sind es 965. Zu Beginn verwendete Dietrich nur in Deutschland zugelassene Lkw mit deutschen Fahrern. Diese Praxis gehört aus Kostengründen längst der Vergangenheit an. "Heute beauftragen wir rumänische Transporteure und finanzieren teilweise den Unternehmern die Fahrzeuge", erläutert Dietrich. Auch er sieht den Markt weiter deutlich wachsen - insbesondere, weil die Automobilindustrie immer noch massiv investiere. Doch er spricht auch Klartext: "Es ist schwieriger geworden, heute einen Fuß in die Tür zu bekommen. Es geht nur noch über den Preis. Die Arbeitslosigkeit ist gleich null - mit Lohnsteigerungen pro Jahr zwischen zehn und 18 Prozent. Und das bei einem konstanten Mangel an Fahrern." Auf die Frage, welches für deutsche Investoren der beste Weg ist, in den rumänischen Markt einzusteigen, möchte sich Dietrich nicht festlegen: "Das ist eine Firmenphilosophie - wir haben es selbst aufgezogen und nennen heute etwa 200.000 Quadratmeter Lagerfläche in Bukarest, Brasov, Sibiu, Cluj und Timisoara unser Eigen." DB Schenker - führende deutsche Kraft Cae von der Speditionsvereinigung USER hebt hervor, dass Deutschland für Rumänien nach wie vor Handelspartner Nummer eins ist - ein Fünftel des rumänischen Außenhandels wird mit deutschen Partnern betrieben: "Etwa 7500 deutsche oder mit deutschem Kapital arbeitende Unternehmen sind in Rumänien aktiv und stellen insgesamt 250.000 Menschen an." Im Bereich Transport und Logistik sieht Cae DB Schenker deutlich als führende deutsche Kraft. Für Bereiche, in denen sich ein Engagement besonders lohnen würde, gibt der Branchenexperte konkrete Empfehlungen: "Deutsche Firmen können in die Logistik investieren, wo noch immer viel Lagerfläche benötigt wird, in den Intermodaltransport und vielleicht auch in die Infrastruktur." Hier wurde gerade ein neues Gesetz für Public-Private-Partnerships beim Straßenbau verabschiedet. Massenproteste wegen Korruption Aus deutscher Sicht bringt der rasante wirtschaftliche Aufschwung in Rumänien aber nicht nur Vor-, sondern auch Nachteile mit sich. Geringe Arbeitslosigkeit und steigende Löhne lassen den bisher größten Wettbewerbsvorteil des Landes dahinschmelzen: die niedrigen Personalkosten. Hinzu kommt die nicht ganz stabile politische Lage mit regelmäßigen Massenprotesten gegen die Regierung wegen Korruption. Die positive Seite dieser Medaille sind die steigende Kaufkraft der Rumänen, die sich bessernde Infrastruktur und die wachsende Attraktivität des Standorts. Trotz aller Sprünge nach vorn liegt Rumänien aber immer noch ein ganzes Stück hinter den weiterentwickelten Staaten der Region wie Tschechien, Ungarn oder Polen. Die sowieso schon hohe Zahl rumänischer Lkw auf deutschen Autobahnen wird also auf absehbare Zeit noch weiter steigen. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier "Rumänien" www.verkehrsrundschau.de/dossiers Die Serie Osteuropa Was kann das Transportgewerbe unserer osteuropäischen Nachbarn, wo gibt es Chancen und Risiken? Unsere Serie im Überblick- Teil 1: Polen (VR 31-32)- Teil 2: Tschechien (VR 33-34)- Teil 3: Ungarn (VR 35)- Teil 4: Bulgarien (VR 36)- Teil 5: Rumänien (VR 37)- Teil 6: Baltikum (VR 38) Chancen und Risiken in Rumänien Politisch unruhige Situation trotz wirtschaftlicher StärkeChancen:- Wirtschaft wuchs in den vergangenen Jahren deutlich schneller als im EU-Durchschnitt - 2017 um satte sieben Prozent. Auch die Kaufkraft pro Kopf steigt wesentlich dynamischer als in den anderen Ländern der Region. Rumänien ist längst nicht mehr der schwache Mann Europas.- Straßentransport aktuell mit sehr deutlichem Wachstum.- Immer noch sehr gutes Potenzial - besonders Investitionen im Logistikbereich (Lagerhallen) sowie in die Infrastruktur sind nach wie vor notwendig.- Deutschland ist wichtigster Handelspartner Rumäniens, sowohl allgemein (20 % der Ex- und Importe 2017; Eurostat) als auch bei Transport & Logistik, gefolgt von Italien(10 %).Risiken:- Tatsächliche Arbeitslosigkeit in der Branche geht gegen null, während die Löhne rasant steigen - prinzipiell eine gute Nachricht für Rumänien, aber die Rekrutierung von Mitarbeitern wird dadurch sehr schwierig, besonders Fahrer sind schon lange Mangelware.- Politisch seit Jahren unruhige Situation trotz wirtschaftlicher Stärke des Landes. Massenproteste gegen Korruption und Vetternwirtschaft.- Pleiten von einheimischen Spediteuren durch die im EU-Mobilitätspakt vorgesehenen Maßnahmen werden befürchtet. Noch stärker als die Mindestlohngesetze, die eigentlich schon eingepreist sind, werden die Regelungen zu Ruhezeiten für Fahrer kritisiert. mk