Kommt das Ende der Durchschläge?

Es geht also doch: Palettentausch an der Rampe ohne Papierformulare und Durchschläge. Theoretisch reichen ein paar Klicks auf einem Mobilgerät. So lautet das Ergebnis eines vielbeachteten Pilotversuchs, der Anfang Dezember abgeschlossen wurde: 35 Unternehmen aus Industrie, Logistik und Handel hatten sich unter der Leitung der Standardisierungsorganisation GS1 zusammengetan, um auszuloten, ob sich der Palettentausch papierlos dokumentieren lässt - und zwar mithilfe der Hoffnungstechnologie Blockchain. In weniger als einem Jahr wurden die nötige Absprachen getroffen, Apps entwickelt und an Laderampen mit realen Lieferungen getestet. Am 6. Dezember 2018 konnte die Arbeitsgruppe auf dem "Praxistag Blockchain" von GS1 in Köln ihr Fazit verkünden. Es fällt positiv aus: "Der Palettenschein lässt sich mit der Blockchain digitalisieren und in einer App abbilden. Der Tauschprozess wird an mehreren Stellen effizienter", sagt Christian Grotowsky, Managing Director von Lekkerland Information Systems, einem der Projektteilnehmer. Vorteile hätten sich vor allem im Back-End ergeben, also bei der Verbuchung der Tauschvorgänge. Rückt jetzt das Ende der lästigen Zettelwirtschaft näher? Digitale Verbuchung in 1,7 Sekunden Die Technik zumindest scheint dafür bereits reif zu sein. Das Konsortium war in der Lage, die für die Blockchain nötige Hard- und Software in kurzer Zeit aufzubauen. Lagermitarbeiter und Fahrer wurden mit Mobilgeräten des Herstellers Zebra ausgestattet. An der Rampe mussten sie dann nur noch Standort, Palettenanzahl sowie Tauschpartner anklicken. Im Schnitt war ein Tausch nach 1,7 Sekunden verbucht. Die Daten gingen über Mobilfunk an die Rechner aller Teilnehmer, wo sie in der Blockchain hinterlegt wurden. Die im Hintergrund laufenden Verschlüsselungsprozesse übernahmen Rechner der SAP. Real wurden auf diese Weise 600 Tauschvorgänge von 17 Partnern abgewickelt, aber auch 3600 Tauschvorgänge pro Stunde wären möglich, wie Tests ergaben. Natürlich musste im Pilotversuch gelegentlich improvisiert werden: Bei einer kleinen Gärtnerei, die teilnahm, installierte der Sohn des Chefs die Blockchain-Software auf seinem Gaming-PC unterm Schreibtisch - die Lösung lief dennoch problemlos. Schwierigkeiten machten lediglich die zum Teil langsamen Mobilfunkverbindungen im ländlichen Raum. Obwohl der Prozess Palettentausch auf den ersten Blick trivial wirkt, mussten die Macher viele Details berücksichtigen, schließlich existieren in der Praxis zahllose Sonderregeln und Einzellösungen. Was passiert zum Beispiel, wenn beim Tausch nicht zwei Personen anwesend sind? Bei manchen Unternehmen wirft der Fahrer den Palettenschein einfach in einen Briefkasten, wenn niemand da ist, um die Lieferung in Empfang zu nehmen. Also musste eine Funktion geschaffen werden, um einen Tauschvorgang in der Blockchain eine Zeit "warten" zu lassen, bis er von einer zweiten Partei abgezeichnet wird. Hoher organisatorischer Aufwand Insgesamt ist Technik jedoch nicht das Thema, wie alle Teilnehmer betonten. "Was wir dagegen unterschätzt haben, ist die Governance", sagt Eric Stettiner, Director beim Wirtschaftsprüfungsunternehmen PricewaterhouseCoopers (PwC). Dieser Begriff beschreibt den organisatorischen Teil: Wer sollte zum Konsortium gehören? Wer muss welche Verträge unterzeichnen? Wer hat welche Rechte/ Pflichten? Bevor nicht über diese Fragen Einigkeit erzielt ist, sollte eine Gruppe gar nicht darüber nachdenken, eine Blockchain ins Leben zu rufen, so das Fazit der Experten. Außerdem müsse zunächst Misstrauen gegenüber der Technologie abgebaut werden. "Betriebsräte bangen um Arbeitsplätze, Manager um Datenhoheit, Anwender vertrauen Papier mehr als einer digitalen Anwendung. Maßnahmen wie Mitarbeiterschulungen sind daher unabdingbar", sagt Regina Haas-Hamannt, Head of Innovation bei GS1 Germany und Leiterin des Projekts. Kosten wurden ausgeklammert So ermutigend der Versuch mit dem digitalen Palettenschein verlaufen ist - es bleiben noch viele Fragen offen. Zum einen war der Pilot "rein qualitativ" angelegt, wie Haas-Hamannt betont. Man hat also nur untersucht, ob sich der Palettentausch via Blockchain lohnt. Wie groß die Effizienzgewinne im Einzelnen sind, wurde nicht ermittelt, dafür war der zweiwöchige Test wohl auch zu kurz. Darüber hinaus wurden finanzielle Aspekt wie Kosten für Infrastruktur und Software-Entwicklung weitgehend ausgeklammert. Schlussendlich gäbe es noch weitere Möglichkeiten, den Palettentausch digital abzuwickeln, etwa über die Speicherung der Tauschinformationen in einer zentralen Datenbank. Das wäre technisch einfacher. "Wir müssen prüfen, ob Blockchain die richtige Datenbank-Technologie ist", resümiert Simon Papies, Hauptabteilungsleiter Logistik bei Dr. August Oetker. Die wohl größte Hürde auf dem Weg in die Praxis dürfte das Thema Transparenz sein. Im GS1-Test wurden die eigentlichen Tauschvorgänge nicht verschlüsselt, das heißt, alle Beteiligten konnten sehen, welche Mengen von Paletten bei den jeweils anderen Nutzern rein- und rausgingen. Das heikle Thema Transparenz Dass diese Informationen heikel sind, liegt auf der Hand. Sieht Dr. Oetker zum Beispiel, wie viele Paletten Tiefkühlpizzen die Konkurrenz an einen Handelspartner liefert, könnte der Hersteller daraus Rückschlüsse ziehen und etwa bevorstehende Marketingaktionen erkennen. "Für den produktiven Einsatz ist das sicher nicht geeignet. Dinge, die Sie nicht teilen wollen, haben in einer Blockchain nichts zu suchen", sagt Christian Sommer vom Innovation Center Network - Blockchain bei SAP. Theoretisch wäre es möglich - wenn auch technisch aufwendig -, die Tauschvorgänge zu verschlüsseln, sodass alle Nutzer nur jene sehen, an denen sie beteiligt sind. Damit jedoch würden sich die Beteiligten gleichzeitig viele Chancen nehmen, schließlich bringt Transparenz auch Vorteile. Ein Beispiel: Spedition A liefert Dinge, die Sie nicht teilen wollen, haben in einer Blockchain nichts zu suchen 100 Paletten von Hamburg zu einem Kunden in München, während Spedition B die gleiche Menge von München nach Hamburg transportiert, im Auftrag des gleichen Kunden. Sind beide Prozesse sichtbar, könnten die Bestände einfach gegeneinander aufgerechnet werden, wie das heute schon oft der Fall ist. So ließen sich Transporte und Emissionen vermeiden. Doch um einen sogenannten Ringtausch zu ermöglichen, müssten sich alle Blockchain-Nutzer erst mal darüber einigen, wer welche Transaktionen sieht - eine Herkulesaufgabe. Wie geht es weiter mit dem papierlosen Palettentausch? Einige Teilnehmer zeigten sich offen für weitere Tests und wollten weitermachen, hieß es von GS1 - auch über den Anwendungsfall Europalette hinaus. "Wir sind darauf vorbereitet, sämtliche Ladungsträger abzubilden", sagt Tobias Siekmann, Head of Corporate Loading Equipment Management bei Kraftverkehr Nagel. Wie viele Partner schlussendlich am Thema dranbleiben, ist zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht abzusehen. Sicher ist nur eines: Die Menschen in den Fahrerhäusern und an den Rampen sind bereit für die Revolution. "Viele Kollegen haben gefragt: 'Wann machen wir weiter?'", berichtet Lekkerland-Mann Grotowsky. Alle wollten das Papier loswerden. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Paletten www.verkehrsrundschau.de/dossiers Kurz erklärt So funktioniert die BlockchainWie kann man Daten bei mehreren Nutzern speichern, und zwar so, dass- alle die Daten verändern können?- die Datensätze bei allen immer aktuell sind?- niemand die Daten im Nachhinein verändern kann?Genau diese Probleme löst die Blockchain-Technologie. Sie ermöglicht das sichere Speichern von Daten bei mehreren Nutzern. Im Prinzip gleicht die Blockchain einer Art digitalem Geschäftsbuch, in dem Transaktionen vermerkt werden, zum Beispiel"A übergibt B 20 Paletten". Diese Information wird sowohl auf dem Rechner von A als auch auf dem von B vermerkt. Alle Beteiligten verfügen also immer über eine Kopie des digitalen Geschäftsbuchs. Mithilfe von Verschlüsselung wird sichergestellt, dass keiner der Beteiligten die Informationen im Nachhinein ändern kann. Würde ein Datensatz, Block genannt, manipuliert, wäre das für alle Nutzer sofort sichtbar. Deshalb gelten in einer Blockchain gespeicherte Daten als sehr sicher.Doch die Technik hat auch Nachteile:- Da bei jeder Transaktion das Geschäftsbuch bei allen Nutzern geändert werden muss, vergeht mitunter ein wenig Zeit, bis ein Vorgang verbucht wurde.- Die nötige Verschlüsselung ist sehr aufwendig und kostet viel Energie.- Das digitale Geschäftsbuch wächst theoretisch unendlich und frisst Speicherplatz auf den Rechnern der Beteiligten.cg