Kampf gegen Pillen-Piraten

Auf den ersten Blick fällt der Aufdruck kaum ins Auge: nur ein kleiner 2D-Barcode, der auf die Pillenpackung aufgedruckt ist (siehe Foto Seite 28). Doch das schwarzweiße Muster hat es in sich: Auf dem Code ist nämlich eine individuelle Seriennummer gespeichert und die soll helfen, Arzneimittelfälschern das Leben schwer zu machen. Der Schutz funktioniert so: Bevor der Apotheker ein verschreibungspflichtiges Medikament über die Theke dem Kunden reicht, scannt er zunächst den sogenannten Data Matrix Code an der Packung. Daraufhin kontaktiert sein Kassensystem eine zentrale Datenbank, in der die Pharmahersteller die Seriennummern ihrer Erzeugnisse hinterlegt haben. Und nur, wenn die jeweilige Packung bekannt ist, darf sie auch über die Theke gehen; danach wird sie in der Datenbank als verkauft markiert. Unbefugtes Öffnen unterbinden So fordert es die Europäische Union (EU) (siehe Kasten Seite 27). Sie will mit zwei Maßnahmen die Produktpiraterie bei Medikamenten eindämmen: Zum einen sollen Verpackungen so gestaltet sein, dass ein unbefugtes Öffnen sofort sichtbar ist (sogenanntes "Anti-tampering Device"), zum anderen müssen die Präparate mit den genannten Seriennummern versehen werden. Beides zusammen soll die Flut von gefälschten Arzneimitteln - Experten schätzen ihren Anteil weltweit auf zehn Prozent - gestoppt werden Diese Schritte wurden vor einiger Zeit in einer Richtlinie (2011/62/EU) angekündigt, am 14. August nun hat Brüssel mit einem Rechtsakt konkrete Anweisungen formuliert. Was aber bedeuten diese neuen Regeln für Pharmalogistiker? Für Transportdienstleister, die Kunden aus der Pharmabranche haben, gibt es schon einmal eine gute Nachricht: Sie sind von den neuen Regeln vorerst nicht betroffen. Ob das Medikament echt ist oder nicht, wird nur am Anfang und Ende der Transportkette geprüft - dazwischen nicht. "Es findet keine Verifizierung statt", bestätigt Nicola Spiggelkötter, Unternehmensberaterin aus Bad Harzburg und auf die Pharmabranche spezialisiert. Beim Kampf gegen gefälschte Medikamente bleiben die Transportdienstleister also außen vor. Sie sehen nach wie vor nur die Nummer der Collis und verfolgen sie im Rahmen der normalen Sendungsverfolgung (Track & Trace). Großhandelslizenz verpflichtet Ganz anders sieht die Lage bei den vielen Pharmalogistikern aus, die auch eine Großhandelslizenz besitzen. Hier sind zwei Fälle zu unterscheiden: Bezieht das Unternehmen nur Ware direkt vom Hersteller, ändert sich nichts; es gelten die normalen Regeln der guten Vertriebspraktiken (Good Distribution Practice, kurz: GDP). Bezieht der Großhändler dagegen Medikamente von anderen Händlern, womöglich sogar aus dem Ausland (Re-Importe), oder handelt es sich um Retouren, schreibt die EU in Zukunft eine Überprüfung vor: Die Codes auf den einzelnen Verpackungen müssen gescannt und die Seriennummern mit denen in der zentralen Datenbank abgeglichen werden. Ob das im Warenein- oder -ausgang passiert, überlässt die EU dem Großhändler. Expertin Spiggelkötter erwartet, dass große Firmen mit SAP-System diese Prüfungen leicht implementieren können. "Schwieriger dürfte das bei den vielen 'selbstgestrickten' ERP-Lösungen sein, die im Einsatz sind." Knackpunkt bei der Einführung der Echtheitsprüfung ist - wie so häufig - die IT. Das deckt sich mit ersten Einschätzungen aus der Praxis. "Die nötigen Drucker und Scanner haben wir schon angeschafft, an der Datenbankanbindung arbeiten wird" berichtet Helmut Müller-Neumayr, Geschäftsführer von Loxxess Pharma in Regensburg. Das Unternehmen ist auf Lager- und Logistikleistungen für die Health-Care-Branche spezialisiert - bis hin zur Verpackung. Der Logistikdienstleister arbeitet derzeit mit Hochdruck daran, die Anforderungen der neuen EU-Richtlinie zu erfüllen. Mit großen Investitionen sei die Aufrüstung bisher nicht verbunden gewesen, sagt Müller-Neumayr. "Die meiste Arbeit macht die IT." Vereinfachte Kommissionierung Ein interessantes Detail: Für Logistikdienstleister, die in der Kommissionierung tätig sind, bringen die neuen Verpackungsvorschriften unter Umständen sogar einen kleinen Vorteil. Denn auf den neuen Codes sind auch Chargennummer und Verfallsdatum eines Medikaments maschinenlesbar hinterlegt. Bisher tauchten diese Informationen auf den Verpackungen lediglich als Ziffern auf, die im Falle eines Falles abgetippt werden mussten. Das maschinenlesbare Format könnte die Arbeit in der Kommissionierung erleichtern. Pharmalogistiker sind hohe Anforderungen an die Sicherheit freilich gewohnt - nicht erst seit Inkrafttreten der GDP. Zutrittskontrollen und intensive Fahrerschulungen sind in der Branche üblich. "Unsere Mitarbeiter werden auf alle möglichen Risiken aufmerksam gemacht", betont Sebastian Chrometzka, regionaler Vertriebsleiter bei Trans-o-flex in Weinheim. Zu den Sicherheitsregeln gehört beispielsweise, Fahrzeuge immer zu verschließen und Arzneimittel nur berechtigten Personen zu übergeben. Auch für Unregelmäßigkeiten wird das Personal sensibilisiert. Sind zum Beispiel Arzneimittelpackungen offensichtlich beschädigt, wird sofort mit dem Kunden geklärt, wie mit den Sendungen zu verfahren ist. Startet durch: Securpharm-Initiative Für Dienstleister wie Trans-o-flex entstehen aus der neuen EU-Regel zwar keine zusätzlichen Pflichten, dafür womöglich Chancen. "Wir werden schauen, wo wir neue Produkte entwickeln können. Es kann sich lohnen, Teil der Sicherheitskette zu sein", sagt Chrometzka. An entsprechenden Produktinnovationen arbeite man bereits in Abstimmung mit der Arzneimittelindustrie. Jetzt sind aber erst einmal die Hersteller am Zug: 25 Pharmaunternehmen haben sich bereits in der sogenannten Securpharm-Initiative zusammengeschlossen, die das entsprechende Überprüfungssystem, vor allem die zentrale Datenbank, aufbauen will. Auch die Apothekenverbände sowie die Phoenix-Gruppe, der größte deutsche Pharmahändler, sind schon an Bord. 180 Arzneimittel tragen bereits den Data Matrix Code, der genau so aussieht wie die vom Handy bekannten QR-Codes. Bei Behörden noch kein Thema Anlass zur Eile besteht nicht. Erst Anfang 2016 wird der EU-Rechtsakt mit den genauen Vorgaben amtlich veröffentlicht, danach bleiben den Marktteilnehmern drei Jahre Zeit, alles umzusetzen. Bis dahin gibt es jedoch noch einiges zu tun. Denn etliche Details sind unklar, zum Beispiel, wer die Einhaltung der Regeln kontrolliert. Im EU-Text ist nur von "nationalen kompetenten Instanzen" die Rede. Das könnte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte sein, das Paul-Ehrlich-Institut oder der jeweilige Regierungsbezirk. "In den Behörden-Audits ist das jedenfalls noch kein Thema", berichtet Müller-Neumayr von Loxxess. Erschwerend wirkt, dass die neuen Regeln innerhalb der EU nicht überall gleichzeitig in Kraft treten. So hat die Türkei die Richtlinie schon umgesetzt, Pharmahersteller aus Frankreich drucken noch keine Data Matrix Codes auf ihre Produkte. Sollte sich Brüssel mittelfristig entschließen, auch noch die Transportdienstleister mit ins Boot zu holen, würde das die Lage kompliziert machen. Echtheitskontrollen entlang der Transportkette sind nämlich nahezu unmöglich, weil hier nicht mit einzelnen Packungen hantiert wird, sondern mit Paletten á 2000 Packungen und mehr. Hier einzelne Sendungen zu entnehmen und auf Echtheit zu prüfen, wäre nur mit immensem Aufwand nötig. "Wenn überhaupt, müsste es zusätzliche Kennzeichnungen auf Palettenebene geben", so Müller-Neumayr. Sprich: Am Ladungsträger könnte wiederum ein 2D-Code angebracht werden, auf dem alle Seriennummern der einzelnen Arzneimittel verzeichnet sind. Aber das sind bislang nur Gedankenspiele. Dienstleister rechnen mit Verschärfung Sicher scheint: Es wird nicht die letzte Vorgabe aus Brüssel sein. Auch künftig könnte die EU die Spielregeln in der Pharmalogistik verschärfen. Einige Dienstleister stellen sich bereits darauf ein und denken darüber nach, wie sich das Sicherheitsniveau noch erhöhen lässt. Zu den Ideen, die in Branchenkreisen kursieren, gehört eine Verfolgung von einzelnen Sendungen per GPS. Mehr zum Thema im Dossier Pharmalogistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers Hintergrund Die neue EU-Fälschungsschutzrichtlinie Der Handel mit gefälschten Medikamenten ist in den letzten Jahren enorm gestiegen. Zusätzlich gelangen über das Internet viele gefälschte Medikamente auf den Markt. Die im Jahr 2013 in Kraft getretene GDP-Novelle greift das Thema bereits auf und schreibt Maßnahmen gegen Arzneimittel-Fakes vor, ohne aber diese zu präzisieren. Diese Lücke will die EU mit ihrer Fälschungsschutz-Richtlinie 2011/83/EG schließen, die im Jahr 2017 auch in Deutschland in Kraft treten soll. Diese Richtlinie enthält die technischen und organisatorischen Vorgaben zur Umsetzung der Sicherheitsmerkmale, die Arzneimittel künftig tragen müssen. Der Entwurf des delegierten Rechtsaktes liegt nun in englischer Sprache vor und umfasst 34 Seiten sowie als Anhänge die sogenannte "White List" und die "Black List", in der die Ausnahmen für verschreibungspflichtige beziehungsweise nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel enthalten sind. Die EU-Kommission muss den delegierten Rechtsakt noch beschließen und dem europäischen Parlament und Rat übermitteln. Seine Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union wird derzeit im ersten Quartal 2016 erwartet. Danach gilt eine Umsetzungsfrist von drei Jahren, bis die Vorgaben der Richtlinie rechtswirksam werden. eh