Kritik in allen Varianten

Ende März hat die EU-Kommission die belgische Regierung vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt. Ihre Behörden weigern sich, das "portable Dokument A1" anzuerkennen. Damit können "mobile Arbeitskräfte" aus EU-Staaten nachweisen, dass sie in ihrem Heimatland sozial versichert sind. Die Weigerung der Belgier führt dazu, dass die betroffenen Ausländer nicht nur zu Hause, sondern auch in Belgien Sozialversicherungsbeiträge zahlen müssen - ein Vorteil für belgische Firmen. Diese Strategie vermuten viele in Brüssel auch hinter der Einführung des deutschen Mindestlohnes - und wollen die Deutschen ebenfalls vor das höchste Gericht der EU ziehen. Vor allem in Osteuropa erwartet man, dass die EU-Kommission die Anwendung der Mindestlohnvorschriften zumindest im Transportgewerbe zügig wieder kassiert. Um den Druck zu erhöhen, haben Abgeordnete aus Polen, Litauen und Rumänien die Angelegenheit auf die Tagesordnung des Europäischen Parlamentes gesetzt. Während aufgebrachte Spediteure vor dem Plenarsaal demonstrierten, rechneten ihre Abgeordneten mit dem deutschen Mindestlohn ab. "Deutschland missbraucht den Mindestlohn, um seinen Markt abzuschotten," wetterte der Slowake Richard Sulik. Firmen aus Osteuropa, die außerdem noch Spesen für den Einsatz im Ausland bezahlen müssten, die nicht auf den Mindestlohn angerechnet werden dürften, würden vom deutschen Markt verdrängt. Auch Vilija Blinkeviciute aus Litauen sieht die Existenz kleiner Speditionen aus dem Baltikum in Gefahr: "Die Kommission muss alles unternehmen, damit unsere Arbeitsplätze erhalten bleiben." Verkehrskommissarin Violeta Bulc versuchte die Wogen zu glätten. Die Kommission werde die deutschen Vorschriften genau unter die Lupe nehmen, versprach sie. Das werde allerdings noch etwas dauern. Die Deutschen hätten zwar inzwischen alle Fragen der Kommission im Zusammenhang mit dem Mindestlohn beantwortet. Die Auswertung des offenbar umfangreichen Schreibens aus Berlin sei jedoch eine "komplexe Angelegenheit". Die Beamten der Kommission müssten die Vereinbarkeit der deutschen Vorschriften nicht nur mit den Grundsätzen des Binnenmarktes, sondern auch mit mehreren Richtlinien und Verordnungen überprüfen (siehe Kasten). Klar sei, dass der freie Waren- und Dienstleistungsverkehr von den Deutschen nicht willkürlich eingeschränkt werden dürfe. Die Kommission setze sich allerdings auch für ordentliche Jobs im Straßengüterverkehr und einen fairen Wettbewerb ein, machte die Kommissarin deutlich. "Die Einführung des Mindestlohnes entspricht grundsätzlich den sozialpolitischen Zielen, die sich die Kommission gesetzt hat." "Nicht stolz auf deutsche Gründlichkeit" Das begrüßten die Abgeordneten aus den Hochlohnländern im Westen der Union. Es gehe nicht an, dass auf Autobahnparkplätzen über die Wochenenden ausländische Lkw-Fahrer kampierten, sagte der holländische Abgeordnete Wim van de Camp (EVP). Soziale Mindeststandards müssten auch von kleinen Firmen eingehalten werden. Verhältnismäßig sei es jedoch nur, den Mindestlohn für Kabotagefahrten vorzuschreiben. Für den Transitverkehr sei das "unnötig komplex". Auch die dänische Abgeordnete Ulla Törnes hatte kein Problem mit dem deutschen Mindestlohn an sich, aber "mit der damit verbundenen Bürokratie". Sie sei der "schwerste Anschlag auf den Binnenmarkt", seit er vor 20 Jahren eingeführt worden sei. Ihre Fraktionskollegin, Gesine Meissner (FDP), pflichtete ihr bei: "Ich bin hier nicht stolz auf die deutsche Gründlichkeit." Die deutsche Regelung schieße deutlich über das Ziel hinaus. Das sehen Sozialdemokraten, Linke und Grüne anders. "Gerade im Transportgewerbe gab es in den letzten Jahren einen gnadenlosen Unterbietungswettbewerb," sagte Jutta Steinbrück (SPD). Es sei das gute Recht Deutschlands, Regeln auch zum Schutz ausländischer Arbeitnehmer zu erlassen. Mindestlohn-Prüfung Die Prüfung des deutschen Mindestlohns durch die Kommission erstreckt sich auf mehrere europäische Vorschriften:- Nach EU-Vertrag dürfen Mitgliedstaaten keine Maßnahmen ergreifen, die den freien Waren- oder Dienstleistungsverkehr (Art. 28 ff. und Art. 56 ff.) behindern oder eine Einschränkung der Freizügigkeit von Arbeitnehmern (Art. 45) darstellt- Die Entsenderichtlinie 96/71/EG legt fest, wie Arbeitnehmer aus einem anderen EU-Land vergütet/versichert werden müssen- Die Kabotage-Verordnung 1072/09 und 1073/09 regeln, welche Transporte ein Spediteur in einem anderen als seinem Heimatland durchführen darf- Die Rom-Verordnung regelt vertragliche Schuldverhältnisse grenzüberschreitend tätiger Unternehmen tw

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