Ladungsdiebe ausbremsen

August 2017, ein Rastplatz im Kreis Minden-Lübbecke: Der Lkw-Fahrer bemerkt erst am nächsten Morgen an seinem Zielort die Schnitte in der Plane. Weg sind: 235 Handtaschen der Marke Porsche im Wert von annähernd 60.000 Euro. Diese Kurzfassung einer Polizei-Pressemeldung steht nur für einen von vielen Fällen von Frachtdiebstahl, der hierzulande die Transportbranche plagt. Nach aktuellen Recherchen des SensiGuard Supply Chain Intelligence Centers (SCIC, vormals FreightWatch International) liegt Deutschland im europaweiten Ranking der Länder mit dem meisten Fällen von Frachtdiebstahl auf Platz zwei hinter Großbritannien. Demnach wurden im dritten Quartal 2017 hierzulande 223 Fälle verzeichnet. Hotspot ist Nordrhein-Westfalen mit 73 Vorfällen, gefolgt von Niedersachen (43) und Hessen (33). 78 Prozent der Diebstähle ereigneten sich auf unbewachten Parkplätzen. Mehr als die Hälfte des Ladungsklaus erfolgt über das Aufschneiden der Plane: So zählt die SCIC-Statistik fürs dritte Quartal 127 Fälle von Planenschlitzerei, das entspricht 57 Prozent der Fälle von Ladungsdiebstahl auf deutschem Boden. Zweite Haut für mehr Sicherheit Andreas Gießler hat die Zeichen der Zeit erkannt. Der Student des Bachelorstudiengangs Transportwesen/Logistik an der Hochschule Bremerhaven brachte in diesem Jahr die Alarmplane auf den Markt, die sich als eine Art zweite Haut an die vorhandene Plane aufbringen lässt. Machen sich Frachtdiebe an ihr zu schaffen, wird ein lauter Alarmton ausgelöst. Das nachrüstbare System für Planenauflieger ist seit Sommer dieses Jahres bei Koch International aus Osnabrück im Test-Einsatz, derzeit ist ein Trailer mit der Alarmplane unterwegs. "Schon mit der ersten Version der Alarmplane haben wir sehr positive Erfahrungen gemacht. Das System ist ein sehr effektiver Schutz gegen Planenschlitzer", zieht Koch-Fuhrparkleiter Florian Stille ein erstes Zwischenfazit aus dem Test. Demnach gab es weder Fehlalarme, noch sei es zum Ernstfall gekommen. "Wir können uns sehr gut vorstellen, weitere Fahrzeuge mit dem System auszurüsten", sagt Stille. Zumal der Erfinder sein Produkt schon wieder weiterentwickelt hat. Er hat die Verlegung der Kabel wesentlich verfeinert. Diese sind jetzt rasterförmig in die Plane eingenäht. Zudem soll die neue Alarmplane weniger wiegen, schnittfester und einfacher zu handhaben sein. "Wir sind sehr gespannt auf die neue Generation der Alarmplane und werden auch diese ausgiebig an einem weiteren Fahrzeug testen", so Stille. Während das Planenschlitzen unter Frachtdieben die bevorzugte Art und Weise des Raubzugs darstellt, sind auf You-Tube in den letzten Jahren verstärkt Videos von weitaus waghalsigeren Manövern, sogenannten Truck Robberys, zu sehen. Dabei fahren die Täter mit einem Van dicht an den Lkw heran, brechen bei voller Fahrt die Hecktüren auf, klettern in den Trailer und entwenden Ladung. Ein besonders spektakulärer Fall von Truck Robbery ereignete sich zuletzt in den Niederlanden: Dort konnte die Polizei Ende Juli fünf Mitglieder einer Bande verhaften, die seit dem Jahr 2015 17 Mal bei voller Fahrt Lkw-Ladeflächen ausräumte. Bei einem Raubzug wurden laut SCIC Mobiltelefone im Wert von einer halben Million Euro geklaut. Vorsicht beim Pausenplausch In anderen Ländern verbreiteter, ist Truck Robbery in Deutschland offenbar eher die Ausnahme, ist einem Report des Bundesamts für Güterverkehr (BAG) für das Jahr 2015 zu entnehmen. Auch Raubüberfälle mit Gewaltanwendung finden demnach hierzulande nur selten statt. Deutlich häufiger kommen Diebstähle dagegen in Zusammenhang mit "Insider-Informationen" vor, also in Fällen, in denen ein Mitarbeiter des Transportunternehmens relevante Informationen an die Täter weitergibt. Diese "Insider" helfen den Tätern dabei allerdings oft völlig unfreiwillig. So werden Informationen über die Fracht und das Lieferziel durch Fahrer bei Pausen an Raststätten oder über soziale Netzwerke an Kollegen weitergegeben, während potenzielle Täter mithören oder mitlesen. Mitarbeiter regelmäßig schulen Dirk Behrmann, Leiter der Zentralstelle Prävention im Landeskriminalamt Niedersachsen, rät denn auch eindringlich, während der Pausen niemals mit Fremden über Strecke, Ziel und Ladung zu sprechen. Vermeintlich belanglose Gespräche könnten so für die Gegenseite als wertvolle Informationen dienen (siehe Kasten). Auch Koch-Fuhrparkleiter Stille sensibilisiert seine Fahrer in dieser Hinsicht. Die Osnabrücker Spedition arbeitet ohnehin eng mit der Polizei und Versicherungsunternehmen zusammen, um die Sicherheit von Fahrer und Fracht zu gewährleisten. So werden für die rund 180 Fahrer regelmäßig Sicherheitsschulungen durchgeführt. Dazu gehört nicht zuletzt die Anweisung, wenn möglich nur überwachte, gut ausgeleuchtete Parkplätze anzusteuern - "auch wenn dies aufgrund des Parkplatzmangels zugegebenermaßen immer schwieriger wird", wie Stille anmerkt. "Wir disponieren daher so, dass sichere Parkplätze angefahren werden können und mieten im Vorfeld auch Plätze bei anderen Unternehmen. Sie werden also selten Lkw von uns antreffen, die nachts am Straßenrand parken." Die Nutzung der mitunter recht teuren Sicherheits-Parkplätze mit Einfriedung, guter Beleuchtung und Videoüberwachung wird für Spediteure künftig um einiges erschwinglicher: So kündigte das BAG an, ab der Förderperiode 2018 einen Großteil der Kosten für Sicherheitsparkplätze zu bezuschussen. Anti-Diebstahltechnik ausschöpfen Aber nicht nur die Sensibilisierung der Mitarbeiter und sichere Parkplätze sind wichtig - auch das Arbeitsmittel sollte in Sachen Diebstahlschutz up-to-date sein. Bei Koch International etwa sind alle ziehenden Einheiten herstellerseitig mit einer Alarmanlage ausgerüstet, Kofferauflieger mit Trailertelematik ausgestattet und per GPS und Türstatuskontrolle gesichert. "In den Fahrerhäusern haben wir zudem Gasmelder installiert, die den Fahrer durch einen Alarmton aufwecken", so Stille. Die zahlreichen Präventionsmaßnahmen zahlen sich für die Osnabrücker jedenfalls aus: "Bislang ist unser Unternehmen von Frachtdiebstahl nahezu verschont geblieben", betont der Fuhrparkleiter. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier "Kriminalität" www.verkehrsrundschau.de/dossiers Sicherheitstipps der Polizei Das sollte jeder Fahrer beherzigen - Auch wenn Sie an einer Tankstelle nur bezahlen oder bei einem Kunden etwas ausliefern - lassen Sie Ihr Fahrzeug nicht unbeaufsichtigt stehen. Halten Sie möglichst Sichtkontakt zu Ihrem Fahrzeug, wenn Sie sich von ihm entfernen.- Verschließen Sie alle Türen und Fenster, wenn Sie im Fahrerhaus schlafen.- Lassen Sie Ihren Auflieger niemals ohne entsprechende Sicherung stehen (Königsbolzenschloss, Diebstahlsicherung).- Wenn möglich, parken Sie das Fahrzeug gegen eine Wand oder ein anderes sicheres Hindernis, um den Zugang zu den rückwärtigen Türen zu verhindern.- Nehmen Sie niemals Anhalter oder andere fremde Personen in Ihrem Fahrzeug mit.- Sprechen Sie während Fahrtunterbrechungen mit Fremden niemals über Strecke, Ziel und Ladung. Vermeintlich belanglose Gespräche können für die Gegenseite wertvolle Informationen sein.- Ziehen Sie bei einer Panne die Möglichkeit von Sabotage in Betracht und seien Sie vorsichtig, wenn Fremde Ihnen unvermittelt kostenlose Hilfe anbieten.- Kontrollieren Sie nach jedem längeren Halt Ihr Fahrzeug und Ihre Ladung.- Vereinbaren Sie mit Ihrer Spedition regelmäßige Kontrollmeldungen zu festgelegten Zeiten und an festgelegten Orten.- Nehmen Sie bei unvorhergesehenen Abweichungen von Fahrtroute oder Lieferadresse immer Kontakt zu Ihrer Spedition auf. Häufig werden Fahrer kurz vor der Ablieferadresse abgefangen. Ihnen wird erzählt, dass eine Annahme an der vorgeschriebenen Adresse gerade nicht möglich sei. Anschließend wird der Lkw an einen anderen Ort gelotst, an dem Sie den Kriminellen schutzlos ausgeliefert sind.- Vergewissern Sie sich, dass die Person, die die Waren entgegennimmt, auch dazu berechtigt ist. Prüfen Sie dies anhand von Transportdokumenten und lassen Sie sich die Abnahme quittieren.- Notieren Sie sich Aussehen und Kennzeichen von verdächtigen Personen und Fahrzeugen. Melden Sie Ihre Feststellungen der Polizei.- Auch bei Stopps durch Anweisungen vermeintlicher Polizisten ist deren Dienstausweis stets vorab zu überprüfen. Nachfragen bei den jeweiligen Behörden müssen von den Beamten geduldet werden. mh

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