Korridore zur Küste

Rund 400 Kilometer liegen zwischen Rotterdam und Mainz - nicht gerade ein Katzensprung. Trotzdem machte sich Anfang Mai eine große Delegation auf den Weg an die Küste: Verkehrspolitiker aus Rheinland-Pfalz, der Direktor des Hafens Ludwigshafen, Wirtschaftsführer. Ziel der Reise war der Hafen von Rotterdam. Dort unterzeichneten die deutschen Vertreter mit den Niederländern eine gemeinsame Erklärung mit dem Versprechen, den Weitertransport von Gütern per Binnenschiff voranzutreiben. Als eine der ersten Maßnahmen versprach der Infrastrukturminister Roger Lewentz, die Fahrrinne zwischen Mainz und St. Goar zu "optimieren", damit hier auch bei niedrigem Wasser Ladungen befördert werden können. Das Abkommen, so unverbindlich es klingt, hat einen handfesten Hintergrund: Es wird eng in den Seehäfen. Nicht nur in Rotterdam, sondern auch im belgischen Antwerpen steigt die Zahl der Container weiter. Wenn die Seehäfen auch in Zukunft ihre Funktion als logistische Drehscheiben erfüllen wollen, müssen sie Ladungen noch schneller weiterverteilen. Deshalb strecken sie ihre Fühler ins Hinterland aus. Dort sollen Terminals - sogenannte Dryports - eingerichtet werden, wo sich Waren abfertigen, zwischenlagern und verteilen lassen. Und die besten Kandidaten für solche Hubs sind Binnenhäfen. Rotterdam verdoppelt Kapazitäten Vor allem in Rotterdam besteht Handlungsbedarf, schließlich wächst Europas größter Containerhafen weiter stark: Mit dem neuen Hafengebiet Maasvlakte II verdoppeln sich die Umschlagkapazitäten in den nächsten zwei Jahrzehnten. Umso dringender wird die Frage: Wohin mit den Verkehren? Einfach mehr LKW auf die Straße zu schicken ist keine Option, zumal die öffentliche Hand den Hafenausbau an enge Umweltvorgaben geknüpft hat. "Wir müssen Möglichkeiten schaffen, den Modal Split in Richtung Schiene und Schiff zu verschieben", erklärt Minco van Heezen, Sprecher des Hafens Rotterdam. Ein enges Netzwerk an Hinterlandterminals sei dafür unverzichtbar, unter anderem in den deutschen Binnenhäfen. Nach den Rotterdamer Plänen sollen im Jahr 2035 insgesamt 65 Prozent der Transporte über die Schiene und die Wasserstraße abgewickelt werden; derzeit sind es rund 52 Prozent. Deshalb auch das Abkommen mit Rheinland-Pfalz. Je besser Containerschiffe den Rhein befahren können, desto weniger Behälter stauen sich an der Küste. Die grundsätzliche Hinterland-Strategie der Niederländer erklärt van Heezen so: "Wir sind bereit, in Grundstücke für Terminals zu investieren - aber nicht in die Dienste selbst." Rotterdam will also Hinterlandterminals fördern, dort jedoch nicht in das operative Geschäft einsteigen. Direkte Investitionen sind vorläufig vom Tisch. Das war freilich nicht immer so: Noch 2011 hatten Rotterdam und Antwerpen ihr Interesse bekundet, sich am Duisburger Hafen direkt zu beteiligen; der Vorstoß sorgte für Wirbel bis hoch ins Verkehrsministerium und scheiterte letztlich am politischen Widerstand. Die Rolle des Ermöglichers Mittlerweile konzentriert sich Rotterdam auf die Rolle des "Ermöglichers" - man kooperiert, betreibt Lobbyarbeit, sucht Partner. Diese Strategie zahlt sich aus: Seit Februar gibt es eine neue Schiffsverbindung zwischen Rotterdam und dem Hafen Aschaffenburg. Der Dienst namens Container-Connect verkehrt einmal pro Woche und braucht rund fünf Tage bis zur Nordseeküste, die Kunden kommen derzeit vor allem aus der Automobilzuliefer- und Elektroindustrie. "Wir würden uns freuen, wenn es bis Ende des Jahres drei Anbindungen gäbe", sagt Ingrid Rossmeier, Repräsentantin des Hafens Rotterdam in Süddeutschland. Die erfahrene Logistikmanagerin besucht derzeit IHKn in der Region, um das Angebot bekannt zu machen. "Viele denken nicht daran, dass dieser Weg eine Alternative sein könnte", so Rossmeier. Daneben arbeitet Rotterdam derzeit an einem konkreten Projekt mit einem Rheinhafen, die Details dazu werden allerdings noch nicht verraten. Um multimodale Transporte zu fördern, hat Rotterdam unlängst sogar einen eigenen Geschäftszweig namens Rail Incubator gegründet. Er soll Unternehmen unterstützen, Schienenverbindungen für Seecontainer einzurichten. Die Operateure erhalten sowohl Kapital als auch Unterstützung in Sachen Marketing. Allerdings betonen die Niederländer wiederum, dabei nur als Geburtshelfer zu agieren. "Wir sind Mit-Investoren und das auch nur für eine bestimmte Zeit", so Sprecher van Heezen. Der große Konkurrent Antwerpen schläft natürlich auch nicht. Die Belgier knüpfen ebenfalls eifrig Verbindungen zu deutschen Binnenhäfen. Wichtigster Brückenkopf bleibt dabei Duisburg: Im letzten Sommer haben beide Häfen ein Kooperationsabkommen unterzeichnet, erst im Februar wurde die Zugverbindung zwischen den Standorten verbessert. Dreimal pro Woche rollen die Container jetzt von der Schelde ins Ruhrgebiet, auf einer schnelleren Strecke. Doch die Zusammenarbeit ist keine Einbahnstraße: So hält der Duisburger Hafen 7,5 Prozent der Anteile des Containerterminals DP-World, das jährlich 1,8 Millionen Standardcontainer im Hafen Antwerpen umschlägt. Insgesamt soll die Zusammenarbeit ausgeweitet werden. "Wir arbeiten sehr intensiv an einigen Elementen", verrät Hafensprecherin Annik Dirkx. Vor allem Binnenhäfen am Rhein spüren, wie die Standorte Antwerpen, Rotterdam, Amsterdam ihre Fühler ausstrecken. "Es besteht die Bereitschaft, sich zu engagieren", bestätigt Rainer Schäfer, Geschäftsführer der Rhein-Cargo, dem Zusammenschluss aus Häfen und Güterverkehr Köln (HGK) und Neuss-Düsseldorfer Häfen (NDH). Die Seehäfen seien allerdings nicht auf Einkaufstour, sondern suchten leistungsfähige Partnerschaften, betont Schäfer. Was müssen deutsche Binnenhäfen mitbringen, um als Partner interessant zu sein? "Trimodalität ist unerlässlich, außerdem natürlich Umschlagkapazitäten und Flächen", zählt Schäfer auf. Alle Korridore verbessern Bleibt die Frage: Gehen die Pläne von Antwerpen und Rotterdam auf? Lässt sich durch eine bessere Vernetzung mit dem Hinterland eine Situation wie 2007 und 2008 vermeiden, als es in den Seehäfen regelrechte Containerstaus gab? Marktkenner Schäfer sieht mögliche Hindernisse vor allem in der maroden Infrastruktur. "Die Eisenbahnknoten in NRW zum Beispiel könnten schon 2020 dicht sein." Das Binnenschiff sei als einziger Verkehrsträger noch in der Lage, größere Transportvolumina aufzunehmen; er schätzt, dass ein Mengenwachstum von 40 Prozent ohne Weiteres möglich ist. Allerdings warnt Schäfer vor überzogenen Erwartungen. "Riesige Mengen lassen sich nicht auf das Binnenschiff verlagern. Selbst, wenn Schiene und Binnenschiff 50 Prozent mehr Güter aufnehmen, sinkt das LKW-Transportvolumen nur um 11 Prozent." Die Seehäfen werden also in den kommenden Jahren hart daran arbeiten müssen, alle Korridore ins Hinterland zu verbessern. Inland-Links Der Hinterland-Routenplaner für Verlader Wie lassen sich Container, die in Rotterdam ankommen, am besten via Schiff oder Bahn weitertransportieren? Diese Frage beantwortet die Internetplattform Inland-Links: Auf der Seite stellen sich Terminals im Inland vor, die intermodale Dienstleistungen anbieten. Über eine einfache Suchmaske können Verlader und Spediteure eine passende Verbindung finden; bisher mussten sie dafür mühsam die Webseiten einzelner Terminals, Bahn- und Binnenschiffoperateure abklappern.Seit letztem Jahr ist auch das deutsche Containernetzwerk Contargo auf Inland-Links mit zwölf seiner Standorte vertreten. "Das könnte für den Kombinierten Verkehr von Vorteil sein", begründet Geschäftsführer Heinrich Kerstgens das Engagement. Um mitzumachen, müssen die teilnehmenden Terminals lediglich einmal pro Jahr die Kosten für ein Audit tragen (Contargo allerdings lässt die Überprüfung durch seine eigene QM-Abteilung erledigen).Eine besonders interessante Funktion aus Sicht der Verlader: Über Inland-Links kann nachgesehen werden, wie viele Leercontainer in den Inland-Terminals vorrätig sind. Diese Informationen werden von den Reedereien eingespeist. Große Namen wie Cosco, K-Line und Yang Ming machen schon mit, andere Reeder hadern allerdings noch damit, diese Informationen herauszugeben. "Alles, was Transparenz bringt, ist zu begrüßen", findet Contargo-Geschäftsführer Kerstgens.Rotterdam hat mit Inland-Links noch große Pläne: Derzeit sind 60 Terminals angeschlossen, darüber hinaus lege eine "Flut von Neuanmeldungen" vor, heißt es. Künftig soll es außerdem möglich sein, über die Seite auch direkt Frachten zu buchen. cg